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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

gethan in der Leidenschaft, und a Freud', a Glück ziacht jetzt ei da drinn bei mir, wia i’s nia mehr g’hofft hab’!“

Noch einmal stürzten Thränen aus seinen Augen – diesmal aus Ueberfülle der Seligkeit.

Sie setzten sich auf die Bank vor der Hütte, Eins im Arm des Andern und erzählten sich ihr Leben und Leiden, oft unterbrochen von heißen Küssen, zuletzt verschmolz die Erzählung in seliges Liebesgeflüster. Sie merkten nicht, daß darüber der Abend kam.

Kein Lüftchen regte sich – die Strahlen der sinkenden Sonne ließen die Nebelballen unten purpurn erglühen und legten einen feierlichen Glanz auf die Häupter der alten Bergriesen ringsum. Friede breitete sich aus über der weiten, stillen Landschaft, Friede und Seligkeit in den Herzen der beiden Wiedervereinigten.

Auf dem Langhof ging nun ein neues Leben an.

Das Jahr darauf wurde dem Bauern ein kräftiger Bub von Anna geschenkt, er erhielt in der Taufe den Namen „Rupert“!




Kornblumen zum 22. März 1887.

Von Fr. v. Hohenhausen.

Reifendes Korn wallt im Sonnenschein wie ein goldenes Meer und schaukelt auf seinen glänzenden Wogen die blauen Blumen, die in ihrer Farbenpracht wie ein Stückchen Himmel aussehen, das frisch auf die Erde gefallen ist.

In der Wunderwelt der halbverklungenen Sage galt die „blaue Blume“ für das mystische Symbol der schönsten Regungen in der Menschenseele, als die Verkörperung des Ideals von Poesie und Glücksverheißung. Arme und Reiche, Dichter und Ritter suchten vergebens nach ihr, jetzt hat man sie aber gefunden; man weiß, daß sie Augentrost und Herzensfreude des größten lebenden Kronenträgers, daß sie die Lieblingsblume des Kaisers Wilhelm ist.

Die Weihe einer Kindheitserinnerung ruht für ihn auf der Blume des Feldes; schon im ersten Jahrzehnt seines Lebens wurde sie ihm dadurch theuer.

In dem unglücklichen Sommer von 1807 mußte die Königin Luise von Tilsit nach Memel flüchten. Die Reisewagen wurden mit Uebereilung hergerichtet und befanden sich nicht im besten Zustande. Die drei jüngsten königlichen Kinder fuhren mit ihrer Erzieherin und der Oberhofmeisterin, Gräfin Voß, voraus; die Königin nahm mit ihren beiden ältesten Söhnen, dem zwölfjährigen Kronprinzen Friedrich Wilhelm und dem zehnjährigen Prinzen Wilhelm, in einer Kutsche Platz, welche sich sehr bald als ganz ungeeignet erwies, die Ueberlastung von Koffern und Reisebedarf auszuhalten. Nach einer langsamen, beschwerlichen Fahrt brach plötzlich ein Rad, und die hohen Insassen standen hilflos auf der einsamen Landstraße. Der Kutscher spannte aus und schwang sich auf eines der Pferde, um aus einem der nahegelegenen Dörfer einen Schmied herbeizuholen. Dies gelang in kurzer Frist, eilfertig kamen die braven Gesellen herbei und hämmerten mit Eifer und Geschick an der baufälligen Kutsche. Aus den freundlichen hellen Augen der rußigen Gesichter schoß mancher bewundernde, aber ehrfurchtsvolle Blick nach der schönen Dame hin. Die Königin hatte sich geduldig in den Schatten einer Baumgruppe niedergelassen, welche an einem ausgedehnten Aehrenfelde lag. Mit kindlichem Vergnügen bemächtigten sich die beiden kleinen Prinzen der blauen Blumen, die dort in verlockender Pracht blühten, sie überschütteten die Mutter damit und baten sie, Kränze daraus zu flechten. Mit freundlicher Bereitwilligkeit erfüllte sie diese Bitte und wurde sichtlich heiter bei der lieblichen Beschäftigung.

Zum ersten Mal nach langer Zeit nahmen ihre edlen schmerzbewegten Züge wieder einen Ausdruck von Freudigkeit an. Der Kronprinz, der frühreifen Geistes war und sie stets mit liebevoller Sorge beobachtete, freute sich über ihren holden Anblick und sah es neidlos, daß sie den ersten fertigen Kranz auf die Stirn des jüngeren Bruders setzte, der sich schmeichelnd an ihre Kniee geschmiegt hatte. Er sah liebreizend aus unter der Blumenkrone, ganz wie ein Engel, der Trost spenden wollte. Die Königin küßte ihn zärtlich und empfand alle Wonne des Mutterstolzes.

Ach, hätte sie doch ahnen können, daß dieser Sohn einst ihr geliebtes Deutschland zum glänzendsten Siege führen und alle ihre Demütigungen durch höchste Ehren aufwiegen würde! Welch ein köstlicher Balsam würde eine solche Ahnung für die schmerzenden Wunden der königlichen Dulderin gewesen sein! Als sie so friedlich am Rande eines reifenden Kornfeldes unter Blumen mit ihren geliebten Kindern saß, konnte sie wohl auf Augenblicke die Qualen vergessen, welche der erbarmungslose Korse ihr erst kurz vorher bereitet hatte. Auf seine Einladung oder vielmehr auf seinen Befehl war sie nach Tilsit gekommen, um den Besuch des Eroberers wie eine Gnade zu empfangen.

Die Königin wohnte in Tilsit in zwei ärmlich eingerichteten Zimmern, in demselben Bürgerhause, worin ihr Gemahl logirte. Eine dunkle schmale Treppe mußte der Machthaber ersteigen, um ihr den verheißenen Besuch abzustatten. Er hatte sich eingestandener Maßen vor demselben gefürchtet, weil der enthusiastische Schönheitskenner Alexander I., damals noch sein guter Freund, ihm so viel von den bezaubernden Reizen der Königin erzählte hatte, daß er sich nicht für widerstandsfähig genug hielt. Er war ersichtlich in aufgeregter Stimmung und fühlte gewiß das Verlangen, den Tyrannenhochmuth zu befriedigen, die Besiegten auch noch zu kränken. Aber doch besaß er noch jugendliche Männlichkeit genug, um einer schönen Frau gegenüber sich ritterlich benehmen zu wollen. Er hatte sogar elegante Toilette gemacht und sprengte auf einem hübschen arabischen Grauschimmel, mit einem Versuch koketter Reitkunst, bis dicht unter die Fenster der harrenden Königin. Sie hatte ihn kommen sehen und mußte Zeugin sein, wie ihn die glänzende Suite seiner Generale enthusiastisch begrüßte: mehrere hohe Würdenträger stürzten sogar herbei, um ihm die Steigbügel zu halten. An der Thür standen König Friedrich Wilhelm III. und einige Prinzen zum Empfange bereit. Der kaiserliche Emporkömmling grüßte sie mit der zierlichen Reitpeitsche, dann nahm er den Hut ab und stolperte laut die schlechte Treppe hinauf. Die Königin eilte ihm entgegen und sagte: „Sire, ich bedauere es lebhaft, daß Sie über diese unbequemen Stufen sich zu mir bemühen müssen.“

Er antwortete artig sich verbeugend: „Um zu einem solchen Ziele zu gelangen, scheue ich keine Hindernisse.“

„Für einen Günstling des Glücks, wie Sie es sind, Sire, giebt es auch keine.“

„Das hätten Eure Majestät früher bedenken sollen, anstatt mir thörichter Weise den Krieg zu erklären,“ unterbrach Napoleon die erschrockene Königin.

Sie erwiederte hierauf das denkwürdige Wort: „Wir waren auf den Lorbeern des großen Friedrich eingeschlafen; sein Ruhm täuschte uns über unsere Macht.“ Dann wendete sie sich mit geistvoller Beredsamkeit und rührender Bitte an den Eroberer, um ihn zur Milde gegen Preußen zu stimmen, namentlich um ihr geliebtes Magdeburg wieder zu gewinnen. Die berühmte Scene mit der Rose, die sie ohne Magdeburg nicht von ihm annehmen wollte, spielte sich bei diesem Besuche ab. Napoleon brach eigenhändig eine Rose von einem Stock am niedrigen Fenster und wollte sie der Königin geben. Als sie dieselbe nicht gleich nahm, weil sie zugleich Magdeburg verlangte, sagte er mit rauhem Tone. „Madame, Sie vergessen, daß Sie mir keine Bedingungen vorschreiben dürfen.“

Nach dieser Beleidigung mußte die Königin noch zwei Tage in Tilsit aushalten. Napoleon gab ihr zu Ehren ein glänzendes Mittagsmahl, wobei sie zwischen ihm und Alexander I. saß. Beide Kaiser überboten sich an Artigkeit gegen sie, aber sie vermochte nicht daran zu glauben und fühlte auch mit Schmerzen die Nichtachtung, welche beide Machthaber ihrem Gemahl bewiesen. Napoleon soll namentlich zu seinen Hofschranzen von dem „Marquis de Brandebourg“ gesprochen haben. Letztere unterstanden sich, den edlen bescheidenen Monarchen, der, gebeugt durch sein Unglück, sich sehr schweigsam und ernst verhielt, den „Ritter von der traurigen Gestalt“ zu nennen. Die Königin bestrebte sich, durch die Beweise der innigsten Liebe und wahrhaften Verehrung ihren Gemahl aufzurichten. Nicht sein Muth war gebeugt, aber sein Gemüth verdüsterte sich. Hätte es gegolten, sich dem Feinde entgegen zu stellen, er wäre mit Feuereifer an die Spitze seiner Armee getreten, aber die Fesseln, welche der schmachvolle Frieden ihm auferlegte, drückten ihn nieder. Als er in Memel wieder mit seiner Familie vereinigt war, erheiterte sich sein Gemüth unter der liebevollen Einwirkung der Königin, welche ihn die Segnungen des häuslichen Glückes mitten in Entbehrungen kennen lehrte. Der königliche Haushalt war ganz bürgerlich einfach eingerichtet, das Ehepaar überlegte gemeinschaftlich den Küchenzettel, um ihn möglichst billig herzustellen. Der König trug den Regenschirm und führte seine Gemahlin am Arme oder ein Kind an der Hand. Die Wohnung war ein Gartenhäuschen, welches ein wohlhabender Bürger von Memel dargeboten hatte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_192.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)