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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

nur der Rahmen fehle, um mit diesem lieblichen Geschöpfchen rivalisiren zu können? Lag es wirklich nur an der Toilette, um ihr die Sicherheit einzuflößen, welche diese vom Glück begünstigten Frauen dort besaßen? Und wie als Antwort klang ein abgerissenes Stück Gespräch zu ihr hin: „Ja ja, Kleider machen Leute!“

Soweit war Kordula in ihren Erinnerungen gerathen, als plötzlich die Tante neben ihr zum Schlafengehen mahnte. Hastig strich sie über die geröthete Stirn, dann zog sie fürsorglich den Arm der Blinden unter den ihren. „Verzeih, Tante!“ bat sie fast zärtlich.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Hermann Heiberg. Von den Autoren, die in jüngster Zeit aufgetaucht sind, hat sich der Schleswiger Hermann Heiberg rasch einen Namen und ein Publikum verschafft. Schon erschienen in der W. Friedrichs’schen Buchhandlung sechs Bände seiner gesammelten „Schriften“; daneben gehen noch verschiedene Erzählungen und Skizzensammlungen ihren eigenen Weg, bis auch diese Nebenflüsse in den Hanptstrom münden werden.

Man mag an einen andern Autor aus dem stammverwandten Schleswig-Holstein denken, an den Holsteiner Wilhelm Jensen, der ja auch auf dem Gebiete der erzählenden Litteratur sich vorzugsweise ausgezeichnet hat, und nach Aehnlichkeiten zwischen den beiden Schriftstellern suchen, die aus demselben Volksstamme hervorgegangen sind. Und in der That wird man manches Gemeinsame finden, das der landschaftlichen Eigenart angehört: Beide schildern mit Vorliebe Strandgegenden mit ihren Dörfern und Städten, und ein frischer Meereshauch durchweht viele ihrer Erzählungen; Beide besitzen das Talent stimmungsvoller Naturmalerei und zeichnen mit Vorliebe Charaktere, welche den kräftig trotzigen Sinn und die unbeugsame Eigenart jenes Volksschlags nicht verleugnen.

Doch größer als die Aehnlichkeit ist die Verschiedenheit der beiden Erzähler.

Bei Wilhelm Jensen herrscht eine träumerische Beleuchtung vor; die Gestalten sind wie in ein magisches Licht getaucht, und der Dichter läßt sein psychologisches Senkblei mit Vorliebe in schwer zu ergründende Seelentiefen fallen. Eben so liebt er es, große Gedankensymphonien in seine Erzählungen zu verweben, ganze Kapitel mit geschichtsphilosophischem Inhalt einzuschieben, geistreich Funkelndes und Tiefsinniges, oft mit einem gewissen priesterlichen und phantastischen Anstrich in seine Werke hineinzugeheimnissen, so daß seinen Tragödien niemals schwunghafte, oft langathmige Chorgesänge fehlen.

Von diesem Allem findet sich nichts in Heiberg’s Schriften; das träumerisch Brütende liegt ihm fern; wenn er auch hin und wieder mit einem kühnen Gedankenblitz in das Stillleben, das er schildert, hineinleuchtet: er trägt kein sterngeschmücktes Magiergewand und hütet keine heiligen Opferflammen an geheimnißvollen Altären: ihm steht in erster Linie das, was der Dichter die gemeine Deutlichkeit der Dinge nennt; er sieht Alles mit voller Klarheit und giebt Alles wieder in scharfen, festen Umrissen; er ist ein feiner Beobachter nicht bloß der äußeren Welt, sondern auch der inneren Vorgänge des Seelenlebens; er ist ein trefflicher Genremaler, dem kein Detail entgeht und der es in feiner Ciselirung in seine Schilderungen hineinarbeitet; er besitzt den Verstand des praktischen Welt- und Lebemannes und wird unsere Phantasie nie in ein Netz unmöglicher Ereignisse einzufangen suchen; er schweift nicht über das Leben der Gegenwart hinaus, versenkt sich nicht in den Geist der vergangenen Zeiten; er ist ein getreuer Photograph, aber er strebt dabei nach künstlerischer Auffassung.

Das erste Werk, durch welches sich Heiberg in die Litteratur einführte, waren die „Plaudereien mit der Herzogin von Seeland“, die jetzt unter dem Titel „Aus den Papieren der Herzogin von Seeland“ neu aufgelegt worden sind. Offen gestanden, uns erschien der erste Titel richtiger und bezeichnender, wenn auch manche Skizze und Novelette nicht gut darunter passen wollte. Das Ganze ist ein Skizzenbuch, doch nicht im Stil Washington Irving’s – dazu fehlt ihm zu sehr die feste Charakterzeichnung, auch nicht im Stile der „Grönländischen Prinzessin“ Jean Paul’s – dazu fehlt ihm die langathmige Satire.

Wenn irgend ein neuer Dichter, so hat Heine bei diesen Skizzen Pathe gestanden, was den kurz angebundenen Ton und die heitere Zwischenrede betrifft; auch verspürt man bisweilen den frischen Hauch der Brise, die in den poetischen „Nordseebildern“ jenes Dichters weht. Es ist eine Sammlung von feinen Skizzen und Humoresken, von Lebensbildern und unausgegohrenen Noveletten; ungleich in Ton und Werth, aber das Sprühfeuer eines liebenswürdigen Geistes. In den Novellen und Geschichten, welche einige Bände der „Schriften“ bilden, ist das Meiste viel ausgearbeiteter und geklärter, und nur hin und wieder herrscht die Kohlenskizzenmanier, welche mit leicht hingeworfenen Umrissen an die Wand zeichnet.

Schärfer prägt sich die Physiognomie des Dichters in den kleinen Romanen aus, welche großentheils der Sammlung seiner Schriften eingereiht sind. Für den bedeutendsten und abgeschlossensten halten wir „Apotheker Heinrich“. Das Charakterbild dieses Apothekers, eines Egoisten von Kopf zu Fuß, ist mit großer Lebenswahrheit entworfen; die kleinsten und feinsten Züge darin sind der Natur abgelauscht. Der Roman schildert eine unglückliche Ehe, und daß diese Ehe unglücklich wird, ohne alle romanhaften Wendungen und Ueberraschungen, nur durch den Charakter des Mannes, der keine Lebensfreude bei der Frau aufkommen läßt: darin liegt eine Moral, die sich gegen die sogenannten Verstandesehen richtet. Der Physikus und seine Frau glaubten ihre Tochter Dora gut untergebracht, als sie dieselbe dem hochachtbaren und vermögenden Apotheker vermählten. Und doch entwickelt sich aus der Unerträglichkeit seines Charakters eine Tragödie, die mit dem Selbstmord Dora’s endet. Das Leben der kleinen Stadt ist dabei mit einer trefflichen Genremalerei geschildert und einzelne Bilder, wie die Hochzeit der Schneiderin mit dem Barbier, erinnern an die kecken kleinbürgerlichen Humoresken von Paul de Kock, wobei natürlich dessen herausfordernde Ungezogenheiten gänzlich aus dem Spiel bleiben.

„Apotheker Heinrich“ ist ein Gemälde im Stil der niederländischen Schule, in welchem das Interieur einer Apotheke mit allen darin befindlichen Geräthschaften, allen darin vorgenommenen Arbeiten einen breiten Raum einnimmt; „Die goldene Schlange“ aber gehört der italienischen Schule an; der Kleinkram des Lebens spielt darin keine Rolle; es ist eine Seelenstudie, knapp gehalten, wie es Heiberg liebt, und drei anmuthige Frauengestalten, von denen Manja, die goldene Schlange, mit dem Pinsel eines Makart portraitirt ist, bestimmen den Verlauf der Handlung. Das Schicksal des Helden, des etwas weichherzigen und schwankenden Grafen Detlef Rauch, wird von diesen drei jugendlichen Nornen gesponnen, die sich abwechselnd an die Spindel setzen. Der Verrath Detlefs und Manja’s an dem gemeinsamen Freunde, der sich bei Beginn des Romans so rasch vollzieht, befremdet einigermaßen, doch fehlt nicht die ausgleichende Gerechtigkeit. „Ein bischen französisch“ ist dieser Roman, mehr als die anderen Heiberg’s.

„Eine vornehme Frau“ fesselt durch scharfe Charakteristik der Hauptfiguren und durch die vortreffliche Darstellung eines bei großem äußeren Luxus ärmlich verfallenen Hausstandes. Der rückenmarkskranke Graf, der sich und die Seinen durch Börsenspiel ruinirt, der treue, verschwiegene Kammerdiener Tibet, der energische Baron Teut interessiren ebenso wie die prächtig ausgeführten Kinderköpfe und Kinderscenen. Praktische Lebenskenntniß, die bis ins Detail der Geldgeschäfte geht, zeigt sich in den eingehenden Schilderungen, wie die verwittwete Gräfin Ange ihre zerrütteten Vermögensverhältnisse arrangirt.

„Ausgetobt“, der vierte größere Roman, ist eine Folge bunter, locker an einander gereihter Reise- und Lebensabenteuer, in allen Tonarten spielende Liebesgeschichten, Vieles mit neckischer Laune ausgeführt.

Der Dichterkopf Hermann Heiberg’s hat freie offene Züge, ein Auge mit scharfem Blick, doch auch sanfte Empfindung wiederspiegelnd, wo es die Schönheit der Natur und das wechselnde Geschick der Menschen gilt. Seine Romane und Erzählungen haben zahlreiche Leser gefunden: ungezwungene Natürlichkeit, schalkhafter Humor und ein anspruchsloser Ton sind ihre anerkennenswerthen Vorzüge. †     

Das Theater und Drama der Chinesen. Eben so eigenartig wie die staatlichen Einrichtungen und Lebensgewohnheiten der Chinesen ist auch die Kunst im Reiche der Mitte. Soweit dieselbe im Dienste des Kunstgewerbes steht, ist sie längst den europäischen Völkern bekannt; aber die reine Kunst, namentlich die Dichtung, vermochte uns bis jetzt kein tieferes Interesse abzugewinnen. Die chinesischen Schauspieler haben noch keinen Manager gefunden, der ein fliegendes chinesisches Theater durch die Großstädte des Abendlandes geführt hätte, und offen gestanden, die bezopfte Truppe würde bei uns ohne Zweifel vor leeren Häusern spielen; denn es fehlt der Schaubühne der Chinesen der Reiz der Ausstattung, welcher die Massen anlockt.

Ihr Theater ist zwar alt und seine Geschichte reicht bis in das 8. Jahrhundert vor Christo zurück; aber der scenische Apparat ist nur wenig entwickelt und erinnert an den „Mann mit Mörtel und Steinen“ und den „Mann mit Laterne und Hund und Dornbusch“ im „Sommernachtstraum“. Ein Schrank genügt zuweilen, um ein Zimmer darzustellen, aus welchem ein Schauspieler zum Vorschein kommt. Wenn ein General den Befehl zu einem Zug in ferne Provinzen erhalten, so schwingt er eine Peitsche oder nimmt in seine Hand den Zügel eines Zaumes, marschirt drei- oder viermal unter einem schrecklichen Lärmen von Gongs, Trommeln und Trompeten rund um die Bühne und macht dann Halt, um dem Publikum mitzutheilen, daß er angekommen ist. Nur in einer Beziehung dürften die chinesischen Vorstellungen mit den europäischen rivalisiren: in dem Glanz der Schauspielerkostüme: seidene Gewänder, mit kunstvollen Stickereien verziert, fehlen selten auf der Bühne, und die Garderobe wird oft gewechselt; denn die Chinesen gehen, was die Treue des Kostüms anbelangt, sehr sorgfältig zu Werk und unterlassen es nicht, es im Text des Stückes anzugeben, wenn eine Standeserhöhung des Helden eine Veränderung seines Kostüms nothwendig macht.

Dem Toilettenluxus fehlt jedoch der Reiz der weiblichen Schönheit, die uns auf europäischen Bühnen so oft blendet. Im chinesischen Theater werden augenblicklich die Frauenrollen nur von Knaben und Jünglingen gespielt. Zur Blüthezeit des chinesischen Dramas unter der Mongolendynastie gab es allerdings auch in China Schauspielerinnen.

Man nannte sie damals in der Volkssprache: Nao-Nao, Affenweibchen, was mehr für ihre Nachahmungskunst als für ihre Tugend spricht. Sie spielten auch im Strafgesetzbuch eine Rolle; denn ein Paragraph desselben verhängt über Civil- und Militärbeamte, welche eine Schauspielerin besuchen, die Strafe von 60 Bambushieben. Trotzdem gab es unter ihnen schöngeistige Frauen, die eine gewisse Bedeutung in der Litteratur gewonnen hatten; eine derselben wurde sogar von Kaiser Khien-long unter seine Nebenfrauen aufgenommen. Diese Standeserhöhnng einer Schauspielerin brachte jedoch dem ganzen Stande den Untergang; denn ihr auf dem Fuße folgte das kaiserliche Verbot, Frauenrollen durch Schauspielerinnen darzustellen.

Die Schauspieler des Reiches der Mitte werden noch heute mit den Sklaven, Lohndienern etc. zur niederen Klasse gerechnet, welche den vier ehrbaren Klassen der Bevölkerung entgegengesetzt wird. Der Grund dieser Mißachtung liegt nicht in dem Beruf des Schauspielers, sondern darin,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_351.jpg&oldid=- (Version vom 31.5.2023)