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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

hatte. Schon in der Art, sich völlig wie ein Kavalier zu kleiden, mit Sporen und Reitpeitsche zu paradiren, verkündete sich der Hang, sich über seine gesellschaftliche Stellung zu erheben. Unser Beisammensein gestaltete sich sonach ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Schon beim ersten Wiedersehen leuchtete aus seinen flammenden Blicken für mich die Erkenntniß, daß unsere harmlosen Jugendbeziehungen mit einem Schlag sich geändert hatten. Binnen Kurzem mußte ich es mit Schrecken erkennen: Franz Werner war in sinnloser Leidenschaft zu mir entbrannt!“

„Und die jugendliche Prinzessin war wirklich nur erschrocken darüber?“ meinte das alte Fräulein lächelnd.

„Wie sollte ich nicht! Werner war mir stets ein lieber Jugendgespiele, nicht mehr. Durch steigende Zurückhaltung suchte ich seine unziemliche Gluth abzukühlen – vergebens! So mußte denn kommen, was unausbleiblich war. Als mich Werner eines Nachmittags allein im Park traf, erdreistete er sich, mir eine stürmische Liebeserklärung zu machen. Maßlose Phantasie und blindes Vertrauen auf seine Unwiderstehlichkeit rissen ihn über alle Schranken der Vernunft hinweg. Entfliehen sollte ich mit ihm in ferne Lande, wo kein Unterschied des Ranges zwei Herzen trennte, die für einander geschaffen. Er hatte sogar schon einen abenteuerlichen Plan ausgedacht, wie die Flucht ins Werk gesetzt werden könnte.

Eine Weile blieb ich sprachlos vor Bestürzung; Zorn und Schmerz über den Verblendeten erstickten mir das Wort. Bald aber gewann der erstere die Oberhand und gab mir die Sprache wieder. Mein Blut wallte übermächtig auf, in diesem Moment erschien alle schwesterliche Liebe für Werner und unsere gemeinsam verlebte glückliche Jugendzeit wie ausgelöscht.

Bebend vor Entrüstung stieß ich den Verwegenen, der meine Hand ergriffen, von mir.

‚Fort, fort von hier, Undankbarer,‘ rief ich aus, ‚sonst wäre ich gezwungen, Ihnen durch meinen Vater Ihre Stellung im fürstlichen Hause klar machen zu lassen. Wagen Sie es nie mehr, mir vor Augen zu treten!‘“

„O, so hart konnte unsere herzensgute Fürstin sein! Fanden Sie gar keinen Milderungsgrund für das romantische Verbrechen?“ fragte Benigna.

„In jenem Augenblicke nicht, später freilich urtheilte ich milder! Franz Werner war kreidebleich geworden und rang vergebens nach Worten.

‚Also so ist’s gemeint, so bitter ernst,‘ brachte er endlich hervor. ‚Nun gut – durchlauchtigste Prinzessin sollen von dem Anblick meiner plebejischen Person nie mehr belästigt werden.‘

Dabei machte er mir eine ceremoniöse Verbeugung und entfernte sich wankenden Schrittes. Ich habe ihn seitdem nicht wiedergesehen.“

„Und damit hatte der Jugendroman ein jähes Ende gefunden?“ forschte Fräulein von Elmenau.

„So hoffte ich. Aber denken Sie sich meine Bestürzung, liebe Benigna, als mir heute früh ein Brief gebracht wurde, den ein junger Mann an der Pforte abgegeben. Der Ueberbringer bemerkte, daß er sich gestatten würde, Nachmittags wieder vorzusprechen, um gnädigen Bescheid auf seine Bittschrift zu holen. Fürwahr, eine seltsame Bittschrift! Doch lesen Sie selbst, Benigna, und rathen Sie mir, was ich thun oder lassen soll.“

Neugierig nahm das alte Fräulein den Brief entgegen. Derselbe lautete, nach Weglassung der Titulaturen, welche sorgfältig eingehalten waren, folgendermaßen:

„Fürchten Sie nicht, daß ich abermals mich erkühne, die Schranken meiner Niedrigkeit zu übersteigen. Die Lektion, welche Sie mir ertheilt, war nur allzu deutlich. War ich doch so thöricht, unter dem Banne holden Zaubers einen Moment die Fürstenkrone auf Ihrem Haupt zu vergessen. Noch hallen in meiner Seele die Worte nach, womit Sie mich auf immer aus Ihrem Angesicht verbannten. Und dennoch wage ich jetzt die Bitte, nur einmal noch, nur auf wenige Minuten Sie wiedersehen zu dürfen. An einer Wende meines Lebens angelangt, hege ich den heißen Wunsch, Ihre Verzeihung und – wäre es nicht allzu kühn – Ihre Freundschaft wieder zu erringen. Ich bin im Begriff, mich nach Indien in Englands Dienst anwerben zu lassen. Schon Manchem ist es geglückt, mit dem Degen in der Faust zu ungeahnten Ehren aufzusteigen. Da mich die Reise zum Werbebureau nahe an den Mauern vorbeiführte, darin Sie als Gebieterin walten, wäre es übermenschliches Entsagen, wenn ich Ihnen nicht noch einmal ins Auge sehen dürfte. Ein versöhnend Wort, ein beseligender Blick als Wegzehrung, und ich fühle mich gestählt, nach den höchsten Zielen zu streben. O, versagen Sie die letzte Bitte Ihrem einstigen Jugendgespielen nicht! Sie dürfen es unbesorgt: nicht ein Wort soll über meine Lippen kommen, das Sie verletzen könnte.

In frohester Hoffnung harrt auf beglückenden Bescheid
 Durchlauchtigster gefürsteter Aebtissin
  unterthänigster Franz Werner.“

Kopfschüttelnd legte Fräulein von Elmenau das Schreiben aus der Hand, das sie mit höchster Aufmerksamkeit durchgelesen, während die junge Fürstin unruhig im Zimmer auf und ab geschritten war.

„Ihre Schilderung war nur zu treffend,“ nahm Benigna das Wort. „Ein exaltirter Kopf – welches Königreich im Mond denkt er sich wohl zu erkämpfen! Und beabsichtigen Sie, seine Bitte zu erfüllen, Gnädigste?“

„Das frage ich mich ja immer und immer wieder, ohne zu einem Entschluß zu gelangen,“ erwiederte die Prinzessin erregt. „Empfange ich Werner nicht, so ist zu befürchten. daß er sich zu einem unüberlegten Schritt hinreißen, vielleicht gar ein Wiedersehen zu erzwingen versucht. Eben so gewagt scheint es mir, seinen Besuch anzunehmen. Sagen Sie selbst, nachdem Sie den Brief gelesen, liebste Elmenau, ob ich trotz aller Versprechungen beruhigt sein darf, daß er seine Leidenschaftlichkeit zügelt! Welche Gefahr in diesen Mauern, wo jedes unbedachte Wort nur zu willige Lauscherinnen findet; denken Sie an unser Dutzend, liebste Benigna!“

„Nun, nun – Eine dürfen gnädigste Aebtissin doch ausnehmen,“ bemerkte das alte Fräulein mit einem feinen Lächeln. „Und diese Eine hat vielleicht sogar schon guten Rath zur Hand.“

Gespannt blickte Frau Mathilde auf. „Und der wäre? – Geschwind heraus damit!“

„Ich meine, Sie sollen Werner unbedingt vorlassen. Was ist denn Auffälliges dabei, wenn Sie einen Unterthan Ihres Vaters empfangen, um ihm auf seine Bittschrift Bescheid zu geben? Um unberufene Ohren und Augen fernzuhalten, nehmen Sie den Besuch im Basteigarten an, den Ihre Vorgängerin von der Stadt angekauft. Ich begleite Sie und lasse Sie wohl auch auf einige Minuten allein, wenn Sie dem Tollkopf ins Gewissen reden wollen. Natürlich bleibe ich für alle Fälle als Schutzengel in der Nähe. Ist Ihnen mein Vorschlag genehm, gnädigste Frau?“

„O, gewiß wird’s so am besten sein, meine kluge Geheimräthin. Wenn ich Sie zur Seite weiß, bin ich ja beruhigt – und doch gäbe ich viel darum, wenn die Audienz vorüber wäre!“ erwiederte die Aebtissin mit einem Seufzer.

Benigna schaute betroffen auf ihre jugendliche Gebieterin … „So bangt Ihnen doch vor dieser Begegnung? Sollte am Ende der junge Mann Ihnen mehr, als Sie zugestehen “

„Ich weiß, was Sie sagen wollen“ fiel ihr Frau Mathilde ins Wort. „Nein, nein, Sie dürfen unbesorgt sein, meinem Herzen ist Franz Werner völlig fremd. Wohl gab es eine Zeit, wo auch dies Herz sich stürmisch geregt,“ setzte sie wie gedankenverloren hinzu. „Doch nur zu bald mußte es unter dem Machtspruch der Staatsklugheit verstummen. Aber lassen wir die Vergangenheit, liebste Benigna! Ich habe längst wieder Frieden gefunden, und die Erinnerung kann mir keine Erdenmacht rauben!“




Im Basteigarten, der von den übrigen Gärten durch eine Hecke geschieden war, weilte am Nachmittag Frau Mathilde mit Benigna an einem lauschigen Plätzchen an der Mauer, welches wie geschaffen war, neugierige Blicke fernzuhalten.

Als Franz Werner sich um die festgesetzte Stunde am Klosterthor einfand, war der Pförtner bereits von Benigna unterrichtet, daß der Fremde in einer Bittschrift sich einen Landsmann der Aebtissin genannt und diese daher die Gnade habe, ihm selbst auf sein Gesuch zu antworten. Die hohe Frau geruhe dem jungen Mann im Basteigarten in ihrer Gegenwart Audienz zu ertheilen. Außerdem hatte er den Auftrag, am Eingang des Klosters zu warten und den jungen Mann nach der Audienz wieder hinauszugeleiten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_299.jpg&oldid=- (Version vom 8.5.2023)