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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

doch auch für ihn! Mit diesen Gedanken und Zweifeln trug ich mich am Tage nach dem schwiegermütterlichen Besuche, mußte mich aber bald entscheiden; denn es war hohe Zeit, nur noch ein paar Tage bis zum Bescherabend.

Einstweilen begab ich mich ans Backen. „Willst Du nicht Stollen backen, Emmy?“ hatte Hugo gefragt. „Die Mutter bäckt sie immer zu Weihnacht.“

„Ach, Hugo,“ erwiederte ich ihm, „dazu muß man einen norddeutschen Magen von Kindesbeinen an haben; uns im Süden schmecken diese wochenlang aufgehobenen trockenen Stollen nicht. Du bekommst etwas Besseres!“

Ich wollte ihm einen guten englischen Kuchen machen, von Mandeln, Zucker, Rosinen, Citronat und Gewürz, der anders schmeckt als so ein bleichsüchtiger Stollen mit seinen sparsamen Rosinen; ich stellte mich also mit Rike in die Küche, wog ab, klopfte, stieß, zerrieb, theilte die vielen Ingredienzien ab, schlug einen gewaltigen Schnee und füllte die Geschichte endlich in die große Form. Rike wollte immer dazwischen fahren:

„Aber, Frau Assessor –“

Ich erwiederte ihr aber: „schweigen Sie, Rike, das verstehe ich einmal besser, thun sie nur, wie ich Sie heiße!“

Nun sollte der Kuchen eine Stunde backen. Das that er auch und wurde schön braun, ich schürte langsam und wissenschaftlich, um den gleichen Hitzegrad zu behalten, es ging Alles vortrefflich. Endlich kam er aus dem Ofen und sollte nun gestürzt werden. Ich überließ das Umschwingen Rike, als der Geübteren; sie machte es auch ganz schön, aber – als sie die Form emporhob, da rieselte und bröckelte es, und der ganze Inhalt thürmte sich vor meinen Augen in einen lockeren Berg auf die Platte. Von einem Kuchen keine Spur! Ich stand starr vor Entsetzen.

„Das hab’ ich mir gleich gedacht!“ sagte endlich Rike mit kaum verhehlter Schadenfreude, „gnädige Frau haben ja kein Mehl hinein gethan. Aber ich hab’ ja nichts sagen dürfen.“

Das Mehl! Richtig, da stand es noch, und ich in meiner Hast mit den vielen andern Sachen hatte es ganz übersehen. Ach, es war abscheulich, ich hätte beinahe weinen mögen, aber ich bezwang mich wegen Rike. „Nun, einen ganz guten Auflauf für heute stellt es doch noch vor,“ tröstete diese, „und die andere Hälfte giebt morgen die Mehlspeise. Der Herr Assessor merkt nichts!“ Wie solche Leute gleich den schwachen Punkt loshaben!

Nun, daß ich jetzt lief und die Bestellung wegen des Atlasses an den Buchhändler schrieb, kannst Du Dir denken. Es kam mir auf einmal vor, als ob Hugo sich doch nicht so sehr über die Lampen freuen würde; der Unglückskuchen hatte mich ganz deprimirt. Dann vergingen drei, vier Tage, und es blieb ganz still. Der Buchhändler schickte wohl den Atlas, aber keine Kiste von zu Hause kam, ich konnte mir mohl denken, daß Mama, die stets mit der Post in Fehde lebt, ihre Sendung wegen Rippenbruchs einer alten Pappschachtel retournirt bekam und sie dann nicht mehr rechtzeitig fortbrachte. Aber auch an Hugo kam kein geheimnißvolles Packet – am Ende wollte er mir Geld schenken! Von seiner Mutter erwartete ich mir überhaupt nichts Anderes, als den „Justus Möser“, für den sie so schwärmt, oder Jean Paul’s „Levana“.

Ach, wie dunkel und frostig war der Abend, als wir zur Bescherung hingingen, wie kämpfte ich mit meinen Heimwehthränen! Aber Hugo sollte nichts merken: er freute sich wie ein Kind auf die Bescherung. Oben war es hell und warm, der Theetisch stand im kleinen Entréezimmer, der unvermeidliche Notar saß bereits daran: Hugo’s Mutter ging ab und zu, viel lebhafter als gewöhnlich, auch merkwürdig freundlich, mit glänzenden Augen, und dabei fiel mir zum ersten Male ein, daß sie vermuthlich in ihrer Jugend sehr schön gewesen sein muß. Man denkt doch bei alten Leuten nie, daß sie auch einmal jung waren!

Im großen Zimmer erklang das Glöckchen, und als wir eintraten, glänzte uns der Christbaum entgegen. Die alte Köchin Lene, die natürlich auch dabei sein muß, zog das Tuch von unserer Bescherung und nun: ein Rufen, ein Umarmen! „Mein alter Junge, welche Herzensfreude!“ es war Hugo’s Kabinettsphotographie. „Emmy, Kind, wie schön!“ Damit meinte sie die Schüssel. Hugo fuhr auf seinen Atlas los, aber ich selbst stand starr! Zwei prächtige Klavierlampen mit Reflektoren und daneben – das Hütchen, das Müffchen, dem ich um so viel Schmerz entsagt hatte! „Hugo –“ da kam er schon, mich mit Küssen zu überfallen, und lachte mit strahlenden Augen. „Nun, Schatz, hab ich’s recht gemacht?“

„Hugo, Du – und wie ist es denn moglich – es kostet ja so viel Geld,“ stammelte ich durch einander, „ach und die Lampen!“

„Die sind von mir,“ sagte die alte Frau. „Ich sah neulich, daß sie Dir fehlen, als Ihr so hübsch spieltet.“

Das war Alles. Ich hatte schon vorher gemerkt, daß sie Hugo gar nichts von jenem Abend gesagt. Marie, mir ging ein Stich durchs Herz!

Und gleich darauf noch einer. Der alte Reutter ließ die Messingschüssel auf seinem Finger tanzen und sagte: „Was zum Kuckuck haben wir denn da? Wozu ist so ein Ding gut?“

Ich sah mich um – ja, wozu sollte das gut sein in dem altmodischen Zimmer, dessen Wände bedeckt sind mit verblaßten Daguerreotypen, Pastellportraits und bescheidenen kleinen Landschaften in Wasserfarben? Keine Möglichkeit, das glänzende, aufdringliche Ding dazwischen zu hängen; es wäre rein lächerlich gewesen. Daß mir das früher nicht einfiel! Ich hatte freilich auch gar nicht darüber nachgedacht.

Als nun Alles betrachtet und bewundert war, auch eine sehr schöne Fensterdecke, die Hugo von der Mutter erhielt, weil es in seinem Zimmer zieht, als auch der Notar mit seinen weitläufigen Dankesbezeugungen zu Ende war, setzten wir uns zu Tisch und es wurde merkwürdig gemüthlich. Zuletzt kam Punsch in einer alten bauchigen Suppenterrine (mit Stollen natürlich), und ich war bereits so lustig gestimmt, daß ich die Geschichte mit dem englischen Kuchen zum Besten gab. Es wurde tüchtig gelacht; Hugo meldete feierlich seine Ansprüche auf eine zweite, verbesserte Auflage an, seine Mutter aber sagte: Tröste Dich, Emmy! Dergleichen kann vorkommen, selbst alten, erfahrenen Hausfrauen. Ich erinnere mich einer schöngebratenen Weihnachtsgans, bei welcher meinen Gästen beim ersten Bissen Gabeln und Hände sanken: die Füllung war, statt mit Majoran, mit Wermuth gewürzt, aus der verwechselten Tüte! Das war noch ärger, als Dein Kuchen!“

Wir saßen noch ziemlich lange beisammen. Die Mutter sah ihren Sohn mit glückseligen Blicken an, wobei auch einige Strahlen auf mich fielen, dann holte Hugo eine alte Ledermappe herbei, worin sich alle möglichen Andenken früherer Jahre, Kinderbildchen von ihm mit einem blonden Lockenkopf, erste Briefe und ähnliche Dinge befanden; dazu erzählte der alte Reutter eine vermuthlich alle Jahre wiederkehrende Geschichte, wie er dem kleinen Hugo einmal beinahe eine Tracht Prügel aufgemessen hätte, wegen frevelhaftem aus dem Fenster Hängen. Dann brachte der große Hugo wieder den Atlas und die Männer vertieften sich in den Kongolauf und disputirten eifrig über die Kolonialfrage. Seine Mutter saß unbequem; ich holte ihr den Schemel, und dabei sah ich, daß er alt und abgeschabt war, und später betrachtete ich ihr Schlüsselkörbchen mit dem verblichenen Perlenrand, in dem die meisten Perlen fehlten. Warum war mir das Alles nicht früher aufgefallen!

Soll ich Dir sagen, was ich an jenem Abend fühlte? Daß ich anders bin als Diese, daß mir vielleicht etwas fehlt, was sie haben; aber ich kann nicht herausbringen, was es ist. Wenn ich an unser Haus zurückdenke, an Mama’s lebhafte Beweglichkeit, wie es stets um sie strudelte, und wie wir Alle sie plagten und mit ihr disputirten, daß sie nervös wurde und weinte, und dann doch wieder die Vergnügungslustigste von Allen war, wenn ich das vergleiche mit der stillen, gleichmäßigen Ruhe der alten Frau und Hugo’s tiefer Ehrfurcht für sie, dann weiß ich nicht, was ich denken soll. Ist es nur der Unterschied der großen und der kleinen Stadt, oder sind das andere Menschen?

Vom Whist war an jenem Abend keine Rede, und die Zeit ging merkwürdig schnell herum. Sonst hatte ich die Minuten gezählt, um von der alten Frau fortzukommen, heute wäre ich ganz gerne noch geblieben, als Hugo zum Aufbruch trieb. So gingen wir den ziemlich weiten Weg unter dem klargewordenen Sternenhimmel langsam, wie ein richtiges Liebespaar. Aber plötzlich, an der Ecke, wo unser Haus sichtbar wurde, erschrak ich fürchterlich: alle Fenster waren hell erleuchtet! „Hugo, es brennt!“ schrie ich und eilte voraus, die Treppe hinauf und riß die Salonthür auf.

Ach! da stand noch ein Christbaum, größer, schöner, als der eben verlassene mit vielen Lichtern, und darunter lag – die ganze Bescherung von zu Hause, ein Berg von herrlichen Dingen, und Briefe und Photographien, und alle die fernen Lieben waren wie leibhaft gegenwärtig, auch Du, meine liebe, liebe Marie! Mich überwältigte es im Moment so, daß ich mich hinsetzte und in Thränen ausbrach, aber ich war selig dabei, und Hugo war es auch, der Gute, der dies Alles bedacht und heimlich ins Werk gesetzt hatte.

O, welche schöne, glückliche Weihnacht war das! Wie hätten wir in unserm kleinen Nest nicht mit den Größten und Herrlichsten der Erde getauscht! „Sieh,“ sagte Hugo später, als wir am Fenster standen und noch einen Blick in die schneeglänzende Nacht hinaus warfen, „der Mond steht hoch über den Dächern, aber ein volleres Glück, als das unserige, deckt doch keines von allen.“

Emmy. 




Blätter und Blüthen.

Gesellschaftliche Unsitte. Es ist in neuester Zeit Mode geworden, daß auch unsere Gelehrten und Schriftsteller Gesellschaften in großem Stil geben, ja man spricht von einer Residenzstadt, in welcher hierin ein Wetteifer unter den namhaften Autoren herrscht, so daß manche Kreise geneigt sind, die Bedeutung des Schriftstellers nach der Größe seiner Salons, der Zahl der eingeladenen Gäste, dem Rang derselben, je nachdem besternte Diplomaten und Aristokraten und mit Millionen ausgestattete Geheimräthe sich in denselben bewegen, und nach der Qualität der aufgetischten Speisen und Getränke zu messen. Diese Gerüchte mögen übertrieben sein, aber es ist gewiß ein Körnchen Wahrheit darin. Der Aufwand unseres gesellschaftlichen Lebens ist viel größer geworden als früher, und in gleichem Verhältniß ist die Freudlosigkeit unserer Gesellschaften gestiegen. Unsere großen Dichter kannten solchen Ehrgeiz nicht und waren nicht in der Lage, ihm zu huldigen; selbst die Symposien im Goethe-Hause waren bescheidener Art; auch die Berliner Salons eines Varnhagen von Ense, einer Gräfin Ahlefeld öffneten sich nur wenigen Auserwählten.

In seiner Selbstbiographie spricht sich Gustav Freytag, ein Schriftsteller, dessen Ruf gewiß keine gesellschaftliche Folie brauchte, dessen Vermögenslage überdies stets eine sehr günstige war, über sein geselliges Leben in Leipzig aus. Er macht dabei sehr beachtenswerthe Bemerkungen, deren Nutzanwendung sich das nach fashionabeln Lorbeern strebende Schriftstellerthum der Gegenwart nicht entgehen lassen sollte:

„Zu Leipzig fühlte ich mich fest in den Herzen alter Freunde verankert und ich denke oft mit Sehnsucht der lieben Kameradschaft. Einem jüngeren Geschlechte aber möchte ich das einfache, häusliche und ehrbare Leben des Kreises, der mich dort umgab, gern empfehlen. Jedem war selbstverständlich, daß die Abendstunden, in denen der Mann von seiner Tagesarbeit ausruht, vor allem andern der Hausfrau und der Familie gehörten. Es ist ein übler Brauch, wenn der Mann den Abend im

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