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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

den Erlaß eines desfallsigen Gesetzes zwar abgelehnt, die Entschädigung aber doch als eine moralische Pflicht des Staates und so gewissermaßen im Princip anerkannt.

Unter den neueren dahin einschlagenden Fällen hat die Wiederaufhebung des gegen den Dienstknecht Karl Loth von Synderstedt früher erkannten, aber nicht vollzogenen Todesurteils durch das Schwurgericht in Gera eine ganz besondere Bedeutung erlangt. Diese Bedeutung ist namentlich darin begründet, daß Juristen, Mediciner und Laienrichter (Geschworene) bei der Urtheilsfällung gemeinsam betheiligt waren, daß die klärende Wiederaufnahme des Verfahrens nur dem wunderbaren Walten des Unfalls zu verdanken ist und dabei eine ganz eigentümliche Verwicklung der Umstände zu Tage tritt.

Wir halten dafür, daß eine kurze Darstellung des eigenthümlichen Verlaufs dieses Rechtsfalles auf ganz authentischer Grundlage auch den Leserkreis der „Gartenlaube“ interessiren wird.

In der Nacht vom 24. auf den 25. Januar 1885 wurde der Bürgermeister des vier Stunden von Weimar und eine Stunde von Blankenhain liegenden weimarischen Dorfes Obersynderstedt nach dem Gehöfte des Gutsbesitzers Konstantin Zorn gerufen, weil dort in der zweiten Morgenstnnde in der in dem oberen Stocke befindlichen Schlafkammer des Gutsherrn Schüsse gefallen waren. Als man in die Stube eintrat, lag der junge, kaum vierundzwanzigjährige Hausherr in einer am Rücken sich ausbreitenden Blutlache in halb sitzender Stellung todt vor seinem Bette. Die rechte Hand war abgeschossen, sie hing nur noch an der Haut. Außerdem befand sich eine Schußwunde auf der linken oberen Brustseite und eine weitere auf der Brust. Die Bettdecke lag am Boden, das Bett selbst machte den Eindruck, als ob Jemand ruhig darin geschlafen hätte. Auf dem Bette, die Mündung nach dem Kopfende zu, lag ein abgeschossenes doppelläufiges Jagdgewehr. Der von Blankenhain herbeigeholte Amtsphysikus glaubte aus dem Befund entnehmen zu können, daß hier ein Verbrechen begangen sei, und veranlaßte das Einschreiten des Gerichts. Die Untersuchung ergab zunächst Folgendes.

Auf dem Gute lebten außer den beiden Zorn'schen Eheleuten noch die Eltern der jungen Frau Zorn, die Eheleute Peter. Der alte greise Vater lebte still und theilnahmlos für sich, dagegen war dessen um zwanzig Jahre jüngere Frau, die früher bei dem Manne in dienender Stellung sich befunden und die er erst in späteren Jahren geheiratet hatte, der eigentlich herrschende Theil im Hause, obwohl das Gut gar nicht von den Peters stammte. Als der Dienstknecht Karl Amandus Loth ins Haus kam, erlangte derselbe gegenüber dem jungen unerfahrenen Dienstherrn in Folge seiner Kenntnisse und energischen Thätigkeit bald eine leitende Stellung in der Wirthschaftsführung. Ihm schloß sich die Frau Peter alsbald an. Beide führten jetzt gemeinsam das Regiment. Der junge Zorn sank immer mehr zu einer wirthschaftlichen Null herab. Er ging auf die Jagd, besuchte viel die Wirtshäuser und kümmerte sich immer weniger um die Wirthschaft. Auch im Verhältnisse zu seiner jungen Frau trat angeblich in Folge einer ihr zugefügten Rohheit eine theilweise Erkältung ein.

Im Dorfe hatte sich das Gerücht verbreitet, daß Loth, der Knecht, in näheren Beziehungen zu der jungen Frau stehe. Er war mit ihr allein zwei Tage lang auf einem Nachbardorfe zur Kirmse gewesen, und eine Magd wollte bemerkt haben, wie er die junge Frau beim Melken im Kuhstalle geküßt habe. Noch am Nachmittage vor der Mordnacht hatte zwischen ihm und seinem Herrn ein heftiges Zerwürfniß stattgefunden. Der Letztere war von einer Ausfahrt stark angetrunken nach Hause gekommen und hatte allerlei Excesse begangen. Loth war von den Frauen gerufen worden, ihn zur Ruhe zu bringen. Zorn stieß ihn fort; Loth packte ihn, warf ihn zu Boden und würgte ihn heftig am Halse. In Folge dessen hatte Zorn als Dienstherr dem Knechte sofort den Dienst gekündigt. Loth hatte sich auch bereit erklärt, andern Tags fortzugehen. Die Frauen aber, vor Allem Frau Peter, hatten der Entlassung widersprochen.

„Ich,“ hatte diese gesagt, „habe ihn gemietet, er darf nicht fort, schon der Wirthschaft wegen.“

Der Streit wurde durch den Bürgermeister geschlichtet. Loth wollte sich im Wirthshause mit Zorn versöhnen, dieser lehnte es ab und ging später allein dahin. Loth will dann, nachdem er zu Abend gegessen, in der im Parterregeschoß des Hauses liegenden Wohnstube geblieben sein und den Frauen beim Kartoffelreiben geholfen haben, während Zorn nach seiner Rückkehr aus dem Wirthshause sich in unruhigem Halbschlummer auf dem Sofa herumwälzte. Gegen neun Uhr ging Loth in den Pferdestall, welcher in dem Nebengebäude lag und wo er zu nächtigen pflegte. Dort hatte er die Pferde gefüttert und dann sein oben an der Wand befindliches Bett bestiegen

Im Hause war dann außer Zorn und dem alten Peter, der im oberen Stocke schlief, nur noch die Frau desselben geblieben. Die junge Frau hatte sich schon vorher zu dem Nachbar Müller begeben, um die Nacht dort zu verbringen, angeblich, weil ihr Mann Drohungen gegen sie ausgestoßen hatte und sie sich vor ihm fürchtete. Loth will dann fest eingeschlafen sein und von den Schüssen nichts gehört haben. Er ist erst wieder erwacht, als die Frau Peter in den Stall kam und rief: „Karl, Konstant hat sich erschossen in seiner Kammer!“

Für das, was in der Mordstunde geschah, lag nur ein einziges gemeinsames Zeugniß vor, das der in der Nachbarschaft wohnenden Schwarz’schen Eheleute. Der alte Peter, der noch mit im Hause war, lehnte das Zeugniß gegen Frau und Tochter ab, wozu er berechtigt war. Die Schwarz’schen Eheleute schliefen auf dem Heuboden, dort befand sich ein bis auf den Fußboden hinabgehendes Fenster, von welchem aus man in den Zorn’schen Hof sehen konnte. In der Nacht, früh gegen zwei Uhr, hörte der Mann zwei in der Nachbarschaft gefallene Schüsse. Er weckte die Frau mit der Mittheilung. Beide horchten, da fiel etwa acht bis zehn Minuten später ein dritter Schuß. Die Frau vernimmt hierauf innerhalb des Zorn’schen Hauses ein „Heulen“. Gleich darauf wird die Zorn’sche Hausthür geöffnet, und es erscheint ein Lichtschimmer. Da hält's die Frau nicht länger im Bette, sie springt heraus und kauert sich ans Fenster. Da steht sie die Peter auf der nach dem Hofe zu führenden Haustreppe stehen. Von dort geht sie in wimmerndem Tone über den Hof nach dem nahegelegenen Pferdestalle. Dort, in der Nähe des Pferdestalls, ruft sie zweimal: „Komm, Karl, komm!“

In den Pferdestall ist sie nach der Meinung der Zeugin nicht gegangen, da sonst das Licht, das sie trug, verschwunden wäre. Das geschah aber erst, als sie in den Durchgang eintrat, der nach der Straße führte. Von Loth selbst hat die Zeugin nichts bemerkt; auch im Hause keinen Hilferuf gehört. Dann hatte sie kurze Zeit darnach ein Pochen gehört. Das war das Pochen an der Thür des Bürgermeisters, wo, wie festgestellt worden war, die Frau Peter in Begleitung des Loth erschien.

Nach dem Gutachten der beiden Physikatspersonen waren die sämmtlichen drei Schüsse Zorn durch fremde Hand beigebracht. Der Mörder sollte vor dem Bette Zorn's, das eine Bein auf den Bettrand gestützt, gestanden und den ruhig Schlafenden, der gerade den rechten Arm über die Brust gelegt hatte, getroffen und zunächst ihm die Hand zerschossen, mit dem gleich darauf folgenden zweiten Schusse aber ihn in die Seite getroffen haben. Das Gewehr war doppelläufig, die Schüsse waren Schrotschüsse. Schon dieser zweite Schuß sei sofort tödlich gewesen, da er edle Theile getroffen hatte!

Alle Drei, Loth, die Frau Peter und die Wittwe des Gemordeten, standen unter der Anklage des gemeinschaftlich geplanten und verübten Mordes vor dem im Oktober 1885 abgehaltenen Schwurgerichte. Alle Drei stellten ihre Beteiligung an dem Morde in Abrede. Ihrer Ansicht nach hatte Zorn sich selbst getödtet. Nach dem Spruche der Geschworenen wurde hierauf der Knecht Loth des Mordes allein für schuldig erklärt und die Frau Peter nur der Beihilfe dazu. Obwohl im Vorzimmer auf der Diele die blutigen Abdrücke eines mit einem Strumpfe bekleideten Fußes von der ungefähren Größe desjenigen der Peter entdeckt worden waren, traute man ihr als Frau doch nicht zu, daß sie dreimal auf einen Mann geschossen haben könne, um so weniger, als das Gewehr beim Verschlusse einen Defekt hatte, der dessen Handhabung erschwerte. Loth wurde zum Tode, die Frau Peter zu zehnjährigem Zuchthause verurteilt. Auch die Frau Zorn ging nicht straffrei aus. Obwohl sie außer dem Hause geblieben war, nahm man doch an, daß ihr der Mordplan bekannt gewesen sei, und verurteilte sie wegen unterlassener Anzeige desselben zu einer vierjährigen Gefängnißstrafe.

Im Publikum war man mit dem Spruche der Geschworenen nicht ganz zufrieden. Man hielt allgemein die Frau Peter für

die Hauptschuldige und konnte sich nicht damit befreunden, daß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_346.jpg&oldid=- (Version vom 31.5.2023)