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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

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Sie glitt vor Lucie auf die Erde und umfasste ihre Kniee. „Lucie, Du mußt es hören, mußt wissen, daß ich ihn liebe, daß ich ihn Dir nicht gönnen will, nein – ich will, ich kann es nicht! Sage mir die Wahrheit, was ist hier eben geschehen? Bin ich ihm gleichgültig geworden? Hat er Dir – gestanden?“

Lucie sprang empor, bebend, glühend. Sie faßte sich an die Stirn und stieß mit der andern Hand die junge Frau zurück, die noch immer auf den Knieen vor ihr lag.

„Sprich, Lucie!“

„Ja!“ sagte das Mädchen mühsam die Worte hervorstoßend, „ich will sprechen – ich breche mein Wort, aber Du, Du bist schuld daran, nicht einen Augenblick darf ich die Rechtfertigung des Mannes aufschieben, der hier eben vor mir gestanden. Er trug mir Grüße auf für Dich, er bat mich, Dir zu sagen, daß er Dich mehr geliebt, als Du je geahnt, er bat mich, Dich nicht zu verlassen, wenn –“ sie stockte.

Hortense verharrte regungslos; ihre weiße Gestalt zeichnete sich deutlich ab gegen den dunklen Teppich, auf dem sie knieete.

„Wenn ihn ein Unglück treffen sollte,“ vollendete Lucie, „er schießt sich mit Rostau Deinetwegen.“ Das Letzte war fast unverständlich.

Hortense gab keinen Laut von sich.

„Steh’ auf!“ sagte Lucie fast rauh. „Dort in dem Schreibtisch liegt sein Abschiedsbrief.“ Und sie faßte den Arm der jungen Frau. „Steh’ auf! Ich konnte Dir diese Stunde nicht ersparen, Deinet- und seinetwegen nicht. Ich will bei Dir bleiben bis morgen, wie ich ihm versprach, und Dir tragen helfen; dann gehe ich. Komm, fasse Dich!“

Hortense richtete sich empor, langsam, als sei sie nicht Herr ihrer Glieder.

„Den Wagen,“ flüsterte sie, „ich will zu ihm; den Wagen!“ Und sie war im nächsten Augenblick an der Thür und drückte den Knopf der elektrischen Klingel.

„Wozu das?“ sagte Lucie, „wir wissen Beide nicht, wohin er gefahren. Sieh ein, daß, selbst wenn Du ihn erreichen könntest, Dein Erscheinen ihm unnütze Aufregung bereiten würde in einem Augenblick, wo er so besonnen wie möglich bleiben muß. Eine Flasche Selterswasser!“ wandte sie sich an den Diener, der eben eingetreten war. Nun trat sie nahe zu der jungen Frau „Fasse Dich, ertragen muß es sein; ich konnte nicht anders handeln!“ Ihre Stimme hatte einen ungewohnten Tonfall, aller Klang schien daraus entschwunden und als sie das Licht auf dem Schreibtisch anzündete, trafen seine Strahlen unheimlich veränderte Züge. Es war das weiche traurige Mädchenantlitz nicht mehr; es war ein hartes Gesicht, dessen Lippen im Schmerz zuckten.

Hortense saß wie vernichtet auf dem kleinen Stuhle, dessen Lehne, aus dem Geweih eines Schauflers hergestellt, ihr kaum eine Stütze bot. Sie hielt die Hände in einander gelegt auf dem Schoß und starrte vor sich hin.

„Trinke,“ bat Lucie und reichte ihr ein Glas Selters, das sie eben eingeschenkt.

Hortense hob den Blick, und die Beiden sahen sich an; in den Augen Luciens lag der Ausdruck, den Hortense schon einmal gesehen, als nach Empfang der Todesnachricht Mathildens das Mädchen vor sie getreten war, drohend und verächtlich.

„Lucie, verlaß mich nicht!“ stotterte sie.

„Ich bleibe bei Dir, bis er wiederkehrt, Hortense.“

„Bis er wiederkehrt! Wird er wiederkehren? Nein, Lucie, ich ertrage die Qual nicht, ich glaube, ich verliere den Verstand!“

Sie schritt im Zimmer auf und ab und blieb vor dem Schreibtisch stehen. „Wo liegt der Brief?“

„In dem oberen Schube, rechts. Hier ist der Schlüssel.“

Hortense nahm mit zitternden Händen das Schreiben von der bezeichneten Stelle, setzte sich an den Tisch und las:

„Wenn Du dieses Blatt Papier in der Hand hältst, so bist Du frei, Hortense, bist Du Wittwe. Fast wünsche ich, daß ich nicht umsonst geschrieben: sehe ich doch, daß Du nicht glücklich neben mir bist; glaub’ ich doch zu wissen, daß Du nie ein Herz zu mir fassen wirst. Ich habe schwerer darunter gelitten, als ich es Dir zeigte. Zürnen darf ich Dir nicht. Du hast mir nie eine Zuneigung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_229.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)