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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Die „Palmenecke“.
Originalzeichnung von Otto Strützel.

in den hochgewölbten Saal, über eine breite Treppe hinansteigend. Die Portale sind mit Skulpturen geschmückt, welche aus den Tagen der Karolinger zu stammen scheinen; das Licht fällt geisterhaft aus der Höhe durch winzige, von romanischen Säulchen getragene Fenster. Gleich rechts von dem massiven Pfeiler, welcher das Eingangsportal und den über demselben befindlichen Balkon trägt, befindet sich die „Palmenecke“, eine aus riesenhaften getrockneten Palmzweigen und anderen exotischen Pflanzenleichen gebildete Laube, aus welcher man den ganzen Raum überschaut. In der Tiefe dieses Raumes zieht sich dickes Gebälk, auf welchem barocke, holzgeschnitzte Genien mit verblaßten Farben prunken, quer durch den Saal, den Feuerraum abschließend. Vor dem Ofen hängt an schier armdicken Ketten ein riesiger schwarzer Kessel, der scheinbar die Bestimmung hat, eine Abendsuppe für eine Gesellschaft von Riesen zu kochen. Unheimlich funkelt der Wiederschein des Feuers auf den Eisenwänden dieses Gefäßes. Aber die Bildergalerie an der Wand, die von den Portalen schwer herabhangenden orientalischen Vorhänge, die behaglichen Tische und Stühle und ein hochmoderner Salonflügel zeugen doch von der Gesittung und dem Kunstsinne Derjenigen, die in diesem Raume schalten. Man kann sich kaum einen packenderen Gegensatz denken, als den zwischen diesem zartbesaiteten Instrumente und dem von berußten Fischnetzen umhängten ungeheuerlichen Kaminmantel mit seinem Kessel darunter. Während der Kessel Hexenzauber zu summen scheint, meint man aus dem Flügel noch die leisen Nachklänge jener zauberhaften Melodien zu vernehmen, die vielleicht am verwichenen Abend erst durch Meisterhände ihm entlockt wurden.

Ueber dem Saale, wie der Chor einer Kirche durch Vorhänge abgeschlossen, befindet sich noch ein dritter Raum, ein kleines Sitzungszimmer mit einer höchst sehenswerthen Galerie, aus Bildern bestehend, die der Gesellschaft zum Geschenke gemacht wurden.

Der für seine Münchener Heimath viel zu früh aus dem Leben geschiedene Bildhauer Gedon war es, dessen Zauberhände diese in ihrer Art einzigen Räume geschaffen haben. Fast aus einem Nichts entstanden sie unter der alten Stadtmauer, und des Schöpfers ganze Phantastik und Laune spiegelt sich in ihnen.

Die „Allotria“ selbst, welche diese Räume ihr Heim nennt, ist unter den Münchener Künstlergesellschaften wohl diejenige, in welcher am meisten Lebensenergie pulsirt. Vor langen Jahren erstand sie als eine Gesellschaft der Opposition und erhielt auch ihren Namen davon, daß man ihren damals jugendlichen Feuerköpfen von Seite älterer Künstler vorgeworfen hatte, sie trieben allerlei Allotria. Jene Feuerköpfe aber verstanden es, dieses Tadelwort in ehrendes Lob umzuwandeln. Denn seit mehr als einem Jahrzehnt standen, wo immer in München auf dem Gebiete der Kunst Großes und Eigenartiges geschaffen wurde, stets die Bürger der „Allotria“ in erster Linie. Aus dem Hexenkessel, der vor dem Ofen ihres Trinksaals hängt, stiegen in unerschöpflicher Folge Gedanken von höchstem künstlerischem Reichthum auf und wurden zu Kunstwerken und zu farbenreichen Festen. Was die Bürger der Allotria, jeder für sich, in ihren Ateliers geschaffen haben, das beweist die Münchener Kunst heute noch und hoffentlich noch lang dem Kunstsinn der gesitteten Welt. Wie sie aber neben dem Ernste ihrer Arbeit auch die übermüthigste Lebensfreude in sich tragen: davon zeugen ihre Künstlerfeste, ihre Kostümbälle und ihre Kneipzeitung. Letztere, in zwanglosen Heften erscheinend, enthält unschätzbare Meisterwerke der Karikatur, von launigen Versen begleitet. Die Allotria hat ihren eigenen Dichter und ihre eigenen Musiker, so daß alle Künste in ihr eine Heimstätte haben. Nur das Ballett fehlt – vielleicht … vielleicht; denn der Allotria ist nichts zu schwer.

Das größte der heutigen Bilder der „Gartenlaube“ (S. 261) zeigt den Trinksaal der Allotria mit besetzten Tischen. Die bärtigen Männer mit den Charakterköpfcn sind Portraits; ihre Namen zu nennen, verbietet uns die Rücksicht auf die Gesellschaft; doch daß es Künstler von Gottes Gnaden sind, dürfen wir verrathen; und daß Franz von Lenbach unter ihnen ist, der Mann im dunklen Rocke mit den großen runden Augengläsern, verrathen wir ebenfalls noch.

Ein Verhängniß lastet schwer und düster auf diesem phantastischen Tempel der Künstlerlaune. Der unerbittliche Geist der Neuzeit hobelt das Altehrwürdige vom Boden unserer Städte weg; und auch das Thälchen mit dem Bache und den Hollunderbäumen, auch der kleine Garten und die alte Stadtmauer mitsammt dem Heim der Allotria müssen diesem Hobel zum Opfer fallen. Ihr Dasein ist nur noch eine Gnadenfrist; das Thälchen wird in diesem Frühling zum letzten Male grünen; dann wird es ausgefüllt und der Bach überwölbt werden; die Stadtmauer niedergeworfen und an der Stelle dieser in den Erdboden und in die Vergessenheit versinkenden Landschaft wird sich ein neuer Prachtbau erheben.

Die Allotria wird wohl in dem neu zu erbauenden Künstlerhause eine Heimstätte erhalten, reicher und prächtiger als die unter der alten Stadtmauer, und der künstlerische Genius ihrer Mitglieder wird schaffen nach wie vor. Aber gewiß wird Mancher aus diesem Kreise nicht ohne Wehmuth zurückdenken an dieses poesiereiche Heim; an die flackernden Lichter, die in den Mitternächten um den Zauberkessel flogen, und an das Vogelgezwitscher, das an lauen Frühlingsabenden die Gäste in dem Gärtchen am Stadtgraben begrüßte. M. K.     




Berlin am 22. März 1887.

Stimmungsbild von Hermann Heiberg.

Zweitausend Fackeln der Studirenden hatten geflammt durch die Nacht am 21. März, dem Vorfeiertage zu des greisen Kaiser Wilhelm’s neunzigstem Geburtstage. Und endlos war auch am folgenden Morgen die Zahl der Reiter und blumengeschmückten Wagen mit ihren Insassen im „Wichs“, und hoch hielten die Chargirten in ihren Händen die rothen, gelben und

blauen Korps- und Burschenschaftsfahnen, die in die Luft hinausflatterten zur Ehre des in der Geschichte denkwürdigen Tages. – Es war gegen elf Uhr, als ich, den Equipagen und Stephan’s berittenen Postillonen folgend, meinen fast seit einer Stunde eingenommenen Standpunkt am Kupfergraben verließ. Ich schlug einen kürzeren Weg nach den Linden ein, um gleich den Uebrigen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_264.jpg&oldid=- (Version vom 22.4.2023)