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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

stilgerechtes Ansehen zu geben. Das ist ja nun wohl überall so, wo in einer Stadt frisches Leben pulsirt. Aber von der schwäbischen Hauptstadt ist es doch besonders bemerkenswerth, weil in ihr so gar lange die Kunst auf die akademischen Kreise eingeschränkt und sorgsam vor der Berührung mit dem Leben auf der Straße verwahrt worden ist, und nun treibt und sproßt und blüht das Kunstgewerbe an allen Ecken und Enden und überwuchert lustig mit seinen Ranken die puritanische Nüchternheit von ehedem.

Auch der älteste Platz der Stadt, der Marktplatz (vergl. Vignette S. 244), hat nach Kräften sein alterthümliches Gewand stilgemäß aufgefrischt. Zwar das Rathhaus selbst will nicht viel bedeuten, nachdem ihm die Prosa der Zeit vor fünfzig Jahren die zierliche Renaissance-Ornamentik vom Haupte gerissen hat. Es ist längst zu klein und soll in Kurzem einem Neubau weichen. Aber der „Gasthof zum Adler“ z. B., wo der alte Schubart einst nach den bösen Aspergszeiten allabendlich im lustigen Kreis die Funken seines Witzes sprühen ließ, und die ganze gegen die Stiftskirche gelegene Seite mit den hohen Giebeldächern, den traulichen Erkerbauten, den steinernen Heiligen unter zierlichen Baldachinen erinnert noch trefflich an die alten Zeiten, da der Marktplatz der Mittelpunkt eines kräftigen Bürgerthums war, an die guten Tage vor dem „großen Krieg“, da die Herren vom Gericht und von der „Ehrbarkeit“ nach des Tages Last und Hitze in der „Bürgerstube“ beim Becher zusammensaßen, stattliche Gestalten in kurzem Haar und spitzem Bart, vom gefältelten Scheibenkragen ansehnlich umrahmt.

Ganz von alterthümlichen Bauten umschlossen ist auch der nahe Schiller-Platz, zur Seite des schönen Chors der Stiftskirche. Da steht, dem lärmenden Gewühl des Tages entrückt, das älteste aller Schiller-Standbilder, von Thorwaldsen’s Hand, den tiefsinnigen Denker mit mild gesenktem Haupte in ergreifender Hoheit darstellend. Der mäßig große Platz mit seiner würdigen Umgebung stimmt zu dem weihevollen Eindruck des Bildes, und am vollsten wird man seinen Adel empfinden, wenn in stiller Nacht das Mondlicht den schönen Raum erfüllt. Da stehen dann auch die gewaltigen Mauermassen und die riesigen Eckthürme des Alten Schlosses (vergl. S. 240 u. 241) gegenüber doppelt ernst und groß vor dem Auge da. Es ist ein mächtig wuchtiger Bau, der sich so trotzig und unnahbar über die Wipfel der alten Kastanien erhebt; aber wie traulich und würdig heiter sieht sich das Innere (vergl. S. 244) an, wenn wir durch eines der hohen Thorgewölbe in den stillen Hofraum treten, in dem das Reiterstandbild Eberhard’s im Barte steht! In drei Stockwerken über einander ziehen sich die Arkaden hin, starke Säulen mit eigenartiger Ornamentik und durchbrochenem Steingeländer dazwischen, eine seltsame Mischung von schwerwuchtiger Kraft und zierlicher Eleganz. Es ist hier Alles so ganz im Geiste der Zeit, daß wir den hallenden Tritt der Trabanten zu hören glauben, wie sie im spanischen Mantel, den Federhut auf dem Kopfe, die Hellebarde im Arm, zwischen den Säulen auf- und niederschreiten, wenn wir uns nicht gar aus dem Gruftgewölbe der Stiftskirche herüber die weiße Frau geisterhaft durch die Gänge und Wendeltreppen huschend denken.

Ansichten aus der Umgebung von Stuttgart.
[Villa Berg. – Solitude. – Blick auf den Rothenberg. – R. Püttner – G. HENSINGER. X.A.]

Sollen wir nun dem Leser, der uns bisher freundlich gefolgt ist, auch noch ein Bild von dem neuen Stuttgart geben, so führen wir ihn natürlich zunächst nach jener Straße, die dem Stuttgarter ans Herz gewachsen ist, zu der großen Hauptader des Verkehrs, wo sich Alles zusammendrängt, was den Charakter der Stadt und der Bevölkerung bezeichnet, wo Mittags, von Hunderten begleitet, mit klingendem Spiel die Parade durchzieht, wo sich vor Tisch und am Abend die Stuttgarter Welt ergeht und alle Zeit das Volk sich bewegt, das „mit Spazieren den Tag lebt“: zur geliebten Königsstraße; wir führen ihn zu den hohen und edlen Hallen des Königsbaus mit den schlanken griechischen Säulen und den glänzenden Läden und Magazinen; wir führen ihn vor Allem zum Schloßplatz (vergl. S. 240 und 241) mit der zum Andenken an die fünfundzwanzigjährige Regierung des Königs Wilhelm 1841 errichteten Jubiläumssäule, den sprudelnden Fontänen links und rechts, den wundervoll gehaltenen Rasenflächen und dem ausgesuchten gärtnerischen Schmuck an Blumen und Teppichbeeten und dunklen Lorbeerbäumen und ernsten Koniferen und wehenden Palmen. Dort wölbt sich über den mächtigen Kastanienkuppen die monumentale Kraft des alten, die heitere Pracht des neuen Schlosses, Theater und Königsbau dazu, und obendrein die grünen Rebenberge im Sonnenglanz, und das Alles um die Mittagsstunde, wenn die Klänge der Militärmusik ertönen, von einer heiter plaudernden Menge erfüllt: es ist ein Bild, das man gern in der Erinnerung festhält. Zu guter Letzt aber geleiten wir den fremden Gast zu dem erlesensten und am feinsten vollendeten Kleinod des heutigen Stuttgart, zu dem Stadtgarten, der, von den Prachtbauten des Polytechnikums, der Baugewerbeschule, der neuen Gewerbehalle umfaßt, alles Schönste in sich vereinigt, was liebende Sorgfalt und geistvolles Verständniß der großartigen und wunderlieblichen Pflanzenwelt abzugewinnen vermag, um es, wirksam gruppirt, zu einer entzückenden Augenweide für empfängliche Herzen zu machen. Ist doch Stuttgart, dank der Anregung seiner Lage und der trauten Beziehung zu der Natur, zur Garten- und Gärtnerstadt im vollsten Sinne des Wortes geworden. Da findet sich denn im Schatten der hundertjährigen Kastanien wohl ein lauschiges Plätzchen, wo wir, von herrlich üppiger Vegetation umgeben und halb den Akkorden des abendlichen Gartenkoncertes lauschend, von der Wanderung ausruhen und in freundlichem Rückblick uns der Bilder erfreuen mögen, die uns Stuttgart und seine Umgebung vor das Auge geführt haben.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_247.jpg&oldid=- (Version vom 28.12.2020)