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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Sie hatte mit der Hand vor ihren Augen her durch die Luft gestrichen, wie um ein lästiges Insekt abzuwehren.

„Nichts,“ sagte sie, mit schnell blinzelnden Lidern, „es ist die Sonne, mir schwirrte etwas vor den Augen.“

„Ist Dir nicht wohl, mein Herz?“ fuhr er abermals empor, fast erschreckt. Die Sorge war diesmal eine kleine Uebertreibung, er wollte eine Ablenkung haben von diesen Dummheiten, die ihm schier das Blut stocken ließen!

Sie begann in letzter Zeit über die peinliche, fast pedantische Aengstlichkeit zu lächeln, mit der er ihr Befinden überwachte. Ein unerwartetes Stillsein, eine plötzliche Regung ihres Körpers, irgend ein zufälliges Zucken eines Fältchens in ihrem Antlitz, und sofort war die Frage da: „Was ist Dir? Fehlt Dir etwas, Litta?“ Zuweilen geschah sie mit einer Betroffenheit, die in sein sonst so vornehm gemessenes Wesen nicht hineinpassen wollte, dann wieder von einem sanften Streicheln seiner Hand über die feinen natürlichen Wellen ihres seidenen Braunhaares begleitet. Sie fühlte sich so köstlich geborgen unter dieser stets wachenden Hut seiner Liebe.

„Nichts, aber durchaus nichts, Walther!“ Die Schelmengrübchen in ihren Wangen lachten ihn an und die leicht emporgezogenen Brauen zuckten neckisch unter dem hauchfeinen Schleier.

„Wie besorgt Du bist!“ Sie reichte ihm die schlanke Hand, er faßte begierig danach, und die Hand ruhte dann wie in einer Doppelschale zwischen seinen beiden großen Händen.

„Es tanzte mir vor den Augen. Weißt Du, Walthi, als Kinder riefen wir es absichtlich hervor, schauten in die Sonne, bis uns die Augen übergingen, damit wir so recht lange das Spiel der schönen bunten Kugeln genössen, die vor unseren Augen tanzten.“

Und diesmal führte die Sonnenlaune statt der bunten Kugeln einen Tanz von Freiherrnkrönlein vor ihr auf. Es wirbelten ihrer immer mehr durch einander, sie wollten nicht weichen und erblassen gleich jenen Kugeln. Fort damit! Sie senkte die Wimpern, um der Vision Herr zu werden, und lehnte das Köpfchen gegen die dunkelblaue Seide des Polsters.

„Litta, was hast Du denn?“

„Ich bin glücklich – ich bin so glücklich –“ hauchte es nach einer kurzen Pause aus ihren geöffneten Lippen hervor. Langsam, mit einer sehnsüchtigen Schwere hob sie die Wimpern empor, und es traf ihn ihr langer, voller, liebestrahlender Blick. Bei seinem Ausruf hatte ein so lebendiges Gefühl dieses Glückes sie überwältigt. Und verflogen war all die elende Weltlichkeit, die soeben noch mit Freiherrnkrönlein vor ihren Augen geflimmert.

Ja, sie waren glücklich! Sie durften es sein. Beide jung und prächtig, mit blühendem Leben ausgestattet, eine Erquickung für jedes Auge, wohin sie kamen, und die Herzen im Sturm erobernd. Eine ehrenvolle, vielleicht glänzende Laufbahn, die seiner soliden Tüchtigkeit offen stand, und die Seligkeit ihres zukünftigen Nestes, das aus etwas mehr als ein paar zusammengelesenen Federchen und Strohhalmen zu bestehen schien. Sonne – freudiger Sonnenschein, wohin sie blickten! Was wollte das häßliche Insekt dieses Krönleins? Es wäre doch wohl nicht im Stande, vorüberfliegend den Ausblick in diesen Sonnenschein zu trüben, oder gar anwachsend zu einem Schatten zu werden, der ihnen das Leben verdunkelte?

Man hatte noch einen Besuch in einer Moabiter Villa abzumachen und der Wagen durchkreuzte den Thiergarten. Die feenhafte Herrlichkeit des bereiften Waldes umfing sie, alle Aeste und Zweige mit einem feinen flockigen Federwerk behangen, selbst die winterliche Schwärze der Stämme mit flimmerndem weißen Hauch bedeckt. Alles so leicht und duftig, daß ein leiser Wind die Scenerie sofort wie einen Traum verweht hätte. Aber vollkommene Windstille. Droben zwischen den zartgewölbten schneeigen Wimpeln der Bäume stand in heiterster Ruhe das makellose Himmelsblau; in den Alleen schienen die Bäume und Sträucher, von der Sonne getroffen, wie aus massivem Edelmetall getrieben. Fernhin gegen das Ende der Reitwege verdämmerte die überwältigende Helle in einem zarten Rosaduft, hier und da belebt von dem Glitzern einer vorüberfahrenden Equipage. Auf dem schräg nach dem Brandenburger Thor führenden Promenadenweg eilte es in dunklen Scharen nach dem Eis der Rousseau-Insel, und durch das dumpfe Rollen der Gummiräder hörten die Beiden im Wagen das fröhliche Klirren der Schlittschuhe in den Händen der Eilenden.

Sie saßen noch immer Hand in Hand; Beide des Glückes übervoll; hier und da machte sich dasselbe Luft in einem Ausruf über solche Herrlichkeit da draußen. Ihre Augen lachten vor Freude, während sie sich gemeinsam bald zur Linken, bald zur Rechten hinneigten, um nichts von der köstlichen Dekoration zu versäumen. Ah die Jugend, die Schönheit und der hübsche Eintagstanz der farbenglänzenden Schmetterlinge – Illusionen genannt! Ueber Nacht wird ein Lüftchen sich erheben, und all die Pracht dieser Feerie wird verweht und zerstoben werden, und nur die schwarzen häßlich kahlen Aeste werden zurückbleiben, die in den grauen Winterhimmel hineinstarren …

Auf dem Königsplatz war die Blendung so gewaltig, daß sie kaum hinauszublicken wagten. Da nahte auf dem harten Fahrdamme das scharfe Getön einer eleganten Equipage. Zwei feurige Braune, blitzendes Geschirr, auffallende hellblaue Livrée – sausten am Wagenschlag vorüber.

„Aha,“ rief Eff, „Kehren, unser Kehren.“

Und er nickte verständnißvoll. Es war nicht seine eigene ursprüngliche Meinung, aber bei den Kameraden stand dieser Kehren unter den unerbittlichsten wüthendsten Strebern verzeichnet. Alles – Alles, nur vorwärts! war dessen Parole. Er ließ seinen Namen spielen und funkeln; er hatte eine reiche Frau geheirathet, um zu glänzen, und eine schöne Frau, um zu blenden; er gab die herrlichsten Diners; seine Equipage und seine Livrée waren von raffinirter Eleganz. Er ritt, jagte, tanzte, spielte, aß und trank, arbeitete, war höflich, war grob, lächelte und lachte, war unerschütterlich ernst, jede Bewegung und jeden Gedanken nur auf das eine Ziel hin gerichtet.

„Wer war es? Kennst Du sie, Walther?“

„Kehren, Baron Kehren von uns.“

Sie hatte schon den Namen gehört. „Eine schöne Frau, nicht?“

Er nickte – „sehr reich,“ fügte er hinzu.

„Wo ist sie her? Eine Berlinerin?“

„Eine Sturz, eine von den großen Eisen-Sturz aus Westfalen. Werden übrigens demnächst auch dort unseren Besuch machen müssen.“

Sofort war der Kobold wieder da. Reich und schön … aber das Gemälde käme ohne den glänzenden Rahmen dennoch nicht zur Geltung!

Es befiel sie etwas wie das Gelüst einer jungen Katze, sich auf ein buntes Spielzeug, das davonrollen will, zu stürzen, um es mit scharfen Pfötchen fest, recht fest zu krallen. Ihre Hand zuckte ein wenig in seinen Händen und die Flügel des geraden Näschens zitterten nervös.

„Weißt Du, Walther …“ begann sie. Sie stockte, ihre Stimme kam ihr selbst wie verändert vor.

„Was denn? was ist Dir, Herz?“

Sie hatte sich abgewandt, nach dem Fenster hin. „Ei, wie die Viktoria da oben glänzt,“ sagte sie rasch und ausweichend.

Eine Blutwelle flog über ihr Gesicht. Es giebt Gedanken, die sehr häßlich klingen, wenn sie in dürren Worten ausgesprochen werden …

Und zum zwanzigsten Male ließ sie ihren Enthusiasmus jubeln. „Welch’ ein Tag! Nein, welch’ ein herrlicher Tag!“

Doch das Kätzchengelüst ließ sie nicht los. Nach einer kurzen Pause begann sie von Neuem, den erregten Athem zur Ruhe zwingend, auf weitem Umwege diesmal. „Ein reizendes Wesen, diese Olga, ein Prachtmädchen, nicht?“

Darüber war man längst einig, darüber gab es nur eine Stimme. Fast hätte er gefragt, wie sie dazu käme – von der ehernen Riesengestalt der Viktoria da droben auf den winzigen Schmetterling jenes Prachtmädchens?

„Sehr nett – ich mag sie ungeheuer gern,“ antwortete er.

„Sie thut mir oft leid – sie hat so wenig von ihrer Jugend gehabt – ich fürchte, sie wird sitzen bleiben.“

Er lachte: es war wohl die Schwäche der meisten Verlobten und Jungvermählten, daß sie überall Glück und Ehe stiften wollen, die auch bei ihr zum Durchbruch kam.

„Welche Sorge! Warum soll sie sitzen bleiben, mein Herz?“

„Wenn sie nicht Einer ihres Namens wegen nimmt …“

Es war heraus – sie athmete hoch auf. Zum ersten Male, daß der Name zwischen ihm und ihr erwähnt wurde.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_342.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)