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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

nicht nur vom Tode, sondern auch von aller anderweitiger Strafe erlösen konnte. Eine jede Aebtissin durfte jedoch dieses nach genau festgestelltem Ceremoniell auszuübende Scherenrecht nur einmal vollziehen.“

Ein Gemurmel der Verwunderung erhob sich, als Herr Dominikus Fernhaber zu Ende gelesen hatte, und Aller Augen richteten sich gespannt auf die Hauptpersonen des Schaustückes, die schöne Aebtissin und den jugendlichen Verbrecher.

Mit einem unsäglichen Gefühl der Erlösung blickte Franz Werner tief aufathmend zum blauen Himmel empor. Wer mochte es dem lebenskräftigen Jüngling verdenken, daß seine erste Empfindung Freude über das wiedergeschenkte Dasein war? Nur zu rasch jedoch reihte sich der niederschmetternde Gedanke daran: „Was für ein Leben ist mir denn geschenkt; bleibe ich nicht als gemeiner Verbrecher gebrandmarkt all meine Tage?“

Aber Werner hatte keine Zeit, sich in solche Gedanken zu vertiefen. Als der Kanzleidirektor seine Vorlesung geendet hatte, erklärte der Syndikus, der Ausübung des Gnadenrechtes nichts in den Weg legen zu können, und gebot sodann dem Verbrecher, sich vor der erlauchten Frau Aebtissin auf die Kniee niederzulassen.

Ein fieberhafter Schauer überlief die Gestalt der jungen Fürstin, als sie den Unglücklichen in dieser schimpflichen Lage zu ihren Füßen erblickte. Sie hatte es sich in jugendlich romantischer Auffassung vorgestellt, welch entzückenden Eindruck es auf den verliebten Jüngling machen mußte, wenn sie in der letzten Minute plötzlich wie die wunderthätige Fee im Märchen hervortrat – wenn gerade sie die Retterin seines Lebens wurde. Wo blieb jetzt im entscheidenden Augenblick diese poetische Genugthuung? Wie so ganz anders als in jener unseligen Stunde der Verirrung sah der Jüngling nunmehr zu der Aebtissin auf! Als diese in das gramvolle Antlitz des einstigen Jugendgespielen schaute, dem die Qual über alle überkommene Schmach so erschütternd aufgeprägt war, da kostete es sie fast übermenschliche Anstrengung, ihre würdevolle Fassung zu behaupten. Mit Schrecken gelangte sie jetzt völlig zur Erkenntniß, was sie durch ihr Schweigen verschuldet. Bittere Reue erfaßte sie, daß sie auf Benigna’s Drängen sich hatte bewegen lassen, den leidigen Ausweg des Gnadenrechtes zu ergreifen und in kleinlicher Rücksicht auf ihren Ruf den Unglücklichen solcher Schmach zu überantworten. In diesem Moment aber reifte der Entschluß, dem um ihrer Ehre willen so Geprüften das Einzige wiederzuschenken, was ihn entschädigen konnte – seine eigene Ehre. Doch vorerst mußte sie ihres Amtes walten. Mit zitternder Hand ergriff die Prinzessin die Schere und schnitt den Strick, welchen der Henker immer noch hielt, entzwei.

„Anmit löse ich Dich, kraft des dem gefürsteten Stifte von Kaisers Majestät verliehenen Rechtes, von Tod und Gericht,“ sagte sie mit bebender Stimme.

Bis dahin war der Gnadenakt nach dem alten Herkommen verlaufen; nun trat aber eine überraschende Wendung ein. Die Aebtissin wandte sich an die städtischen Amtspersonen und lud diese ein, ihr ins Kloster zu folgen, da sie ihnen eine wichtige Mittheilung zu machen habe. Darauf bewegte sich der Stiftszug, gefolgt von den erstaunten Richtern und von Franz Werner, wieder dem Kloster zu.

Auch der städtische Zug trat den Heimweg an, umdrängt von der Menge, welche sich in lärmendem Gespräch dem Nachgenuß des so unerwartet und so seltsam abgeschlossenen Schauspiels überließ.

Inzwischen hatte sich die Aebtissin mit ihrem Gefolge in den Kapitelsaal des Stiftes begeben. Franz Werner ließ sich abermals aufs Knie vor der Fürstin nieder. Er mußte ja das Opfer vollenden und nach den Satzungen des Scherenrechts seine Armesünderrolle zu Ende spielen. Mit tonloser Stimme begann er der Aebtissin für seine Begnadigung die vorgeschriebene Dankesformel auszusprechen.

„Stehen Sie auf, Unglücklicher,“ unterbrach ihn dieselbe. „Sie haben unsäglich mehr gebüßt, als Sie verschuldet. Ich kann nicht wieder gut machen, was Sie unschuldig erduldet; aber ich darf auch Ihr Opfer nicht länger annehmen!“

Ein Gemurmel der Ueberraschung über diese räthselhaften Worte durchlief die Versammlung.

Nun begann die Fürstin mit anfangs zagender Stimme, welche aber stets mehr Festigkeit und Wohlklang gewann, die volle Wahrheit über die unselige Raubgeschichte zu offenbaren.

Sie klagte sich auch offen der Schuld an, aus Beweggründen, deren Nichtigkeit sie leider zu spät erkannt, so lange mit der Enthüllung des Geheimnisses gezögert zu haben.

„Daß Alles buchstäblich so vorgegangen, wie ich eben erzählt, verbürge ich mit meinem fürstlichen Worte. Ich bin bereit, an berufener Stelle jede Auskunft zu ertheilen, welche nöthig ist, um den Schein gemeiner Missethat völlig von dem jungen Manne zu tilgen.“

Mit diesen Worten schloß die Fürstin ihre Erklärung. Wohl war ihr anzusehen, welche Ueberwindung die für ein zartes Frauengemüth so peinliche Offenbarung ihr gekostet haben mochte; aber nun sie ihr Gewissen beruhigt, hatte sie auch ihre Würde und stolze Haltung wieder gewonnen.

Wahrhaft erschütternd wirkte es jetzt, als der überglückliche Jüngling in ergreifenden Worten der Aebtissin dankte, daß sie die bittere Schande von ihm genommen, die er Zeit Lebens tragen zu müssen geglaubt. Diese wehrte bewegt allen Dank ab und wandte sich an Herrn Dominikus Fernhaber: „Anmit beauftrage ich meinen getreuen Kanzleidirektor, sogleich ins Einvernehmen mit der hohen Obrigkeit der Stadt zu treten, damit die Unschuld des Franz Werner an dem ihm zur Last gelegten Verbrechen in aller Form festgestellt werde. Einstweilen lade ich Herrn Werner ein, in der Gastfreundschaft des Stiftes auf unserem Klostergute Seehof den Verlauf abzuwarten.“

Darauf forderte die Aebtissin ihr Gefolge und Werner auf, sich in die Stiftskirche zu begeben, wo nach altem Herkommen das Scherenrecht seinen Abschluß finden sollte. Erschien auch die völlige Durchführung desselben nunmehr gegenstandslos, so war es der jungen Fürstin doch hochwillkommen, im Frieden des Gotteshauses den aufregenden Vorgang ausklingen zu lassen. Nachdem sich die Aebtissin von den Herren des Gerichts verabschiedet hatte, schritt sie an der Spitze der Edelfräulein, welche noch keine Zeit gefunden, sich von dem verblüffenden Ereigniß zu erholen, in Ehrfurcht gebietender Haltung der Kirche zu.

Wahrhaft glücklich über den großherzigen Entschluß der Prinzessin war die gute Benigna. Der Anblick Franz Werner’s hatte sie aufs Tiefste erschüttert, und das Bewußtsein ihrer Schuld an dem langen Schweigen der Aebtissin war ihr als schwere Last auf dem Gewissen gelegen.

Nun hatte die geliebte Fürstin das erlösende Wort gefunden, und frei durfte sie das schöne Haupt erheben – jetzt erst wieder das sorgenloseste aller regierenden Häupter im Reich.




Das erste Jahr im neuen Haushalt.

Eine Geschichte in Briefen.0 Von R. Artaria.


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Nun, jetzt hieß es also, sich für die Bescherung rüsten. Ich hatte, im festen Glauben, nach S. zu kommen, noch gar nicht ordentlich vorgesorgt. Für meine Schwiegermutter allerdings ließ ich mir von Mama eine sehr hübsche Cuivrepoli-Platte schicken zur Wanddekoration, weißt Du, von denen, die genau aussehen wie getriebene Arbeit und für das, was sie vorstellen, fabelhaft billig sind. Das war also besorgt, aber Hugo? Was schenkt man einem Manne, der nicht raucht, keinen eleganten Schreibtisch will, nicht einmal Pantoffeln trägt?

Einen Wunsch von ihm wußte ich allerdings, aber der war mir unsympathisch. Er hatte schon oft im Scherz gesagt: „Es ist ein großer Mangel an Deiner Aussteuer, daß Du nicht einen guten Atlas mitgebracht hast!“ Denn er selbst hat nur einen „sehr schönen und kostbaren großen Stieler“ aus den vierziger Jahren, den seine Mutter wie ein Heiligthum hielt, wo man durch drei Viertel von Afrika auf einem großen weißen Fleck spazieren gehen kann und wo an dem Nil unten ein Fragezeichen ist. Bei den Donaufürstenthümern steht: Kleine und große Walachei. Aber war schadet das? Sofia und Bukarest stehen doch darauf; das Uebrige kann man sich dazu denken, und über kurz oder lang wird dort Alles doch wieder anders!

Du begreifst also, warum ich mich mit dem Gedanken des Atlas nicht befreunden kann; es steckte mir auch bereits ein anderer im Kopfe. Wie nothwendig wären ein Paar hübsche Klavierlampen! Nicht für Hugo direkt, das gebe ich zu, aber es gehört doch zur Einrichtung; er hat Freude an der Einrichtung, auch an meinem Klavierspiel, also wäre es

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