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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Rendez-vous der ersten Gesellschaft, in die sich in karnevalistischer Freiheit die ganze Demimonde Nizzas, das heißt zu dieser Jahreszeit die Demimonde von Paris, zu mischen pflegt. – Neben der vornehmen Weltdame in unnachahmlich geschmackvoller Toilette die Pariser Cocotte in ihrer auffälligen Tracht – neben dem Glücksritter und Abenteurer die ersten Namen Europas. Doch das sollte ja heute nur ein Vorspiel sein zu der morgigen großen Redoute, dem großen Bacchanal von Nizza.

 Partie aus San Remo.
Straße in San Remo. 

Ein herrlicher Morgen und Nizza siegestrunken – Nike! Die Narrheit ist schon wach in allen Straßen und wirbelt in tausend Gestalten, in tausend Farben durch einander. Fuhrwerke aller Art, mit farbigen Teppichen und Guirlanden behangen, durcheilen die Stadt, sich für die Schlacht anbietend. Säcke voll der Confetti, kleiner Kalkkügelchen, werden feilgeboten, dazu leichte Drahtmasken zum Schutze des Gesichtes. Herren und Damen, Alles ist vermummt in dicht schließende Dominos, oder in Ermangelung eines solchen kehrt man seinen Ueberzieher um, trägt ihn dicht zugeknöpft mit dem Futter nach außen, drückt den Hut tief in das von der Maske geschützte Gesicht und erwartet nun getrost jeden Angriff. Ganz Nizza ist so gerüstet, hoch und niedrig; heute gilt nichts – nicht Rang, nicht Alter, nicht Armuth, nicht Reichthum; über Alle schwingt Prinz Karneval sein Narrenscepter. Um zwei Uhr beginnt der Zug. Die Waffe ist heute eine andere, weniger liebenswürdige, daher auch die Armirung der Truppen eine dem angemessene. Den Zug eröffnet eine Schar Reiter in geschmackvollem Phantasiekostüm aus weißer Seide; ihre unbedeckten Gesichter verlangen Schonung, nur hier und da wird eine Hand voll gegen sie geschleudert; auch hinterlassen die „Bonbons“ auf ihrer weißen Kleidung keine Spuren – das reizt die Menge nicht.

Große Brückenwagen mit Burgen und Tempeln, mit Zelten und phantastischen Dekorationen in allen Farben nahen sich in endlosem Zuge; ihre Insassen, Herren und Damen in reichen, der Farbe und Art der Wagen angemessenen Trachten, überschütten die Fußgänger mit den prasselnden Confetti und werden ihrerseits von den Fenstern und Balkons arg mitgenommen; auch unter der Menge selbst pflanzt sich das Bombardement fort; die Kunst besteht darin, dem Gegner die volle Ladung in die Maske zu geben.

Der Muthwille, die tolle Laune wächst ins Unendliche, Masken umschwärmen die Wagen. Das Menschengewoge, das Spiel der Farben im grellen Sonnenschein mitten in dieser lieblichen Landschaft spottet jeder Beschreibung.

Mit ihrer ganzen Majestät umgürtet, sank die Sonne in das dunkelnde Meer, langsam, erhaben, und ihre letzten Strahlen küßten das liebe ausgelassene Kind. „Gute Nacht, treib’s nicht zu toll – auf Wiedersehen!“ Immer tiefer sank der feurige Ball – noch ein rothes Pünktchen, wie die Flamme des Leuchtthurms. Auf Wiedersehen! Sie ahnte wohl selbst nicht, die Gute, Segenspendende, wie das werden sollte, das Wiedersehen!

Die eigentliche Schlacht ist zu Ende, und man erblickt die Kehrseite des Karnevals. Korybantenscharen durchziehen die Straßen beim betäubenden Klange von Pfeifen, Trommeln und anderen Instrumenten. Die heitere Lust, das rosenbekränzte, liebliche Kind ist verschwunden; die Sitte ist gewichen; wüste Leidenschaft schwingt jetzt das flammende Scepter.

Em unsagbares Sehnen erfaßt mich, diesem Hexenkessel zu entrinnen, der einen so brodelnden, schmutzigen Gischt aufwirft.

Aber wohin? Heute Abend sollte ja erst dem Feste die Krone aufgesetzt werden. Ich konnte nicht mehr; der Kopf schmerzte. Ich drängte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_212.jpg&oldid=- (Version vom 27.3.2023)