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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

die Lebensstellung der Anderen richtig errathen hatte, fragte ich: ‚Und was bin ich?‘ Da betrachtete er mich lang und sagte: ‚Sie? Sie sind ein ehrsamer Handwerksmann, wahrscheinlich ein Uhrmacher.‘ Ich ließ ihn natürlich in dem Glauben. – – In Albums mußte ich unterwegs zu meinem Jammer auch oft schreiben; ein Backfisch sagte bei dieser Gelegenheit zu mir: ‚Ich habe meiner Mutter gar nicht glauben wollen, daß Sie der Uhland sind,‘ und mehrere Ständchen von Liedertafeln habe ich auch aushalten müssen.“

„Vor einigen Wochen,“ sagte Kerner, „hatte ich eine ganz eigene Ueberraschung. Da hielt ein Liederkranz vor meinem Hause, der Vorstand kommt herauf und sagt: ‚Sind Sie der Dichter Justinus Kerner?‘ ‚Ja,‘ entgegnete ich so bescheiden wie möglich. ,Wir sind ein Liederkranz aus dem Bayerischen in der Gegend von Würzburg, ich habe meine Ferien benützt, um mit meinem Liederkranz eine Reise ins Württembergische zu machen, das schöne Schwaben zu besuchen; wir kommen von Mergentheim, Schönthal und Neustadt an der Linde, und jetzt haben wir die Weibertreu besucht und wollten hier nicht vorüber, ohne Ihnen ein Ständchen zu bringen, eines Ihrer schönsten Lieder vor Ihrem Hause zu singen.‘ ,Es wird mir eine große Freude sein,‘ sagte ich und stellte mich ans offene Fenster, der Vorstand verabschiedete sich, ging hinab und, nachdem die Sänger um ihn einen Kreis geschlossen, räusperte er sich, erhob den Arm, und sie sangen – Lützow’s wilde Jagd: ‚Was glänzt dort vom Walde im Sonnenschein?‘ Ich verbeugte mich und rief: ‚Ich danke Ihnen von Herzen, meine lieben Herren,‘ und sie brachten mir ein Hoch und zogen stolz von dannen.“

„Ei wie schlecht! Das hätte ich nicht von Dir geglaubt! Also mit fremden Federn ließest Du Dich schmücken und hast trotz Deiner angerühmten Bescheidenheit kein Wörtlein dagegen gesagt!“ scherzte Uhland. „Da wäre ich doch viel ehrlicher gewesen, übrigens können Einem auch die eigenen Federn oft zu viel werden. So ist neben meinem Hause in Tübingen die Eifertei, ein Wirthslokal, in welchem die Burschenschaft ihren Stammsitz hat. Oft mitten in der Nacht, wenn ich im Lesen vertieft bin oder gerade einschlafen will, singen sie mit lauter Stimme mein Lied, das jetzt im Kommersbuch steht: ‚Wenn heut ein Geist herniederstiege‘ und schenken mir keinen Vers; ich muß unwillkürlich zuhören und denke häufig. wenn ich gewußt hätte, daß mein Lied so lang und so breit gesungen wird, hätte ich es lieber um ein paar Verse kürzer gemacht!“

Alle lachten herzlich, besonders Uhland, was wiederum die Andern innig freute, da er selten so heiter und gesprächig war.

Jetzt sprachen sie auch von ihren Studienjahren, wo Kerner mit seinen Schlangen, Molchen und Eidechsen im neuen Bau wohnte und Abends so grausige Gespenstergeschichten erzählte, von dem Sonntagsblatt, dessen Chefredakteur Karl Mayer war, von Schildeis, Eginhard, der unbewohnten Insel, den Bärenrittern. Diese waren eine flüchtige Jugendarbeit von Uhland und Kerner, welchen das Zusammendichten viele Freude machte. Das Singspiel war von Fritz Knapp recht nett in Musik gesetzt. Die Arie:

„Wenn die Trommeln wirbeln,
Dann fluthet das Heer
Mit brausenden Wogen
Ein brandendes Meer.
Die Fahnen, sie wallen
Wie Segel daher,“

ist von Kölle.

„Ach, es war eine schöne Zeit!“ rief Uhland aus, „und die jetzige Generation, wo jeder den Andern beißt und überschreien will, kann kaum begreifen, wie wir oft neidlos Gedichte gegen einander austauschten. ‚Das paßt mehr für Dich, das kannst Du besser ausarbeiten als ich,‘ sagtest Du, lieber Kerner.“

„Und andere gabst Du mir,“ entgegnete Kerner, „z. B. mein ,Graf Olbertus‘ ist fast ganz Dein Werk.“

„Aber die meisten sind Euch ureigenthümlich,“ sagte Schwab. „,Wenn heut ein Geist herniederstiege‘ hat nur Uhland dichten können, und mein Lieblingslied ,An das Trinkglas eines verstorbenen Freundes‘ kann nur von Kerner sein.“

Nun kam die Rede auf Varnhagen, wie er in Tübingen war; Justinus zeigte einen eben erst von ihm erhaltenen Brief vor.

„Es ist merkwürdig,“ sagte er, „wie schön und zierlich Varnhagen schreibt und meist auf feinem farbigen Postpapier; eben so gewandt ist er im Ausschneiden von Blumen, Thieren, Landschaften, Arabesken und Buchzeichen; er trägt immer sein feines englisches Scherchen und schwarzes und rothes Papier bei sich. Wenn man ihm beim Ausschneiden zusieht, glaubt man, er arbeite mit dem Instinkt einer Spinne, und dieselbe Fertigkeit erbte auch seine Schwester Rosa Maria. Auch in der Kleidung ist er immer sehr fein und elegant, selbst auf der Reise, und wenn er mich hier besucht, trägt er seine Orden, aber ich glaube, es geschieht nicht aus Eitelkeit und weil sie Orden sind, sondern er hat Freude am Glänzenden wie eine Dohle.“

O weh, damit war ein böses Kapitel angeschlagen! Eine Wolke schien den leuchtenden Morgen verdunkeln zu wollen. Uhland sprach eifrig und mit herben Worten gegen die Ordenssucht, das Lächerliche, Verderbliche derselben, Karl Mayer sekundirte ihm standhaft; Schwab und Justinus brachten Milderungsgründe vor.

„Man braucht ja,“ sagte Letzterer, „einen Orden nicht zu tragen, ihn nicht bei jeder festlichen Gelegenheit ostensiv zu zeigen, oder gar auf ihn stolz zu sein, sich durch ihn in seinen Grundsätzen beirren zu lassen, das finde ich auch schwach und lächerlich, aber andererseits muß man auch bedenken: ein Fürst ist übel dran; wenn er Jemand hochschätzt, ihn darum vor Andern auszeichnen oder ihm eine Freude machen will, was soll er thun? Soll er Geld geben oder ein Dutzend silberne Löffel oder eine unnütze goldene Dose? Da ist es doch das Wohlfeilste und nach seinen Begriffen auch Decenteste, er giebt ihm einen Orden. Warum dann einem Fürsten wehthun und ihm den Orden zurückschicken? Sie sind auch arme, liebesbedürftige Menschen! Aber da kommt ja mein gutes Rikele!“ Und richtig kam Rikele und brachte einige Flaschen Wein und einen guten Imbiß. Die Gläser klangen zusammen und Friede und Fröhlichkeit war wieder hergestellt; ja, Uhland, bei dem sonst eine Verstimmung gern längere Zeit anhielt, brachte noch einmal versöhnend das Gespräch auf Varnhagen und erzählte mit vielem Humor, wie ihn Varnhagen’s Nichten, Ottilie und Ludmilla Assing, einst besuchten.

„Während Varnhagen und seine Schwester viel auf äußeren Anstand hielten, waren diese Nichten höchst sonderbare Erscheinungen; sie hatten in die Stirn herein kleine blonde Löckchen und hinten hinab dicke, struppige Zöpfchen. Später erschien zu meinem Schrecken im ‚Morgenblatt‘ ein Gedicht von Assing an mich, das fing an:

,Du küßtest einst mein Töchterlein
Zu Stuttgart auf die Wangen
Und sprachst: laß dieses Küßlein mein
Zum Vater Dein gelangen!‘

Und ich habe das Töchterlein doch gewiß nicht geküßt!“

„Ach, leugne nicht! Freilich hast Du sie geküßt!“ riefen unisono die Freunde und lachten wie die Kinder.

„Jetzt würde uns aber vor dem Mittagessen ein kleiner Spaziergang recht wohl thun,“ sagte Schwab, und sie gingen durch den Baumgarten und die alte Stadtmauer entlang um die Kirche. Uhland äußerte seine Freude über die alten, vom Salpeter zerfressenen Mauersteine, die wie schwammartig durchlöcherte Kissen hervorragten. „Sie nehmen sich,“ sagte er, „namentlich im Mondschein gespenstisch schön aus, bilden bald Todtenköpfe, bald alte Wappen; dieser da hat ganz das Gepräge eines Nonnenkopfs.“ Kerner erzählte: „Ein Alterthumsfreund aus Stuttgart hatte in der Nähe von Wimpfen, wo er sich als Badegast aufhielt, in einem alten Gemäuer einen Stein entdeckt, auf dem eine Najade nebst römischer Inschrift zu sehen war. Er ging zum Bürgermeister des Dorfes und bat ihn um seinen Beistand, daß ihm der Stein gegen gute Bezahlung nach Stuttgart gesandt werde. Richtig kam auch der Stein bald nach der Rückkunft des Alterthumsfreundes wohlverpackt in Stuttgart an, aber auf allen vier Seiten schön behauen. Der Bürgermeister hatte in seinem Eifer des Guten zu viel gethan.“

„Dem Stuttgarter Herrn geschah es schon recht,“ sagte Mayer, „warum hat er den alten Stein nicht an seiner Heimathsstätte gelassen! Auch unbehauen hätte er in einem modernen Residenzgebäude unter andern gesammelten Raritäten eine unbedeutende Rolle gespielt.“

„Aber durch die Alterthumsvereine,“ meinte Schwab, „wird doch gar Vieles vor Zerstörung bewahrt, was sonst in Wind und Wetter unterginge oder von unverständigen Bauern zerstört würde.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_280.jpg&oldid=- (Version vom 4.5.2023)