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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

seinem Töchterchen Olga davor – als Bittende waren sie gekommen, Arbeit suchend, Arbeit für Olga’s fünfzehnjährige Kinderhändchen Es war in der Zeitung der Köder: „Leichter Verdienst für Damen“ ausgeworfen worden: ein renommirter Verlag, der geschickte Hände zum Koloriren brauchte.

„Papa! ach ja, Papa! Ich gehe hin, ich melde mich! Wozu nützt mir sonst mein Zeichentalent?“

Das herzige Kind war ganz Begeisterung.

Papa war erstaunt – er verstand nicht sofort. Was? Sie wollte gleich einer Tagelöhnerin sich hinsetzen und Bilder koloriren? Die Tochter des Oberstlieutenants Freiherrn von Gamlingen?

„Aber, Papa, was ist dabei? Es ist ja nur des Scherzes wegen. Ich werde mich kostbar amüsiren. Versuchen kann man es doch!“

O, es gab so noch so viel Zeit unterzubringen! Es war ja nicht dies niedliche Persönchen mit seinem klugen Blondkopf, nein, es waren gewiß die unsichtbaren Heinzelmännchen, welche die Wirthschaft des Vaters so musterhaft blank in Ordnung hielten – wer könnte sich auf eine plumpe und übelnehmende Aufwärterin verlassen? O gewiß, die fünfzehnjährigen Händchen waren ja nur so rauh vom Klavierspielen und die allerlei kleinen Narben rührten vom Romanlesen her.

Es war wie ein Schreck, der den guten Papa überfiel. Man hätte es ihm allmählich beibringen können; aber dergleichen Annoncen spornen zur Eile. Sie hatte nicht bedacht, wie unvorsichtig sie damit die ganze Situation bloßlegte. Nun ja, die Verhältnisse waren nicht glänzend, das Vermögen des Freiherrn war durch allerlei Zufälle in den letzten Jahren immer mehr zusammengeschmolzen, die beiden Brüder, die in kostspieligen Regimentern standen, hatten tüchtig von der väterlichen Schatulle gezehrt, und man wollte den braven Jungen nicht den Tort anthun und sie in obskure Regimenter versetzen lassen. Es war noch ein Dritter da; an der Wand des Wohnzimmers hing das verblaßte Daguerreotyp eines jungen Menschen im Maskenanzuge. Sie wußte: es war der Aelteste. Sie erinnerte sich nur ganz dunkel aus ihrer frühesten Kindheit seines Gesichtes und eines gewissen, immer wiederkehrenden Alarms, den seine Streiche im Hause verursachten. Dann erlosch seine Spur. Papa sprach nicht von ihm, nicht mit ihr, die doch sonst in alle seine Verhältnisse eingeweiht war. Zuweilen, wenn die beiden Brüder zu Besuch waren, ließen diese scharfe verdammende Worte über ihn fallen. Aber der Vater vertheidigte ihn immer wieder, sein Herz vermochte sich nicht von dem Herzen des unglücklichen Verlorenen loszureißen. Manchmal kamen Briefe an, die der Alte verheimlichte; sie wußte auch, daß die nur zu bereitwillige Schatulle sich eben so heimlich gewisser Geldsendungen entledigte.

Der Freiherr hatte nach dem Tode der ersten Gattin abermals geheirathet. Die Erkorene war die Wittwe eines entfernten Vetters von Gamlingen und Mutter des niedlichen Blondkopfes Olga. Doch auch dieses Band zerriß der unerbittliche Tod nach kurzer Frist, Olga war vier Jahre alt, als ihre Mutter starb. Sie bewahrte von der Verklärten nur die dunkle Erinnerung einer zarten, blassen Gestalt, die ihr kleines Dasein mit lautlosen Engelsfittichen umschwebt hatte. Doch ihr Andenken schien im Laufe der Jahre zu einem immer deutlicheren Bilde in der rührenden Verehrung heranzuwachsen, welche Stiefvater und Stiefbrüder der Verstorbenen widmeten.

Stiefvater – Stiefbruder – die häßliche Silbe „Stief“ – sie wollte nichts davon wissen! Warum hatte sie überhaupt davon erfahren, daß Papa nicht ihr leiblicher Vater? Konnte sie sich denken, daß es eine Kindesliebe gab, die sich das Recht anmaßte, stärker und echter zu sein, weil sie im Blute wurzelte? Trug sie denn nicht denselben Namen wie ihr Vater?

Der Krach eines Bankhauses ließ das Vermögen bis auf einen winzigen Rest auffliegen, und man war fortan auf die bescheidene Pension angewiesen. Welches Elend, unter der Last solches Namens Noth zu leiden! Aber man muß tapfer sein! Nun gerade wollte Olga zeigen, daß sie eine Trutz-Gamlingen ist! Ist denn Arbeit eine Schande?

Wie sie zugriff! Wie sie ihre zehn Heinzelmännchen in der Wirthschaft leistete! Welch eine Heldin, dies Kind, das mit seiner Fröhlichkeit selbst die grauesten Tage sonnig verklärte!

Der Freiherr selbst hatte es mit einer Stellung versucht. Er war alt, er war Kavallerie-Officier gewesen; das Vorurtheil, einer anderen Sache zu dienen, die nicht die Etiquette „Königlich“ trug, beengte ihn, und der Name schmerzte ihn bei jeder Bewegung wie ein Dorn; in der subalternen Luft eines Bureaus wäre er erstickt. Er war von Versuch zu Versuch getastet, man hatte ihn zuletzt in das Kuratorium einer größeren patriotischen Stiftung gewählt, wo er über das Bedürfniß hinaus sich abmühte für das geringe Honorar, das an dem Amte hing und das ihn wie ein Almosen zu bedrücken schien.

Da warf die Firma Belzig den Köder aus. Es wäre eine verschämte Arbeit, die nicht anstrengen würde und die mit dem Namen nicht in Konflikt käme. Am Nachmittag standen Vater und Tochter vor dem glänzenden Schild in dem vornehm dämmerigen Treppenhause am Lützowufer, dessen reichlicher Pflanzenschmuck eine würzige Treibhausluft verbreitete. Endlich wurde geöffnet; ein Kontorist nickte barsch und wies die Bittsteller nach einer zweiten Thür, man bäte Platz zu nehmen da drinnen.

Die Aufforderung war wohl nur ein Hohn? Sie wären auf der Schwelle fast umgekehrt: ein großer Saal, der mit Wartenden und Bittenden gleich ihnen angefüllt war. Die ganze verschämte Armuth des Potsdamer Viertels schien sich hier ein Rendez-vous gegeben zu haben. Damen jeglichen Alters, von dem Backfischchen mit bebändertem Zopf, das mit naiver Neugier sich der Neuheit dieser Situation fast zu freuen schien, bis zu dem verhärmten Mütterchen, das mit bebender Angst die Konkurrenz immer noch anwachsen sah. Die wenigen Stühle waren besetzt; man stand umher, in den Fensternischen, an den Wänden, in der Mitte des Saals, die meisten nach der Thür hingedrängt, die sich von Zeit zu Zeit öffnete, um eine der Konkurrirenden in das Allerheiligste vorzulassen. Es gab allerlei Toiletten, einzelne scheinbar elegante, die sich aber dieser Eleganz an solchem Orte schämten und sich in den Winkeln zu verbergen suchten, andere, die in ihrer zusammengerafften Originalität sonst gewiß ein Lächeln hervorgerufen hätten, und auch das fadenscheinige zusammengeflickte Elend, das sich mit der Eleganz zusammen in den Winkeln drückte. Die verhärmten, die blassen, ja die offenbar krankhaften Mienen herrschten vor – man hätte glauben können, sich in dem Wartezimmer eines berühmten Arztes zu befinden. Von wieviel grausam zerstörten Illusionen, von wieviel zerbrochenen Lebenshoffnungen erzählten diese Gesichter! Aus einigen grinsten die Noth und der Hunger in erschreckender Hohlheit. Nur hier und da wurde ein Gespräch angeknüpft, das gleich wieder einsickerte; man schämte sich vor einander, man wand sich hin und her, um nicht gesehen zu werden; man musterte sich mit mißtrauischen Blicken; eine peinliche Stille der Verlegenheit lag über dem dumpfen Raum.

„Komm, Kind, hier ist nichts für uns,“ flüsterte der Freiherr.

„Aber, Papa, das weißt Du ja nicht, wir müssen doch abwarten.“

Und in den lachenden, auch hier noch lachenden Augen seines Kindes fand der alte Herr den Muth, in der Scham dieser Stunde auszuharren, die Bilder an den Wänden immer von Neuem zu betrachten, immer von Neuem sich mit den Anderen nach der sich öffnenden Thür umzuwenden, die eigene Ungeduld niederzuhalten, während die Pein des langen Harrens die nervöse Unruhe ringsum steigerte. Ja, es war eine bittere Stunde der Demüthigung.

„Papachen liebes Papachen …“ Wie das gute Kind mit seinem süßen Geplauder ihn zu zerstreuen suchte! Wie ihr köstlicher Humor der Scenerie die komische Seite abzugewinnen wußte! Und von Zeit zu Zeit ein Trosteswort: „Jetzt sind wir noch dreißig – jetzt nur noch vierzehn –“

Endlich kam die Reihe an den Freiherrn und seine Tochter. „Papa, laß mich gehen!“ wehrte sie, da er mit in das Heiligste eintreten wollte. Sie bestand darauf, dem Vater die neue Demüthigung eines Examens da drinnen zu ersparen.

Und siehe da, nach einigen Minuten kam Olga mit strahlendem Gesichtchen zurück. „Angenommen, Papa! Meine Aquarelle müssen wohl Gnade gefunden haben vor diesen Brummbären.“

Sollte es nicht die naiv vertrauende Fröhlichkeit des Gesichtchens gewesen sein, welche die Brummbären besiegt, oder hatten die paar unbeholfenen Blumenstücke, über die man mitleidig lächelte, den Ausschlag gegeben?

Von nun an saß die kleine Heldin viele Stunden des Tages an dem zum Fenster gerückten Tisch und kolorirte. Anfangs eine lustige Arbeit! Es gab immer noch zu lachen über den possierlichen Ernst der Figuren, die auf ihre Farben warteten, und über die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_238.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)