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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Frau, die sonst so tapfer der Noth in die Augen sah, war ein paar Mal tief unglücklich von den Belzig’s zurückgekehrt, sie gelobte, nicht mehr hinzugehen; sie könne die Luft dort nicht ertragen, nicht den Gegensatz der glücklichen Behäbigkeit und der eigenen elenden Zigeunerwirthschaft. Sie wollte zu Hause sitzen und weinen. Nicht, daß sie die paar Tausend ihres Vermögens bejammerte, die sie aus der zehnfachen Theilung des kleinen väterlichen Gutes mit in die Ehe gebracht und die mit den Projekten aufgeflogen waren; nicht, daß sie sich über die bittersten Stunden des Elends beklagte, wo sie buchstäblich hungerten – nicht das! Aber sie begann nun ernstlich an dem Genie ihres Mannes zu zweifeln, das sie bisher mit solcher Unerschütterlichkeit angebetet; sie hatte nun, so sehr sie sich dagegen wehrte, mit dem wachsenden Bewußtsein zu kämpfen, daß sie ihr junges Leben an einen Phantasten verloren. Sie saß den Tag über in der dumpfen Hofstube bei irgend einer nutzlosen Handarbeit, während ihr Gatte mit seiner Papierrolle immer nach neuen Aussichten umherlief oder am Zeichentische neue Pläne für die unersättlichen Patentämter fabricirte.

Walther hatte sich erboten, was in seinen einstweilen nur geringen Kräften stände, zur Besserung ihrer Lage beizutragen. Sie sollten das Loch ihrer Wohnung mit einem helleren und komfortableren Unterschlupf vertauschen. Sie wären ihm und seiner Verwandtschaft mit den Belzig’s dies schuldig! Später – und er deutete auf seine Heirath hin – würde sich schon Alles machen.

Bei Adolf pflegte sich dann eine Art grimmigen Humors Luft zu machen; er kehrte offen seinen Bettlerstolz heraus und rühmte sich seines Elends – der Petroleumlampe, die bei ihnen am hellen Tage brennen mußte, des erbärmlichen Kredits, der nun plötzlich gänzlich versagt hatte.

Die Sorge um den Bruder und seine Familie begann Walther mehr und mehr zu verstören. Man mußte es ihm bei den Belzigs anmerken; ein paar Andeutungen entschlüpften ihm – vielleicht hätte es nur ein Wort gekostet und es wäre Rath geschafft worden. Aber es widerstrebte ihm, das Wort auszusprechen. Er vertröstete sich auf seine Heirath, dann wollte er Jenem schon zu helfen wissen.

Nur vor Melitta vermochte er nicht Alles zu verheimlichen. „Aber warum hast Du es Papa nicht schon längst gesagt?“ rief das gute Kind. „Ihm muß doch geholfen werden!“

„Ich will nicht! Nein, das nicht! Du versprichst mir, Litta, daß Du kein Wort sagen wirst!“

Natürlich, dem Versprechen zum Trotz, waren beide Belzigs zwei Stunden später unterrichtet. Frau Belzig bestand darauf, daß sofort geholfen würde. Sie hatte solche Angst vor einer neuen Katastrophe – und man wüßte nicht, wie solch ein Projektmacher sie Alle kompromittiren könnte.

Nach einigen Tagen hatte der seufzende, aber doch schon seiner Brunnenkur wegen gehorsame Belzig einen Ausweg gefunden. Er nahm Eff in eine Fensternische.

„Ich höre, Ihr Herr Bruder sucht nach einer Gelegenheit, sich zu etabliren. Man rühmt mir ihn als eine außerordentlich tüchtige Kraft (Herr Belzig schluckte ein wenig an dem Satz, aber er brachte die liebenswürdige Lüge doch heraus). Ich hätte ’was für ihn – lassen Sie mich ausreden! Es steht in Moabit eine Fabrik zum Verkauf. Ein Protégé von mir sucht einen Kompagnon. Wie wäre es, wenn Ihr Bruder einspränge? Ich habe eine Kleinigkeit zu placiren, und ich würde mich natürlich nur in aller Stille betheiligen. Sie wie Ihr Bruder thäten mir einen großen Gefallen. Die Fabrik geht, wir werden sie schon hoch bringen! – Christbaumartikel, Lametta, Kerzenhalter, Sterne, selbst Christkindchen – ein erfinderischer Kopf wie Ihr Bruder ist da gerade am Platz.“

Walther jubelte fast auf vor Freude. Sofort griff er danach. Welch gute Menschen! Er sah nur die Güte und hatte keinen Arg, daß hinter dieser irgend ein Motiv steckte, das auf Weiteres, ja auf einem Umwege nach dem Namen hinzielte. Er eilte nach der Jägerstraße.

Als er die Treppe hinaufstieg, schallte ihm schon die helle Kinderstimme seines kleinen Neffen entgegen, der droben im Korridor des dritten Stockes auf einem Spazierstock hin und her galoppirte. Ein prächtiges Bürschchen mit den fröhlichsten Augen, das mit seinen strotzenden Bäckchen gar nichts von einem eingesickerten Kredit im Milchkeller zu wissen schien. Es freute sich unbändig über die Tüte, die ihm sein Onkel mitgebracht, und galoppirte mit Jubelgeschrei in die Stube.

Frau Eff saß beim röthlichen Schein einer Lampe und stickte. Die kleine Stube empfing vom Tage wirklich nicht mehr Licht als ein Keller. Die Hälfte des einzigen Fensters war einer durch eine Tapetenwand abgetrennten Nebenstube zugetheilt, und die andere Hälfte blieb durch die schmutziggraue Wand eines Vorbaues verdeckt.

„Wie geht’s, meine liebe Schwägerin?“

Wie die kleine Frau aufsprang! Es war ihr jedesmal, als brächte der Schwager mit seiner freundlichen Miene etwas von der Tageshelle in das Verließ. Sie entschuldigte wie üblich die Unordnung des Raumes und strich sich über das mattblonde Haar.

„Wie geht’s?“

Sie hob die dünnen Schultern in dem viel zu weiten Morgenrock.

„Nun, man könnte anfangen aufzuathmen,“ seufzte sie – aber sie zuckte von Neuem mit den Schultern. „Er hat eine Stelle als Zeichner in einem technischen Bureau angenommen, für heute und morgen – länger hält er es doch nicht aus. Die Projekte, die unseligen Projekte! Bitte, nehmen Sie Platz.“

Er fuhr, ohne sich zu setzen, mit der freudigen Ueberraschung heraus.

Die kleine Frau war ganz bestürzt vor Freude. Die hellen Thränen stürzten ihr aus den Augen, und sie hielt Eff’s Hand mit ihren beiden krampfhaft umklammert, als könnte ihr das unerwartete Glück mit dieser Hand entschlüpfen. „Wie ist es möglich! Nicht möglich …“ stammelte sie.

Da nahten Adolf’s hastige Schritte im Flur. Er warf beim Eintreten die Papierrolle auf den Tisch, daß sie hohl erklang. „Du hier?“ sagte er ohne weiteren Gruß zu Walther.

Und zu seiner Frau gewandt, deren Thränen er gewahrte: „Was hast Du nur wieder? Es ist doch nicht zu ändern!“

Er warf den Hut neben die Rolle. „Ich habe natürlich die Sache wieder aufgegeben. Eine Holzhackerarbeit, und man kommt sich ganz dumm dabei vor!“

Sie überhörte es. „Denk’ Dir, Adolf – welch eine Ueberraschung! Man bietet Dir eine Fabrik an! Welch ein Glück! Der liebe Gott läßt uns doch nicht im Stich!“

„Man muß sich selber nicht im Stich lassen,“ brummte er mit spöttischen Falten um die vom zerzausten Schnurrbart überhangenen Lippen.

„Aber, Adolf verstehst Du denn nicht?“ jammerte sie. „So höre doch!“

Er that noch ein paar Schritte und blieb dann stehen, auf Walther’s Mittheilung hinhörend, doch ohne den Sprecher anzusehen.

„Eine Fabrik – eine Fabrik – i wo!“

Es kam ihm gar nicht zu märchenhaft vor, und er that ein paar ganz nüchterne, geschäftsmäßige Fragen über diese vom Himmel gefallene Fabrik, die ihm Walther nur zur Hälfte beantworten konnte.

„Die Hauptsache ist aber doch, daß Du Dich freust, Adolf!“ rief dieser ungeduldig. „Die Hauptsache ist doch, daß Ihr aus Eurem Elend herauskommt!“

„Lametta – Kerzenhalter – Christkindchen –“ murmelte Adolf, wieder das Zimmer mit großen Schritten messend. „Hm!“

Die Beiden sahen ihn mit wachsendem Staunen an.

Plötzlich hielt der Erfinder vor ihnen, und mit einem geradezu unheimlichen Grinsen seiner gelblichen Zähne platzte er heraus:

„Und mein Aspirator? Mein Aspirator? Was wird aus dem? Wie?“

Er reckte sich in die Höhe und kam sich ungeheuer groß vor in diesem Augenblick. Er schien sich an ihrer Starrheit zu weiden.

Dann lief er wieder die vier Schritte vom Sofa bis zur Thür und zurück.

„Ein Dreier das Schäfchen!“ äffte er höhnisch. „Das fehlte noch! – Ein Dreier das Schäfchen!“

„Mensch!“ donnerte ihn Walther an. „Du bist dem Verhungern nahe, man offerirt Dir eine Fabrik und Du hängst Dich an Deinen Blasebalg …“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_354.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)