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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

geheuchelt; es war vermessen von mir, zu glauben, daß eine so treue tiefgefühlte Liebe, wie ich sie Dir entgegengebracht, nothwendig früher oder später Erwiederung finden müsse. Ich habe mich geirrt! Das ist meine Schuld! Ich schlage mich mit Rostau, Du wirst das Nähere von Lucie erfahren.

Leb’ wohl, Hortense, hab’ Dank auch für das Wenige, was Du mir gegeben; mögest Du glücklicher sein in Deinem späteren Leben! Waldemar.“ 

Eine dunkle Röthe hatte allmählich ihr Gesicht überzogen; sie breitete die Arme über das Papier und barg ihr Gesicht hinein, ihr Körper bebte. „Er wird sterben, weil ich ihn liebe – um meinetwillen! Und ich kann ihm nicht mehr sagen, daß er mir so theuer ist wie Nichte auf der Welt!“

Wieder sprang sie auf „Rede, weßhalb er Rostau forderte! Bloß weil er sich taktlos benahm? Er hat ja nicht hören können, was dieser Mensch zu mir sprach.“

„Er hat Deinen Vater und Dich beschimpft, Hortense. Erinnere Dich des Briefes, den Peter brachte, als Ihr eben zum Standesamt fahren wolltet! Dein Mann hat sich damals schon vorgenommen, ihn zu fordern, wußte aber nicht mit Bestimmtheit, ob er wirklich der Schreiber sei, und außerdem hielt sich Rostau bis jetzt in Schweden auf.“

„Waldemar wußte von Papa? Wußte –?“

„Alles, Hortense, schon ehe er ein Wort mit Dir gesprochen, ehe er Dich gekannt.“

„Er ist in A., Lucie, ich weiß es!“ rief die junge Frau, „wo sollte er sonst auch sein? Rostau’s Gut liegt in der Nähe. Ich muß ihn sprechen – hörst Du – ich muß! Ich fahre hinüber, hindere mich nicht!“ Abermals klingelte sie, daß es durch das Haus scholl. „Er muß in A. sein, glaubst Du nicht? Lucie, ich bitte Dich, sprich ein Wort! Die Hella vor den kleinen Wagen, und halten Sie sich bereit, mitzufahren!“ befahl sie dem eintretenden Diener.

Stillschweigend trug Lucie Sachen herzu. Tücher und Mäntel, und stumm schwang sie sich neben Hortense auf den hohen Sitz. Und nun sauste das feurige Thier mit dem leichten Gefährt durch die dunklen Alleen des Parkes und flog in das Freie. Der Mond sandte durch Wolken ein schwaches Dämmerlicht, wie ein weißer endloser Streifen lag die Chaussee vor ihnen. Hortense ließ das Thier wie rasend gehen; die ganze große Leidenschaft, deren sie fähig, preßte sich auf ihrem schönen Gesichte aus, das unter dem dunklen Filzhütchen wie Marmor hervorleuchtete. Beide schwiegen.

Sie hatten ein Dorf zu durchfahren, es lag schon im tiefen Schlafe; aus den kleinen Gärten kam der Duft von Reseda, hier und da war noch ein Fenster hell, ein Hund wurde wach und bellte hinter dem Wagen drein. Vor dem Chausseehause am Ende des Dorfes lag der Schlagbaum nieder, Hortense pochte mit dem langen Peitschenstiel an das Fenster. Niemand antwortete. Eine furchtbare Ungeduld malte sich in ihren Zügen.

Plötzlich wandte sie um, fuhr im Trab ein Stück zurück, bog in einen Feldweg und kam jenseit des Chausseehauses durch den nicht allzu tiefen Graben wieder auf die Landstraße. Das Gefährt hatte dabei fast auf der Seite gelegen. Der Diener murmelte etwas zwischen den Zähnen, sie schien es nicht zu bemerken. Lucie hatte sich krampfhaft an die niedrige Sitzlehne gehalten, sie sah noch blasser aus als vorher, aber kein Schreckenslaut war über ihre Lippen gekommen. Hella sprang nach einem Peitschenhieb in Galopp an, der sich in einen schlanken Trab verlor, und da, am Ende des Weges, schimmerten bereits die Thürme der Stadt.

Nach wenig Minuten rasselte der Wagen über das Pflaster der stillen Gassen und hielt vor dem einzigen anständigen Hôtel des Ortes, dem Gasthof zur „Goldenen Forelle“. Das Thier zitterte und war mit Schaumflocken bedeckt, Hortense hatte kein Auge für den sonst so gehätschelten Liebling. Ein Kellner kam schlaftrunken aus dem schwach erleuchteten Thorwege daher, und der Hausknecht läutete die Glocke.

„Ist Herr Weber aus Woltersdorf hier?“

„Nein, gnädige Frau.“

Die Hand mit dem Zügel sank herab. „Nicht hier? Wirklich nicht?“ klang es noch einmal mit versagender Stimme.

„Nein!“

Sie lenkte um. Schritt vor Schritt fuhr sie zurück.

„Gnädige Frau nehmen den falschen Weg. Bis E. kommen wir nicht mehr mit der Hella, es sind über drei Meilen,“ wagte der Diener zu erinnern, als sie vor der Stadt rechts ablenkte.

Sie mochte es einsehen und zog das Thier zurück.

„Sie hinkt stark, gnädige Frau.“

Es war in der That so. „Es sollte nicht sein!“ murmelte sie.

Langsam, wie ein Trauerwagen, fuhren sie durch die kühle Nacht die zwei Meilen zurück. Als sie in Woltersdorf ankamen, lag schon das Morgengrauen über Park und Schlößchen; in den Kastanien lärmten die Sperlinge und auf dem Hofe war es bereits lebendig. Feucht vom Nachtthau und erfroren betraten sie das Haus. Hortense ging wieder in sein Zimmer, Lucie bestellte Thee. Sie trat dann einen Augenblick in ihre Stube, um ein wärmeres Kleid anzuziehen. Da knisterte ein Papier in der Tasche, schreckhaft kam ihr die Erinnerung an den Kranken in Hohenberg; jetzt durfte sie Hortense nichts sagen. Sie setzte eine Depesche auf mit der Anfrage, wie es heute gehe? Herr Weber sei leider abwesend, Hortense nicht wohl, und sie habe deßhalb gezögert, es ihr mitzutheilen, sie bitte um Nachricht.

Sie kam wieder herüber und saß getreulich neben Hortense. Erschöpft und fiebernd lag die junge Frau auf dem Sofa; Frau Rein blickte ab und zu mit besorgter Miene herein.

Kein Wort war noch gewechselt zwischen den Beiden. Als die ersten Sonnenstrahlen durch das Fenster lugten, griff Hortense nach des Mädchens Hand:

„Bete für mich – ich kann nicht!“

Lucie holte das kleine in schwarzen Sammt gebundene Gebetbuch Hortense’s, in dem für jeden Tag des Jahres ein Bibelspruch verzeichnet war. Sie schlug den 8. September auf: „Sei getreu bis in den Tod,“ las sie. Es war merkwürdigerweise der Trauspruch.

Die junge Frau wandte sich ab, die Hände vor dem Gesicht gefaltet; so blieb sie regungslos. Unheimlich still war es; die Dienerschaft schlich auf den Fußspitzen umher, als sei ein Todter im Hause. Im Eßsaal klirrten leise Teller und Tassen und scheu lugte der Kopf der alten Rein in das Zimmer.

„Fräulein, was auch geschehen sein mag, essen Sie etwas, sorgen Sie, daß auch die Gnädige etwas nimmt! Essen und Trinken muß der Mensch, wie will er sonst Schweres ertragen!“

Lucie trank ein paar Schlückchen Thee, Hortense wies Alles zurück.

Wer weiß genau zu sagen, wie solche Stunden vorüber gehen? Es wurde hoher Morgen, es wurde Mittag, das Bild im Zimmer des Hausherrn war dasselbe noch, zwei schweigende Frauen, auf denen der Bann der Angst lag, die sie so starr machte, als hingen sie an einem Abgrund und die leiseste Bewegung lockerte das Bischen Boden, auf dem ihr Fuß noch schwebte, um mit ihnen hinabzustürzen. Mitunter zuckte Hortense empor, dann schien es ihr, als habe sie einen Wagen gehört.

Lucie schickte Frau Rein endlich nach dem Thurmzimmer, und die Alte stand dort und schaute, die Hand über die Augen gelegt zum Schutz gegen die strahlende goldene Septembersonne, und spähte nach der Anhöhe, über welche die mit Ebereschen besetzte Chaussee lief, und nach dem Wagen ihres Herrn. Lieber Himmel, was mochte dort unten wieder für ein finsteres Stückchen Schicksal durchgekämpft werden? Sie glaubte nicht an das Märchen, das Fräulein Walter ihr vorgesprochen; sie war zu lange schon auf der Welt und hatte Manches erlebt. Hühnerjagd? Ja, ja, sie kannte das, sie hatte es einmal mit angesehen, wie von solcher Jagd Einer starr und leblos hereingetragen worden, „ein unglücklicher Zufall“ hatte es geheißen. „Gott schütze unsern Herrn vor solchem unglücklichen Zufall! Der schlechte Mensch, der Rostau!“

Und endlich kam etwas über den Berg und bewegte sich langsam vorwärts. Die alte Frau hatte scharfe Augen, sie meinte Pferde und Wagen zu erkennen, es machte sie nur irre, daß Johann gar so langsam fuhr, es war seine Art nicht. Sie stand und stand; nun waren es doch die Füchse, die so mager und hungrig aussahen und so rasch laufen konnten. Sie stieg eilig das schmale Treppchen hinab und winkte unter den Thürvorhängen verstohlen Lucie zu.

„Was ist’s?“ fragte Hortense, die gefühlt, daß das Mädchen sich von ihrer Seite erhob, und in ihren Zügen spiegelte sich eine tödliche Angst.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_230.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)