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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Wehr’ Di net,“ entgegnete David, „’s is umsonst – seg’n möcht’s? Den G’fall’n kann i Dir thua, i hab’s all’weil bei mir!“

Er langte in die Tasche seines Rockes. Mathias trat der Angstschweiß auf die Stirn. David weidete sich an dem verstörten Anblick des Andern und zog es nur langsam heraus. Es war ein Notizbuch in grünem Leinwandeinband, wie es nur die Forstleute mit sich zu führen pflegen. David ging ans Licht und schlug das Buch auf. Vorn war ein gedruckter Kalender, dann folgten mit Bleistift beschriebene Seiten, kurze Notizen – er blätterte ruhig weiter. Mathias ging es durch Mark und Bein, dieses Blättern!

„Da schau her,“ sagte David mit teuflischem Hohne, indem er das letzte Blatt umschlug. „Siehgst den blutigen Finger da und die Schrift: ‚Mathi..‘? Weita is er nimma komma, der Tod hat ihm ’s Schreib’n g’legt, aber ’s langt, daß a Jeda seh’n kann: Du hast ihn umbracht!“

Mathias starrte mit gläsernen Augen die zitterigen, verzerrten Buchstaben an, es dröhnte in seinem Hirn, als seien es die Donner des jüngsten Gerichts. Keuchend rang er nach Luft; sein Athem ging pfeifend aus und ein – plötzlich fuhr er auf, stürzte sich auf David und faßte nach dem Buch.

„Gieb’s her,“ keuchte er, „oder i erwürg’ Di, Schlang’, elende!“

Dieser röchelte nun unter den eisernen Griffen des Mathias, der ihm die Gurgel zusammenschnürte. Das Buch hatte er krampfhaft umklammert; er schien entschlossen, sein Leben an die Vertheidigung zu setzen. Da ließ ihn plötzlich Mathias los und stand wie vom Schlag gerührt. David war selbst erstaunt und – erbleichte auch, als er die Ursache davon erblickte.

Unter der Kammerthür stand eine weiße Gestalt, die sich gespensterhaft von der Dunkelheit hinter ihr abhob. Sie schien dem Grabe entstiegen mit ihren erstorbenen starren Zügen, nur die Augen bewegten sich unheimlich. Es war die Alte, die im höchsten Entsetzen über den wüsten Lärm herausgeeilt war. Ein Betttuch hatte sie umgeschlagen und hielt sich zitternd am Thürpfosten aufrecht.

„Mörder!“ schrie sie Mathias entgegen, drohend die Hand erhoben, „verfluchter Mörder!“

Der sank in die Kniee vor Grauen und Entsetzen!

In diesem Augenblick öffnete sich die Stubenthür und Anna trat ein; sie hatte eben ihre Arbeit beendet und im Stall von dem Lärm oben nichts gehört. Sie sah Mathias am Boden, die Mutter unter der Thür – etwas Furchtbares mußte sich ereignet haben – aber was denn um Gotteswillen?

Einen Augenblick schwieg Alles – wie Gewitterluft lag es schwül in der Stube.

Plötzlich trat die Alte vor, riß dem zitternden David das Buch hinweg, das er noch immer in der Hand geöffnet hielt und deutete mit dem Finger auf das verhängnißvolle Blatt. „Lies!“ flüsterte sie der Tochter zu.

Anna las und las, ihre Züge waren wie aus Blei gegossen.

„Dös is net mögli!“ stöhnte sie, „so schlecht kann koa Mensch sei!“ Dann sah sie auf Mathias, wie um Aufklärung bittend! Der stand zerknirscht da und sprach kein Wort.

„Also, do is mögli! Es giebt wirkli so a Thier, und Du bist’s, Mathias – mei Mann!“ sie schauderte zusammen wie von Ekel erfaßt, dann stöhnte sie auf wie eine schwer Verwundete.

„Den Mörder heirath’n! o! o! das is z’ viel!“

Sie sank in die Kniee.

Die Alte warf das Buch auf den Tisch und wankte wieder zurück nach der Kammer – ihr Athem stockte hörbar – vor der Thür fiel sie plötzlich zusammen. Anna erwachte darüber aus ihrem Taumel und eilte hin. Die Alte röchelte nur noch – David sprang ihr bei – Mathias war nicht mehr lebendig zu nennen – sie schleppten sie zum Bett.

„Muatter! Muatter!“ rief Anna, „nur jetzt net, nur jetzt verlaß’ mi net, Dein arm’s elend’s Kind! I ertrag’ sonst net all das Elend!“

Keine Antwort! – Der Gehirnschlag hatte sie getroffen!

Anna hing an ihren erschlaffenden Zügen, ihre Hand ruhte auf dem guten alten Herzen, das so treu, so warm für sie geschlagen – das sie gebrochen!

Schauerlich tönte das Röcheln der Sterbenden durch den Raum; dann verstummte es plötzlich – sie hatte es überstanden! – Mit einem Aufschrei, wie er nur aus einer gemarterten Seele tönt, stürzte Anna über das Bett.

David schlich der Thür zu; das hatte er nicht gewollt! Mathias war an Allem schuld. Er sah sich um. Auf dem Tische lag noch immer das Buch; Niemand dachte daran, es zu nehmen, selbst Mathias nicht, der stumpf und gebrochen bei Seite stand. David wollte das Spiel nicht verloren geben, griff danach und steckte es wieder zu sich.

„Man muaß si net rühr’n lass’n, morg’n is All’s wieder anders!“ dachte er sich im Stillen. „Mathias,“ rief er dann, ihn beim Aermel zupfend, „da geh’ ’nein, da giebt’s z’ thuan für Di! Gieb mir net Schuld, von mir hätt’ koa Mensch was erfahr’n!“ Dann schlich er hinaus, hier war er überflüssig vor der Hand.

Mathias ging hinein, ein neues Opfer lag vor ihm – o! eine Blutschuld, sie wälzt sich fort wie ein vom Gewitter erregter Bergbach, immer mehr anschwellend, zuletzt Alles überfluthend!

„Anna!“ rief er bittend – sie gab keine Antwort. „Anna! ’s war ja Nothwehr – koa Mord! Er oder i – net aus Eifersucht hab’ i’s ’than, i schwör’s bei unserm Herrgott, der mi richt’n wird.“

Jetzt stand sie mit einem Ruck auf.

„Daß d’n Rupert umbracht hast, dös kann i begreif’n. D’ Menschen san a mal so schlecht, daß ananda d’erschiass’n weg’n an Stück Wild, aber daß Du, der Mörder – die Ang’lobte von Dei’m Opfer heirathst, dös schreit zum Himm’l! so verruacht is!“

„D’ unbändige Liab zu Dir, Anna, war’s ja, die mi dös begeh’n liaß – nix als die Liab zu Dir, die mi zerfress’n hat Jahr um Jahr – dabei hab’ i Alles verlor’n, den Verstand und ’s Gewiss’n!“

„Ja! der verfluachte Rausch! – Müatterl, Du hast ja so Recht g’habt!“ und wieder sank sie weinend über den Leichnam. „A i hab’n g’habt, wia hätt’ i sonst den Rupert so schnell vergess’n kenna! Dös is d’ Straf dafür, i fühl’s und sie wird no ärger werd’n! Und was soll jetzt g’scheh’n? Der Hof was wir hab’n – wir selb’n g’hören ja jetzt dem David!“

„I zeig’ mi selb’r an!“ sagte Mathias fest entschlossen, „nacher is aus mit d’m David, und Du bist wieder Herr auf’m Hof und i – i büaß’ mei Verbrech’n wia sich’s g’hört! Vielleicht wird’s nacher wieder ruhig da drinn!“

„Dös geht net!“ fiel sie ein, „um dera liab’n Todt’n net! Sie hätt’ im Grab koa Ruah, wann so a Schand’ kam über dös Haus! Na, dös geht net, lieb’r All’s. – I will mit dem David red’n – will eam das Büchel mit Geld aufwäg’n, wenn er mir’s giebt!“

„Und nacher?!“ redete Mathias, „was is mit uns Zwoa? Kannst mi no anschau’n ohne Haß? Kannst no leb’n neb’n an Mörder? Fürchst net den Fluach in Dei’m Haus?“

„Mit der Liab is freili vorbei, da is Alles erstorb’n da drinn! Es handelt si jetzt nur no um d’ Hausehr! So viel Kraft hab’ i no, daß i mei ganz Load verbeiß’ und vor der Welt mit Dir leb’, als war All’s beim Alt’n! In Wirklichkeit aber san ma von heut’ ab uns fremd und hab’n nix mehr mit ananda g’moa als ’s Dach über uns! So woll’n ma’s halt’n und standhaft das Unglück trag’n, dann kann do wenigst’ns mei arm’s Muatterl in Ehr’n ruahn und koan Schand’ kummt auf’n Hof. Jetzt geh und unser Herrgott verzeih’ D’r den Frevel, den’s than hast – drei Menschenleb’n, Mathias! – Drei Leb’n hast auf’m G’wiss’n – wenn’s dös nur Alles d’ertrag’n kannst!“

Sie ging in die Kammer der Alten und steckte geweihte Kerzen an, nahm das alte zerrissene Gebetbuch der Mutter und war bald versunken in innigem Gebet. Die Kerzen flackerten bei dem linden Luftzug, der durchs offene Fenster kräftigen Heuduft hereinwehte. Große Nachtfalter gaukelten um die Flammen und stürzten sich todesmuthig in das blendende Verderben.

Anna war eingeschlafen vor Ermattung; das Buch entglitt ihren Händen – ihr bleiches Haupt ruhte neben dem der Todten – nur ihre leisen Athemzüge, welche die silbernen Haare der Alten sachte bewegten, unterschieden das Leben vom Tode, die sich hier umschlungen hielten!

(Schluß folgt.)


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