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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Manne so schlechtes Vertrauen entgegen bringst, dem Du morgen angehören wirst.“

„Denke an Wilken, Luz!“

„Wenn Einer sich unrichtig benimmt, ist darum der Andere auch gleich pflichtvergessen? Vorhin, als ich Dich wartend am Fenster stehen sah, da glaubte ich, Du wärst ungeduldig. Du freutest Dich auf sein Kommen, Du hättest ihn ein ganz klein wenig gern; aber ich sehe wohl, es ist nicht an Dem. Du thust mir leid!“

„Hör’ auf, mich zu quälen! Du weißt, daß ich ihn nicht liebe. Sage lieber, was ich beginnen soll, wenn –“

„Nimm Dich zusammen, Hortense,“ flüsterte Lucie, „Mademoiselle kommt.“

Die alte Dame trat, merklich aufgeregt und erhitzt, ein. „Wie, Hortense, Monsieur ist nicht eingetroffen? Was hat das zu bedeuten? Ein Bräutigam – saumselig an solchem Tage! Das ist unerhört, Kind, das ist nicht schmeichelhaft, das ist eine Beleidigung!“

Die junge Frau lachte kurz auf. „Sie scheinen gewaltig besorgt, liebste Bertin; es wäre ja möglich, daß der Zug entgleist ist!“

„Und das sagen Sie mit solcher Ruhe, Hortense? Sie sind –“

„Eine entsetzlich frivole Person, nicht wahr? Aber es thut nichts; ich bleibe dabei; es wäre vielleicht das Schlimmste noch nicht. Echauffiren Sie sich nicht, Mademoiselle, schlafen Sie lieber! Hören Sie, schlafen Sie ein wenig, jetzt gleich; es ist am gesundesten vor Tische. Au revoir, liebe Bertin!“

Die alte Dame zog sich zurück; sie war es gewohnt, auf solche Weise entlassen zu werden. Hortense begann im Zimmer auf und ab zu gehen, und das that sie unausgesetzt zwei Stunden lang. Der Wagen fuhr wieder zum Bahnhofe und brachte diesmal den jungen Schwager. Der Baron mußte ihn allein empfangen, Hortense ließ sich entschuldigen. Sie ging mit der Uhr in der Hand umher und lauschte am Fenster, ob der Westwind ihr das Pfeifen des Zuges herübertrage.

„Jetzt,“ sagte sie zu Lucie, „hörst Du? Wenn er jetzt nicht kommt, dann – dann –“

Sie verharrte regungslos am Fenster. Als das Rollen der Räder auf dem Straßenpflaster erklang, ward sie blaß wie ihr Kleid, und als der aufgeschlagene Landauer in den Thorweg einbog und der große Mann, der im Fond saß, mit erwartungsvollen Augen zu dem Fenster aufblickte, an dem sie stand, überfiel sie ein Zittern und sie lehnte sich wie ohnmächtig an Lucie’s Schulter.

Die Blässe lag noch auf ihrem Gesicht, als er mit raschen Schritten in das Zimmer trat und, ihr beide Hände entgegenstreckend, auf sie zueilte.

„Wie soll ich mich entschuldigen. Hortense! Ich versäumte den Zug, aber ohne meine Schuld; auf dem Wege zur Station brach mir ein Rad; ich war, um den allerfrühesten Zug zu benutzen, durch den Wald gefahren und – kennen Sie Holzwege? Nein? Nun, Sie sollen sie auch nicht kennen lernen. Das Resultat war, daß ich auch den zweiten Zug nicht erreichte und mit dem Bummelzug hier ankam.“ Er hatte während des Sprechens ihre schönen Hände geküßt. „Verzeihen Sie!“ sagte er noch einmal.

Allmählich kehrte die Farbe in ihre Wangen zurück; aber sie machte keine einzige Phrase; Lüge war ihr fremd. Sie sagte nicht: „ich habe mich geängstigt um Sie,“ sie sagte nur: „Es hätte Schlimmeres passiren können, als ein zerbrochenes Rad, Waldemar. Wir wollen zum Großpapa gehen.“

Lucie, die sich in ihre Stube zurückgezogen hatte, traf mit dem Brautpaar erst bei Tische zusammen. Hortense war still; der Bräutigam strahlte vor Glückseligkeit. Er sprach mit dem Baron von Ernteaussichten. Der junge Hamburger unterhielt sich ausschließlich mit Mademoiselle, die auf Hamburg nicht gut zu sprechen war; sie hatte freilich nur vierundzwanzig Stunden dort zugebracht, und außer einem Teller Schildkrötensuppe, die ihr sehr gut geschmeckt, wußte sie sich an nichts Bemerkenswerthes zu erinnern; Marseille war aber doch etwas Anderes!

Ein Gespräch mit Lucie anzuknüpfen, gelang ihm nicht. Das blasse Mädchen im schwarzen Trauerkleid, mit den großen braunen Augen, die so trostlos in irgend einen Winkel blicken konnten, kam ihm anziehend und unheimlich zugleich vor.

„So etwas kann auch nur in kleinen Städten gedeihen,“ dachte er; „in solch alten Eulennestern, wie dieses Haus zu sein scheint. Die müßte einmal nach dem ‚vergnügten‘ Hamburg – ob da nicht Rosen auf die Wangen kämen?“ Nun, vielleicht war sie morgen gesprächiger beim Hochzeitsdiner.

Hortense stand um zwölf Uhr in der schwarzen funkelnden Toilette bereit und wartete auf ihren Bräutigam, der sie hinunter geleiten sollte zum Baron, bevor sie nach dem Standesamt fuhren. Lucie, die Hortense beim Ankleiden geholfen, brachte der jungen Frau eben ein Glas Wein; sie sah so blaß und leidend aus. Da trat Weber herein.

Hortense, die hastig einen Schluck getrunken, ging ihm entgegen. „Ich bin bereit,“ sagte sie. Dann wandte sie sich noch einmal nach Lucie um. „Adieu, Luz!“

„Adieu, Hortense!“ antwortete das Mädchen mit feuchten Augen, und in ihrem Herzen sprach sie: möchte es ein glücklicher Gang sein!

Als sie im Begriff waren, zur Thür hinauszugehen, trat ihnen Peter mit einem Brief entgegen. „An Herrn Weber; er ist durch Eilboten –“

(Fortsetzung folgt.)




Vom Nordpol bis zum Aequator.
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Adlerjagden des Kronprinzen Rudolf von Oesterreich.
IV.0 (Schluß.)

Unter strömendem Regen erreichen wir mit Eintritt der Dunkelheit unser gemächliches Schiff. Regnerisch ist auch der folgende Morgen, trübe der ganze Tag, verhältnißmäßig unergiebig die Jagd. Dies Alles treibt zur Weiterreise, und wiederum rauscht unser schnelles Schiff donauabwärts. Nach wenigen Stunden erreichen wir Draueck, die Mündung der Drau, welche fortan die Richtung des Donaubettes zu bestimmen scheint. Eines der großartigsten Strombilder, welches ich je gesehen, liegt vor dem Auge. Eine weite Wasserfläche breitet sich aus; nach Süden hin begrenzen sie lachende Hügel, nach allen übrigen Seiten Auwälder, wie wir bisher sie gesehen. Weder der Lauf des Hauptstromes noch das Bett des Zuflusses läßt sich verfolgen; die ganze ungeheure Wasserfläche gleicht einem rings umschlossenen See, dessen Ufer nur an der erwähnten Hügelkette deutlich hervortreten; denn zwischen dem Grün der Wälder hindurch sieht man da, wo Lücken Einblick gestatten, wiederum Wasser, Dickicht und Röhricht, letzteres, den meilenweiten Sumpf Hullo überkleidend, in endlos scheinender Ausdehnung. Riesige Baumstämme, von dem einen wie von dem anderen Strome herbeigeführt und nur theilweise überfluthet, nehmen phantastische Formen an; es will scheinen, als reckten sagenhafte Thiere der Vorwelt ihre beschuppten Leiber über die dunklen Fluthen empor. Denn dunkel, fast schwarz fluthet die „blonde“ Donau dahin, während unser Schiff das Draueck durcheilt. Grauschwarz und schwarzblau hängen Gewitterwolken am Himmel, anscheinend auch zwischen dem hundertfach schattirten Grün der Wälder und über den gleichmäßig fahlgelben Rohrflächen: Blitze beleuchten grell das ganze Bild; der Regen rauscht prasselnd hernieder, der Donner rollt dazwischen, der Sturm heult in den Wipfeln der alten Hochbäume, wühlt die Wasserfläche auf und krönt die dunklen Wellenkämme mit grauweißem Gischt; unten, im Südosten, aber bricht die Sonne durch das schwarze Gewölk, säumt es mit Purpur und Gold, erhellt und erleuchtet es, daß die tiefen Schatten noch

schärfer hervortreten, und strahlt flimmernd auf den bunten Hügeln

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_170.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)