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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Ei bewahre!“ sagte Kerner, „die Bauern verderben selten etwas; sie gehen an Denkmälern, alten Inschriften etc. achtlos vorbei, und alte Bilder, Schnitzwerke, Glasgemälde und sonstige Antiquitäten waren wohlverwahrt auf Rathhäusern, Schlössern, Kirchen und Kapellen, fast jedes Dorf oder Städtchen hatte irgend etwas Interessantes aus alter Zeit aufzuweisen, und waren es auch keine Kunstwerke, so hatten sie doch gerade für den Ort, wo sie waren, alterthümlichen oder historischen Werth. Jetzt schickt Jeder, der auf dem Lande Kunstsinn zu haben glaubt, namentlich auf höheren Wink die Kameralverwalter, Alles was er in öffentlichen und Privatgebäuden Merkwürdiges entdeckt, Glasgemälde, Inschriften, Bilder, Schnitzwerke, Hellebarden, gewundene Säulen etc. in die Hauptstadt, damit es dort den Sammlungen einverleibt werde, und das Land wird immer mehr seiner alten, eigenthümlichen Poesie entkleidet. Ja, nichts ist ärger, als ein Schreiber, der Schönheitssinn besitzt, ein solcher ruinirt Alles!“

Der Spaziergang hatte Allen guten Appetit gemacht, und wenn auch beim Mittagessen im Schweizerhaus ein früherer Ausspruch Uhland’s: „Kerner esse, wenn liebe Freunde bei ihm seien, vor lauter Freude einen Kalbsschlegel allein“, sich diesmal nicht bewahrheitete, weil es keinen Kalbsschlegel gab, so schmeckte doch das einfache schwäbische Essen: Körbelsuppe, Ochsenfleisch mit Gurkensalat, Leberknöpfe (Klöschen) mit Zwiebelsauce und Kopfsalat Allen und besonders Schwab, dessen Leibgericht es war, ausgezeichnet gut.

Die Eigenthümlichkeit Uhland’s, Alles stark zu salzen, namentlich die Suppe, noch ehe er sie gekostet hatte, fiel auch diesmal auf.

„Meine Frau,“ sagte Uhland, „will es oft nicht leiden, und auch Aerzte haben mir’s schon gesagt, es sei schädlich.“

„Ach was, die Aerzte! Die wissen gar nichts!“ entgegnete Kerner; „jeder Arzt beurtheilt den Magen des Patienten nach seinem eigenen, was ihm schmeckt, ihm gut thut, das, meint er, müsse auch den Andern gesund sein, und was ihm schlecht bekommt, das verbietet er auch Andern. Unser Freund Köstlin, der beste, gelehrteste Arzt, den ich kenne, verordnet den Kranken gern eingemachte Früchte, weil er sie selbst gern ißt und sie ihm gut bekommen; ich aber halte nichts für gesunder als Gurken und Boragen; ich habe ihnen zu Ehren auch einen Vers gemacht, der eigentlich als mein letzter Wille gelten soll:

‚Auf meinem Grabe sollen stehn
Kukumern und Boragen;
Die Menschen sollen vorübergehn –
Die Menschen machten mir nur Wehn,
Sie machten mir Behagen!‘“

„Und,“ setzte Rikele hinzu, „obgleich die Boragen wie Unkraut im Garten wachsen, kauft er doch jedes Frühjahr von den Gärtnern eine Masse Boragensamen und steckt sie auf seinen Spaziergängen in fremde Aecker und Gärten aus Angst, seine lieben Boragen könnten doch einmal ausgehen; ebenso macht er’s auch mit den Gurken.“

„Mit diesen habe ich auch einst eine sehr gute Kur gemacht,“ sagte Kerner. „Es besuchte mich eines Vormittags ein Hofmeister mit zwei Zöglingen aus einem prinzlichen Hause.“

„Prinzliches Haus, das ist gut!“ schaltete Uhland ein.

„Er sagte, er mache mit seinen Zöglingen eine Fußreise und möchte gern das Kloster Schönthal besuchen; der eine seiner Eleven sei aber an einem heftigen Ruhranfall erkrankt und könne die Reise nicht fortsetzen, ob ich nicht so gut wäre, denselben in Behandlung zu nehmen, bis er den andern Abend wieder zurückkehre?. ‚Recht gern!‘ sagte ich und behielt den jungen Menschen bei mir; es war ein liebes zartes Herrchen, und ich erkundete bald, er hatte den Tag vorher in Heilbronn zu viel Kuchen und sonstiges süßes Zeug gegessen.

,Ißt Du auch gern Gurkensalat?‘ fragte ich ihn bei Tisch.

,Ja, aber –‘

‚Kein Aber! Iß nur tapfer drauf los, er ist Dir gesund.‘

Der Kleine hatte etwas Fieber und Durst und der frische Gurkensalat schmeckte ihm außerordentlich. Abends bekam er zur Abwechslung warmen Gurkensalat, den mein Rikele so vortrefflich macht; er behagte ihm auch vorzüglich. Den andern Mittag saßen wir eben bei Tisch, da kam der Hofmeister. Schon unter der Thür fragte er ängstlich: ‚Wie geht es dem lieben Patienten?‘

‚O, ganz gut!‘ entgegnete ich, ,er ist wieder vollkommen gesund.‘

,Ich bin Ihnen unendlich viel Dank schuldig, Herr Doktor!‘ sagte der Hofmeister, ,darf ich bitten: was bin ich schuldig?‘

‚Nichts!‘ sagte ich.

‚Aber Sie hatten doch Ausgaben für die Apotheke?‘

‚Ei bewahre! ich habe ihn nur recht tüchtig Gurkensalat essen lassen und jetzt ißt er, wie Sie sehen, zur Abwechslung Boragensalat.‘

‚Ja, ich habe viel Gurkensalat gegessen!‘ rief triumphirend der Zögling.

‚Die Gurken,‘ sagte ich, ‚enthalten viel schleimige und bittere Bestandtheile, was auf die Gedärme sehr wohlthätig einwirkt, und in den Boragen ist Salpeter, der erfrischt und kühlt.‘

Der Hofmeister schüttelte ungläubig den Kopf, und ich glaube, er war recht froh, als er seinen Zögling aus meinen ärztlichen Klauen wußte.“

Während des Mittagessens wurde auch das Trinken nicht vergessen; der weiße leichte Lindelberger frisch vom Fasse heraus mundete bei der Hitze doppelt gut, und das Rikele wanderte oft zum Keller hinab. Sie that’s aber von Herzen gern.

„Ich muß heute ein kleines Mittagsschläfchen halten,“ sagte Schwab, „ich setze mich am besten hinunter in die lustige Gartenlaube.“

„Und wir,“ sagte Kerner zu Uhland und Mayer, „wollen uns in der Wohnstube auf Sofa und Armsessel gemächlich niederlassen; dort ist’s am kühlsten.“

Bald lag Alles in süßer Ruhe, doch Theobald, der Kobold des Hauses, wollte nicht schlafen, er nahm sich einen Stuhl und setzte sich an den Eingang zu Haus und Garten, um etwaige Patienten abzuhalten, daß sie den Vater nicht im Schlaf störten. So mochte eine halbe Stunde vergangen sein, da kam den Berg herauf ein kleiner älterer Herr in schwarzer Kleidung und blieb vor dem Hause stehen. Er war sehr verschwitzt, denn er kam trotz der Hitze zu Fuß von Heilbronn.

„Wohnt hier der Herr Doktor Justinus Kerner?“ fragte er.

„Ja,“ sagte Theobald.

„Ist er zu Hause?“

„Ja, aber für den Augenblick nicht zu sprechen.“

„Ich bin ein großer Verehrer seiner Werke, interessire mich auch sehr für Magnetismus und möchte eine seiner Somnambulen sehen und über einen Krankheitsfall befragen.“

„Eine Somnambule hat er gegenwärtig nicht, aber kommen Sie einmal herein in den Garten. sehen Sie, dort in der Laube ist ein Herr, der ist somnambul und liegt gerade in magnetischem Schlafe, schreiten Sie vorsichtig und leise auf ihn zu, legen Sie ihm eine Hand auf die Herzgrube, die andere auf die Stirn und richten Sie mit lauter Stimme Ihre Fragen an ihn, dann wird er Ihnen antworten.“

Der schwarze Herr, sehr erfreut, so schnell an das Ziel seiner Wünsche zu gelangen, schritt auf den Zehen zu Schwab heran und während er die eine Hand auf Schwab’s Stirn legte und mit der andern Hand durch die Weste auf die Herzgrube zu kommen suchte, erwachte Schwab und fuhr in tödlichem Schrecken mit einem Schrei von der Bank auf; er glaubte, ein Dieb wolle ihm seine Uhr stehlen, und packte den Herrn am Halse.

„Unverschämter Gauner! Nichtswürdiger Halunke!“ rief er.

Der Herr war vollständig zerknirscht und ließ die Arme schlaff herabhängen, als hänge er bereits am Galgen.

„Ich wollte nur –“ dann versagte ihm vor innerem Jammer die Stimme.

„Ja, freilich wollten Sie nur!“ schrie Schwab.

Theobald sprang schnell in das Haus und rief seinen Vater, Uhland und Mauer, sie sollten in den Garten herabkommen, es sei etwas ganz Merkwürdiges passirt, und erzählte ihnen flüchtig den Vorgang. Als sie herabkamen, hatte sich die Situation so weit geklärt, daß Schwab und der schwarze Herr friedlich neben einander auf der Bank saßen und sich den Schweiß von der Stirn trockneten, als hätten sie einen großen Kampf gekämpft.

„Es ist ein Mißverständniß,“ sagte Schwab, „und daran ist nur der Theobald schuld!“

„Ja, es war ein unseliges Mißverständniß,“ seufzte der schwarze Herr; „ich glaubte, der liebe Herr hier befinde sich in magnetischem Schlafe, wie mir ernsthaft versichert wurde, aber ich kann mir’s nie verzeihen, daß ich den Herrn so erschreckt habe; ich bin der Schulrath Kilzer aus Frankfurt und wollte den Herrn Doktor Justinus Kerner kennen lernen.“

„Der bin ich!“ rief Kerner, „und das sind meine Freunde Ludwig Uhland, Karl Mayer und Gustav Schwab, und der

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