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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

wirklich schon die Grenze überschritten, ob er überhaupt die ernstliche Absicht hatte, dies zu thun.

Aber die Vorsicht gebot also, und der Beamte setzte, ganz nach der bureaumäßigen Schablone, Statur, Gesicht, besondere Kennzeichen u. s. w., das ganze Signalement auf den Leichenstein des Papierfetzens.

Eff fand die Luft in dem Raume plötzlich zum Ersticken schwül und eilte hinaus.

Um die neunte Morgenstunde fand er sich bei den Belzigs ein, um diese auf Alles vorzubereiten.

Das Haus war noch weit in seiner Toilette zurück. Eine trübe Katzenjammerstimmung erfüllte seine Räume. Die Bedienung war unter Friedrich’s Oberkommando mit Putzen und Räumen beschäftigt, große Stöße von Geschirren und Körbe voll Gläsern wurden geschleppt; mitten auf dem verkratzten Parquet des Vorsaales lag ein Haufen von allerlei Herrlichkeiten zusammengekehrt: vergessene und zerzauste Blumensträuße, abgerissene Ranken künstlicher Blumen, Fetzen von Spitzen und Rüschen, Bänderchen und Flitter, zerfaserte und aufgerollte Menükarten, ein Ordensstern vom Kotillon – fährt nicht so das Schicksal mit seinem großen Besen in die Illusionen und Ideale der Menschlein hinein, die Bruchstücke und Fetzen im Vorsaal auf einen Haufen zusammenkehrend? Die Fenster standen offen und die eisig feuchte Luft wehte herein, ein unangenehmer Duft von verwelkten Blumen und Staub und abgestandenen Getränkresten zog umher.

Friedrich geleitete den Hauptmann in ein eiligst aufgeräumtes Boudoir, die Kälte des Raumes entschuldigend, aber die Luftheizung hätte am Morgen ihren Dienst versagt.

Endlich erschien Frau Belzig. Sie war gegen die Kälte in einen Pelz gehüllt, wie zum Ausgehen bereit, und sie sah darin unförmlich aufgedunsen aus, das Antlitz trug das rücksichtslose Negligé einer in Kummer und Thränen verbrachten Nacht, und die zerzauste Unordnung der sonst so peinlich korrekten Koiffüre war nur nothdürftig durch ein in der Hast aufgestülptes Häubchen verdeckt.

Sie kam mit ausgebreiteten Armen auf den Hauptmann losgewankt, blieb aber dicht vor ihm stehen, ohne die Umarmung auszuführen.

„Welch’ eine Geschichte – welch’ eine Nacht!“ rief sie jammernd; der sonore Alt ihrer Stimme schien in der Nacht vom Roste gelitten zu haben. „Mein lieber Herr Lieutenant, welch’ eine Geschichte!“

Sie dachte weder an den Hauptmann, noch an den Schwiegersohn.

Er erschrak – war es denn geschehen? Hatten sie schon Nachricht?

„Ich bin ganz krank, ich bin ganz elend –“ und sie ließ die erhobenen Arme schwer und schlaff herabfallen. „Wir haben kein Auge zugethan. Es ist zuviel! Es ist mehr, als man ertragen kann!“

Sie ließ sich in einen Fauteuil sinken, und zwischen den Wimpern funkelten große Thränen.

„Daß auch uns dergleichen passiren mußte! Welch’ ein Skandal! Welch’ eine fürchterliche Blamage!“

Sie schluchzte in die Höhlung ihrer Hände hinein und sprach dann, sich fassend, das Taschentuch gegen die Augen tupfend:

„Verzeihen Sie, daß man Sie so empfängt! Mein Mann ist im Thiergarten, das Laufen ist seine einzige Rettung – aber woher wissen Sie denn? … Es ist aus! Es ist Alles vorbei – diese Blamage, o diese Blamage!“ jammerte sie von Neuem in sich hinein, ohne Eff’s Antwort abzuwarten.

Dann, in einem heftigen Bedürfniß nach Trost, streckte sie ihm die Hand hin. Er bückte sich und erhob sie zu seinen Lippen. Die Hand war weich und schlaff und ohne Halt.

„Theuerste Mama …“ stammelte er.

Das Wort rüttelte sie auf.

„Theuerste Mama …“ ah, sie besaß ja noch einen Schwiegersohn! Ihre in Thränen schwimmenden Augen flehten ihn an: nicht wahr, er würde Alles wieder gut machen? Ihre Hand schien plötzlich wieder Knochen bekommen zu haben, und sie hielt Eff’s Rechte damit krampfhaft, wie hilfesuchend, umklammert.

„Wie gut Sie sind! Kommen Sie! Bleiben Sie! Setzen Sie sich! Gehen Sie nicht fort! Sie müssen uns beistehen! Sie sind unsere einzige Zukunft jetzt. Ich bin schlecht gegen Sie gewesen – wollen Sie mir verzeihen …?“

Daß er nicht wüßte! Er wollte sich jetzt gar nicht erinnern, nicht eines Momentes, wo sie schlecht gegen ihn gewesen sein sollte.

„Ich habe schon Schritte gethan, um dem ersten Skandal vorzubeugen,“ sagte er, um sie zu beruhigen. Uebrigens war die Aufregung seiner Schwiegermama nicht derart, als wenn das, was geschehen sein sollte, schon geschehen war und sie hier im Hause etwa schon Kunde hätten. Es schien nur der Mißklang des gestrigen Abends, der in ihrem Jammer austönte.

„Aber woher wissen Sie denn schon? Sie ahnten es wohl und da sind Sie schon! Natürlich, es läuft Nichts schneller herum, als ein Unglück.“ Und Frau Belzig begann zu erzählen: „Die Gäste waren schon fort, wir berathschlagten mit Perkisch, was zu thun sei. Mein Mann sagte: nein! man müßte diesem – diesem – ah, ich bringe den Namen nicht mehr über die Lippen! – man müßte ihm die Thür weisen, wenn er sich nochmals zeigte. Perkisch suchte ihn noch zu vertheidigen. Ich war ganz außer mir. Man muß doch retten, was zu retten ist, und wenn man eine Blamage vermeiden kann … Da war aber plötzlich Lo herangetreten, zieht den Ring vom Finger, sagt kein Wort und legt ihn einfach dort auf den Deckel des Flügels. Sagt kein Wort und sieht uns nur groß an – wahrhaftig, die Sache kommt ihr fast komisch vor. ‚Aber Lo! Lo, was thust Du?‘ ruf’ ich vor Schreck. Doch nur eine lustige Miene und ein stummer Blick auf den Ring. Dann ging sie hinaus. Erst hätte ich sie züchtigen können; nun geb’ ich ihr Recht – sie ist brav und stolz, wir können von ihr lernen. Aber dies impertinente Gesicht von Friedrich, als er uns eine Stunde darauf, da wir uns ins Schlafzimmer begeben wollten, den Ring auf dem Silberteller präsentirt – er wäre wohl vergessen worden auf dem Klavier und würde leicht beim Aufräumen verloren gehen. Ich hatte Lust, den Ring zu nehmen und … und …“

Sie schlug den Pelzmantel aus einander und warf ihn dann mit einer wüthend ausholenden Gebärde um den Leib.

„Die Auseinandersetzung mit Perkisch gab mir natürlich den Rest. Sie ahnen nicht, Sie glauben nicht, welcher Behauptungen dieser Herr fähig ist. Es ist besser, daß Sie nie erfahren, welche Art Freundschaft diesen Herrn mit dem – nun mit ihm! (heftig ausstoßend) verbunden. Ich war harmlos wie ein Kind gewesen. Wahrhaftig, das hatte ich mir nicht träumen lassen! Und nun die Unverschämtheit, zu behaupten, daß ich, ich selbst … ah, genug davon! Ich darf nicht daran denken, ich komme noch von Sinnen. Natürlich wird Perkisch unsere Schwelle nicht mehr betreten. Natürlich ist er lachend abgezogen – natürlich haben wir ihm ein Pflaster von ein paar Tausend auflegen müssen; er wäre im Stande, das tollste Märchen über diese Grafenaffaire in Umlauf zu setzen.“

Da öffnete sich die Thür und Herr Belzig trat ein, athemlos vom Laufen, er schien ebenfalls seit der Nacht zusammengefallen zu sein, sein fahles Antlitz leuchtete auf, als er Eff’s ansichtig wurde.

„Ah! Sie hier!“

Gottlob, ein Halt in dem zusammenstürzenden Jammer dieser Stunden! sagte sein langer und kräftiger Händedruck.

„Lieber Otto – Du bist sehr lange geblieben. Du solltest doch nicht zuviel laufen,“ klang Frau Belzig’s weinerliche Stimme.

Es war ein Anfall von zärtlicher Weichheit, der sie selbst zu überraschen schien. Aber sie streckte die Hand, die sie ihm hinreichen wollte, wirklich aus. All’ ihre Festigkeit hatte sie verlassen, und sie tastete überall nach Hilfe und Trost umher.

„Hast Du Dich ein wenig beruhigt, liebe Bella?“ fragte Belzig dankbar, mit dem zärtlichsten Ton, dessen er fähig war. „Schlafen die Mädchen noch?“

„Wir wollen sie schlafen lassen, die armen Dinger. Schlafen ist das Beste. Ich wollte, ich könnte Alles, Alles verschlafen. Aber es muß überlegt werden. Lieber Walther, nicht wahr, Sie helfen uns? Sie verlassen uns nicht?“

„Lieber Walther“ – es war das erste Mal, daß Frau Belzig den Bräutigam ihrer Tochter beim Vornamen genannt. Sie hatte bisher eine Schranke zwischen sich und ihm gefühlt, die ihn von ihrem Herzen trennte, aber jetzt war diese gefallen. Mit solchem unerhörten Fanatismus betrieb sie den Götzendienst, daß sie jetzt in dieser Stunde, da die Grafenkrone eben hinter dem Horizont ihres Ehrgeizes hinabgeschossen war, schon ein anderes Krönchen, eines von dauerhafterem Glanz und soliderer Arbeit aufschimmern sah. Und Eff, der brave Eff würde nicht zögern, ihr das Krönchen darzureichen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_324.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)