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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„und er soll a koane hab’n, und bess’r war’s, er zeiget si selb’n an, liab’r in Zuchthaus als all’weil in dera Angst leb’n müass’n!“

David stutzte, er war zu weit gegangen, im Zuchthaus wollte er den Mathias nicht. Er mußte wünschen, daß er wohlhabend sei, um seinen Reichthum mit zu genießen, darum lenkte er sofort ein.

„A dumm’s G’schwätz! so g’fährli is net, wann a oaner davo wiss’n sollt, wer wird denn d’ Anzeig mach’n woll’n! Wozua so was? Da hilft do ender oaner dem andern!“

Mathias athmete auf. Nur jetzt nicht verrathen werden, wo er so voll Freuden, so voll Hoffnung war! Er wollte ja gern die That sühnen durch ein gutes Leben, durch Almosen und Wallfahrt, nur nicht als Verbrecher gefaßt werden vor Anna’s Augen! Lieber sollte ihn der David treten und mißhandeln, nur schweigen sollte er, wenn er wirklich was wußte.

Das Gespräch wich nicht mehr von diesem Thema, unzählige Wildererstückeln wurden erzählt, und Mathias war froh, nach einiger Zeit gehen zu können, unbemerkt, wie er glaubte. David indessen folgte ihm auf dem Fuße.

„Wia weit bist mit d’r Anna?“ fragte er leise.

Mathias gab ihm nur mit Widerwillen Antwort auf die Frage. „Wenn d’ Muatter nix dageg’n hat, d’ Anna sagt ja!“ preßte er heraus. „Aber –“

„Aber Du traust Di net, feiger Tropf!“ brauste David jetzt auf, „weil’st an d’n Rupert denkst! Fürchst Di am End, er könnt’ wieder komma! Dafür hast guat g’sorgt, der liagt fest da d’rüb’n!“

Diese direkte Anklage konnte Mathias nicht ruhig anhören. Er mußte sich gewaltsam zusammennehmen, um David nicht an den Leib zu gehen.

„Du red’st so, als wenn’st dabei g’wes’n wärst, und glaubst wohl, mi d’mit z’schreck’n! Nix woaßt Du, gar nix und kannst nix wiss’n! Jetzt hab’ i die G’schicht a mal satt! I hab’ nur das G’red z’fürcht’n, das durch Di umma kumma kann, weiter nix! Jetzt heb’ Di weg, sonst packt mi d’ Wuath und nacher könnt’s wirkli sei’, daß i an Mord beging’!“

Er hatte sich so in den Zorn hineingesprochen, als wenn er wirklich unschuldig verdächtigt worden wäre.

David lachte nur dazu, das machte Mathias ganz toll. Wie ein wildes Thier stürzte er sich auf ihn und warf ihn zu Boden. Aus der Schenke eilten die Leute heraus. David entwand sich wie ein Aal den Händen seines Angreifers und sprang in die Thür – dann riß er aus der innern Tasche ein kleines Büchelchen und schwenkte es gegen Mathias.

„Da steht’s drin, schwarz auf weiß!“

Dann verschwand er mit den Uebrigen. Mathias blieb in sprachlosem Schreck zurück. Er griff sich an die Stirn, ob er recht gehört und gesehen, und starrte noch immer gegen die Thür, wo David verschwunden war. Dann schüttelte es ihn wie Fieberfrost, und er eilte in die Nacht hinaus.

In diesem Buch stand schwarz auf weiß, daß er der Mörder! War denn ein Wunder geschehen? Die Todten können doch nicht mehr schreiben! Die Todten? – war er denn auch wirklich gleich todt? Er selbst floh ja gleich nach dem Schuß, von Entsetzen gepeitscht! Konnt’ der Jäger nicht noch ein Wort geschrieben haben? Aber man fand ja nichts bei ihm! Und der Erste, der zum Leichnam kam, konnte der nicht? Wer war der Erste? – David!! – Wie Blitze kreuzten sich diese Gedanken in seinem Hirn – jetzt sah er deutlich! David hatte das Buch gestohlen – er war ganz in seiner Hand!

Das warf ihn zu Boden, das war ärger als der Tod selbst – eine furchtbare Strafe des Himmels! In Angstschweiß gebadet, trotz der grimmigen Kälte, kam er nach Hause und schloß sich in seine Kammer.

Eine schlimme Nacht kam für ihn – ein Schlaf noch schlimmer als das Wachen. Da sah er immer wieder den todten Rupert – oder er kämpfte mit David, der immer größer und größer wurde, zu einem Ungeheuer, das ein flammendes Buch in seinen Krallen drohend schwang und ihn damit zu Tode schlug. Ueber ihm schlief Anna einen ruhigen Schlaf – das Leid war vergessen, und eine neue Liebe füllte ihr Herz aus.

Mathias erwachte mit einem festen Entschluß. So ging es nicht fort, er mußte mit David ins Reine kommen; am Ende war doch die Geschichte eine geschickte Erfindung, um ihn zahm zu machen; sollte aber doch etwas daran sein, so mußte er David’s Stillschweigen jetzt um jeden Preis erkaufen.

Dieser kam eben mit dem Holzschlitten den Berg herabgefahren, als Mathias auf dem Arbeitsplatz erschien.

„Hast Dei Wuth scho ausg’schlaf’n?“ rief er ihm zu, „wär’ i gar net nöthi g’wes’n, weg’n so an elendig’n Büach’l!“ Er lachte wieder höhnisch.

Mathias rief ihn auf die Seite.

„I will das Büch’l a mal selb’r seh’n,“ sagte er, „was drin steht, und wenn das a drin steht, mit was D’ mir allweil drohst, so is do net wahr, nachher hat si’ halt der Rupert selb’r g’irrt! Z’widerkeit’n kannst mir freili mach’n damit beim G’richt, und d’rum bin i kumma, um Di z’frag’n, was D’ verlangst für das Büch’l und für Dei Stillschweig’n?“

„Aha, jetzt wirst scho zahm’r! Ja, d’ Hitz hilft nix bei so oaner Sach’! Gieb’ Dir koa Müah, dös Büachl geb’ i net, aber sag’n thua i a Niemand was davo, das versprich’ i Dir, so langst Di guat halt’st mit mir! Was hätt’ i davo? Bin selb’r net so guat ang’schrieb’n beim G’richt! Wannst a mal Langbauer bist, und Du wirst ’s ja g’wiß, nachher nimmst mi in Dein Haus als Knecht oder wia’s Du’s nenna willst, und die G’schicht hat si g’hob’n!“

„Das hoaßt,“ entgegnete Mathias, „i soll Di abfuttern Dei Lebzeit, damit ’s still bist! Und was wird d’ Anna dazu sag’n?“

„Das is Dei Sach,“ entgegnete David, „i moan, i verlang net z’viel für so a G’heimniß, das Dir zehn Jahr Zuchthaus kost’n kon! Ueberleg’ Dir’s!“

Er fuhr mit dem Schlitten fort und ließ Mathias in verzweifelter Stimmung zurück. Da war nichts zu machen, er war und blieb dem David unterthan sein Leben lang.

„Liaber net heirath’n,“ dachte er sich, „nacher trag i’s wenigst’ns alloa, und wenn’s mir z’ arg wird, zeig i mi selb’r an.“

Mit diesem Entschluß ging er heim.

Er vermied, mit Anna allein zusammenzukommen; er versuchte, mit Gewalt die Neigung zu ihr sich aus dem Herzen zu reißen; aber Anna, die nun selbst Feuer gefangen, schürte dieselbe, nichts Schlimmes ahnend, immer von Neuem. Jeder ihrer Blicke war für ihn verhängnißvoll, hieß ihn nur zugreifen, um sein Glück zu erfassen; jeder Händedruck schürte die Gluth in seinem Innern. Er besaß nicht die moralische Energie, immer zu widerstehen; die Aufgabe war zu schwer für seinen ungeschulten Kopf und sein leidenschaftliches Herz. In Kurzem war Mathias in dem innern Kampf erlegen, er faßte den Entschluß, jetzt Alles aufs Spiel zu setzen, um Anna zu gewinnen.

Die Alte bemerkte wohl die innigen Blicke, die warmen Händedrücke; sie warnte und warnte in den Wind!

Mathias blieb den ganzen Winter im Hause, er gehörte fast schon dazu. Im Februar kam die Nachricht vom Tode seines kinderlosen Bruders, jetzt war er Besitzer eines kleinen Anwesens – Grundbesitzer! Das gab ihm Muth und Selbstgefühl.

Eines Tages trat Anna mit Mathias vor die Mutter hin und bat, wie damals, um ihre Einwilligung zur Heirath. Diese war nicht überrascht.

„S’ is no koan Jahr her,“ sagte sie bitter, „bist g’rad a so dag’stand’n Anna, vor mir mit an Andern und hast g’sagt: der oder koaner, obwohl Du g’seh’n hast, daß mir ’s Herz bluat hat! I hab’ damals glaubt an Dei Liab, hab’ mei’n Stolz ’nunter druckt und hab’ ‚Ja‘ g’sagt! Jetzt aber fehlt mir der Glaub’n, ma’ wechselt d’ Liab net wia a G’wand! Wer das kann, der hat net an Mann richti liab g’habt, bei dem war’s halt a Rausch! ’s Bluat stift dös an, net d’ Liab! Und so war’s a bei Dir und d’n Rupert, Anna, und – i fürcht – es is a jetz’ so, und für so an Rausch –“ sie stand auf und wandte sich zur Thür, „is der Muatterseg’n z’ guat! Heirath’s, i kann Euch net wehr’n und thua a nix geg’n Euch – aber mi laßt’s aus ’n Spiel! I will koa Verantwortung hab’n!“ und draußen war sie.

In Anna erwachte ein böser Trotz.

„Kann i denn der Muatter nia was recht thuan? Z’erst war der Jaga net recht, jetzt Du! No, da müaß ma ’s in Gott’s Nam alloa versuach’n! Mathias, magst?“

Sie faßte ihn bei der Hand und sah ihn liebestrunken an.

Er umfaßte sie und drückte sie begehrlich an sich.

„Für Di verschreib’ i mei’ Seel!“ keuchte er, „für Di begeh’ i a Verbrech’n! I bin Dei’, thua mit mir, was D’ magst!“

Die Mutter hatte Recht, das war ein Rausch!




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