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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Mit einem dumpfen Paff stieß er eine ballende Qualmwolke in die Luft. „Sie wissen, ich hab’ das im Griff, ich bin wahrhaftig nicht auf den Mund gefallen. Hatte mich zu sehr geärgert! Ich soll revociren! Teufel – was ich gesagt, hab’ ich gesagt! Es hat mich zu infam erbost, zumal …“

Er stockte. „Was denn? Natürlich die winzigste Bagatelle von der Welt – und deßwegen wollt Ihr Euch todtschießen! Es ist doch wirklich empörend!“ fiel Gamlingen ein.

„Na, es ist ja immer so!“

Mühüller war stehen geblieben; er wippte ein paar Mal in den Beinen, nahm dann gegen einen Baum der Allee, die sie eben kreuzten, die Stellung eines Schießenden, senkte mit einem Ruck die Hand der ausgestreckten Rechten, als hielte er eine Pistole, und zielte mit blinzelnden Wimpern, die Cigarre stand dabei schief in dem einen Mundwinkel.

„Lächerlich!“ fuhr er plötzlich laut lachend auf, als müsse er den Eindruck verwischen, daß er etwa zuviel an Jenes da, an die Pistole und an das bevorstehende Duell dächte.

„Hätte also bis heut’ Morgen darauf geschworen, es wäre der Dipperbach, mit dem ich mich schießen soll. Mengte mich nicht weiter hinein. die Bedingungen so und so – bon! – Von Revociren kann nicht die Rede sein! Wäre mir selber aber doch fabelhaft lächerlich vorgekommen, wenn man mich todtgeschossen und ich hätte geglaubt, ich hätte die Ehre gehabt, von Dipperbach todtgeschossen zu werden, während es doch der Menkel gewesen. Werde übrigens Dipperbach um Entschuldigung bitten. Es wird ihn höllisch amüsiren!“

„Aber, Mühüller! So lassen Sie doch jetzt die Scherze! Ich dächte doch, wir überlegten …“

„Na, offen gestanden, ich möchte nicht, daß Sie dächten, ich spielte den Forschen! Ich bin ja auch gekommen, Sie um eine Gefälligkeit zu ersuchen. Es ist mir nicht ganz egal! Wissen Sie, um was es mir leid thäte? – Hier um meine famosen Knochen. Es wäre wirklich schade darum und, ohne mich zu schmeicheln, ein Verlust für die königlich preußische Boxerei.“

Gamlingen runzelte die Stirn – er ist unverbesserlich! Doch Mühüller trat näher an ihn heran und, den scharfschnarrenden Ton dämpfend, der durch den winterstillen Thiergarten hallte, sagte er, indem er an der Cigarre immer noch knipste, nachdem die Asche schon längst abgefallen: „Spaß bei Seite! Es ist meines guten Vaters wegen. Es thut mir leid, ihm in seinen alten Tagen den Kummer zu machen. Man muß es ihm schonend beibringen, wenn natürlich – und – und Sie thäten mir einen ungeheuren Gefallen, wenn Sie, nachdem es geschehen ist, ihn auf Alles vorbereiteten. Ich geb’ Ihnen die Adresse. Sie wissen, er wohnt in Stettin – ich weiß nicht, ob es nicht zuviel verlangt ist, wenn ich Sie bitte – falls es Ihr Dienst erlaubt und Sie einen Tag abkommen könnten –“

„Alles, Alles!“ preßte Gamlingen hervor, Mühüller’s Hand ergreifend. „Nun, wir wollen doch nicht gleich das Schlimmste annehmen.“

„Teufel auch!“ rief Mühüller, wieder in den gewohnten Ton fallend. „Ich bitte Sie, einer von der Versuchsbombe, die betreiben das Zielen mathematisch. Ich taxire, er wird mit seiner Schußtabelle auf dem Platz erscheinen und mir einfach logarithmisch ans Leben gehen.“

Da rollte eine königliche Equipage heran; die Adlerborte auf dem Hut des Kutschers deutete darauf, daß Jemand vom königlichen Hause darin saß. Die beiden Officiere stellten sich in strammer Haltung salutirend am Rand des Fahrdammes auf. An dem offenen Fenster des Wagens erschienen die frischen Rosagesichtchen zweier kleiner Prinzchen, mit köstlichem Ernst die winzigen Händchen an die weiße Pelzmütze hebend, dahinter die sonst so strengen Mustergesichter der Gouvernanten, lächelnd über die Grandezza, mit der die kleinen königlichen Hoheiten den Gruß der Officiere erwiederten.

A propos,“ begann Mühüller, als der Wagen vorübergerollt, „Sie werden sich natürlich nicht weiter um die Sache kümmern. Es ist nichts daran zu rücken und zu rühren. Ich danke Ihnen für die gnte Absicht. Sie thäten mir einen Gefallen, wenn Sie für Ihre werthe Person ganz aus dem Spiel blieben – versprechen Sie mir das! Wir sehen uns ja noch. Ich muß nach der Stadt. Sie wollen zu Ihrer Braut. Bitte ergebenst zu grüßen. Na, und nun machen Sie mir kein Gesicht, mein lieber Eff – ah Pardon!“

Er lachte, daß das massive Elfenbein seiner Zähne hervorblitzte, und drückte Gamlingen’s Hand mit der bekannten Kraftleistung seiner eisernen Finger.

Gamlingen wußte, daß die Sache nun ihren Lauf ginge und nichts mehr einzurenken sei; er kannte seinen Starrkopf von Mühüller. Hinter der verhängnißvollen Schwere des Zweikampfes verschwand natürlich der Stecknadelkopf, der ihn verursacht. Welche Dummheit! – Wegen eines Wirthshausstreits, wegen eines Wortwechsels!

Gamlingen forschte also nicht weiter nach den näheren Details, wie Mühüller es verlangt hatte. Einmal trat er dazu, als zwei Kameraden sich über den Fall unterhielten; da verstummten diese. Es fiel ihm damals nicht auf, später erst ward ihm der Umstand klar.

Es waren peinliche Tage bangen Harrens für Gamlingen, bis das Los des Zweikampfes entschieden hätte. Er hatte Mühe, seine Unbefangenheit bei den Belzigs zu bewahren und er glaubte eine dienstliche Mißhelligkeit als Grund seiner Verstimmung vorschieben zu müssen. Drei Mal noch traf er Mühüller. Das eine Mal übergab ihm dieser die Ordnung seiner Angelegenheiten für den Fall, daß er bliebe, sowie die Adresse seines Vaters.

„Das ist’s, was mir die Sache verleidet,“ sagte er, das Zettelchen mit der Adresse auf den Tisch legend, und seine sonst so scharfe Stimme vibrirte weich. „Na, überhaupt,“ rief er aufblickend, „ich will nicht behaupten, daß mir die Sache einen so gewaltigen Spaß macht. Ich will nicht forsch thun! Ich hatte es mir viel flotter gedacht. Diese Federfuchser vom wohlweisen Ehrenrath mit ihren Paragraphen und ihrem Wenn und Aber verpfuschen Alles. Ich habe einmal gelesen, wie man in früheren Zeiten einfach aufstand, Platz schaffte, die Degen zog und auf einander losstach. Na und diese Knipserei mit der Pistole – die gefällt mir gar nicht! Mit dem Rapier und dem Säbel hätte man doch zeigen können, was man kann und was man für Schneid im Leibe hat. Aber dastehen und ein dummes Gesicht machen und warten, bis die Kugel kommt … davonlaufen ist nicht! Was will man machen? Man hält still – es gehört wahrhaftig nicht für einen Sechser Kourage dazu. Jeder Kretin kann so ein Ding abknipsen. Na, wie gesagt, die Sache macht mir einen so riesigen Spaß nicht!“

Das andere Mal traf er Mühüller bei Belzigs. Dieser verbrachte eine Nachmittagsstunde dort und war fröhlich und lebhaft wie immer. Besonders schien er es darauf angelegt zu haben, das nun so stille Gesichtchen Olga’s wieder mit einem Lächeln zu beleben. Beim Abschied klang durch sein „Auf Wiedersehen!“ mit dem er sich Olga empfahl, ein so auffallend herzlicher Ton. Melitta glaubte das zu bemerken und als Mühüller fort war, drängte sie die Kleine, die sich mit komischem Schmerzausdruck das Händchen rieb, als wäre dieses eben noch einer Zerquetschung durch Mühüller’s Händedruck entgangen, in eine Fensternische; dann hob sie schelmisch drohend den Finger und sagte: „Du – Du – Du!“

Natürlich war sofort die Purpurröthe da.

Am Morgen darauf, kurz nach neun, kam der Sekundant Mühüller’s, der kleine dicke Herr von Nevitz, von dem berichtet wurde, daß er sein Kommando zur Centralturnanstalt lediglich als eine Entfettungskur betrachtete, und meldete nach dem Auftrag Mühüller’s, den ihm dieser vorher ertheilt, daß die Geschichte heute früh vor acht Uhr stattgefunden und daß Mühüller schwer verwundet sei.

„Doch nicht verloren?“

„Die Aerzte können noch nichts Bestimmtes sagen,“ berichtete der Officier, wie außer Athem von all dem aufregenden Hin und Her der letzten Tage. – „Ein Schuß in die Schulter, die Lunge verletzt, die Kugel steckt noch.“

Gamlingen stieß einen Fluch aus.

Jener gab nähere Details. Ein Nebel, daß man über fünfzehn Schritte hinaus nichts sehen konnte – so hatten die Gegner von vornherein an die Barrière heran avanciren müssen. Zwei Kugelwechsel ohne Resultat, als der Unparteiische sich ins Mittel legte. Mühüller meinte, er hätte es satt, als Scheibe dazustehen und auf sich losknallen zu lassen. Man möchte doch Säbel herbeischaffen! Natürlich war davon keine Rede. Und nochmals schossen sie los. Mühücker sank in den Schnee, der Andere ging heil aus. Er liegt im Garnisonlazareth.

(Fortsetzung folgt.)


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