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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

die schwere Verwundung seines Sohnes die Nachricht mit einer seltsam naiven Zuversicht verarbeitet:

„Er rappelt sich schon durch, der Junge,“ sagte er unter den gewaltigen Buschen der Augenbrauen hinweg, die wie das Haar des kräftig gemodelten Kopfes nicht weiß und nicht gelb waren, mit seinen treuherzigen grauen Augen Jenem dicht ins Antlitz blickend. „Wissen Sie, Herr Hauptmann, wir sind Alle von festem Korn, wir Mühüller.“ Er schien vergessen zu haben, daß es doch nicht ein Nadelriß sein konnte, der ihn, Gamlingen, veranlaßt hatte, nach Stettin zu fahren, um die Nachricht persönlich zu überbringen. Es war die echt Mühüller’sche Art, und Gamlingen hätte unter anderen Umständen über dieses köstliche Vorbild des Sohnes lächeln müssen.

Der Rendant wollte den Gedanken nicht aufkommen lassen, daß einem Turnergenie wie seinem Sohne irgend eine Verwundung ans Leben gehen könnte.

„Ich bitte Sie, mit herauszukommen!“ Gamlingen folgte dem Alten auf den Treppenflur. „Sehen Sie, dort hinab, die zwei Treppen hinab ist er als zwölfjähriger Knabe gestürzt. Aber sich schütteln wie eine Katze und verwundert umschauen und heil! Kein Härchen geknickt!“

Der Alte vergaß darauf hinzuweisen, daß sich im Parterre eine Wattfabrik befand, durch deren den Flur belagernde Ballen man Mühe hatte, die Treppe zu erreichen.

Doch noch ehe Gamlingen wegging, begannen sich die Zweifel einzustellen und zu mehren. Der Rausch, den der Alte sich zur Bekämpfung des ersten Schreckes selbst beigebracht, verflog, und die Zuversicht zerfiel in bebenden Kleinmuth. Und nun verstand Gamlingen erst Mühüller’s Sorge, die solchen persönlichen Beistand als Freundesdienst gefordert hatte. Zuletzt mußte er alle Trostesgründe aufbieten, und der Alte dauerte ihn von Herzen.

Gleich nach seiner Ankunft auf dem Stettiner Bahnhofe begab sich Gamlingen nach dem nahen Garnisonlazareth. Er fand den Verwundeten im Fieber. Lieutenant von Nevitz, der Sekundant, der es sich nicht hatte nehmen lassen, die Eiskühlung der Wunde, die sogenannte „Eiswacht“, wie sie bei solchen Mensuren üblich, selbst zu übernehmen, saß neben dem Bette, die Aermel über den sehnigen Handgelenken aufgeschlagen. Auf dem Tische stand eine Batterie geleerter Bierflaschen. Auf Gamlingen’s fragenden Blick, wie es ginge, hob Jener die Schultern, das fürchterliche ausweichende Schulterheben der Aerzte, das deutlicher als Worte die Angehörigen auf Schlimmes vorbereiten soll.

Gamlingen setzte sich stumm nieder, mit einer Miene, aus der Kummer und Zorn über das Geschehene mit einander kämpften. Jener schickte sich eben so stumm an, eine neue Eisbinde zurechtzulegen. Er that das mit einer gewissen linkischen Zimperlichkeit seiner gepflegten Hände, als besorge er, daß diese durch die rauhe Hantirung leiden könnten.

Ein trostlos öder, ungastlicher Raum! Weißgetünchte Wände, oben mit einem braunen Strich gegen die Decke abgegrenzt, ein gardinenloses Fenster, durch dessen blasige Scheiben die Nacht schwarz und hohl hereinstierte, Tische und Stühle von rothbraunem polirten Tannenholz, mit einem anfänglichen K. U. (Königliches Utensil) gestempelt. Als einziger Schmuck der Wände einige Inventartabellen und Hausordnungen nebst einem Thermometer.

Gamlingen saß und starrte das Gesicht des Verwundeten dort auf dem eisernen Bette an. Es war hoch geröthet, wie von einer scharfen Feuergluth beschienen und wiegte sich mit nicht völlig gesenkten Augenlidern in regelmäßigen langen Pausen von einer Seite zur andern.

Ja, der Zorn überwog bei Gamlingen fast die Sorge und die Angst um den Ausgang. Wie ist es möglich gewesen! Eine erbärmliche Bagatelle, die ein blühendes Leben an den Rand des Todes hingestreckt! Ein Wort, das gesprochen wurde, und ein anderes, das nicht gesprochen wurde: beide haben es vermocht, so viel strotzende Lebensfreude in den Staub zu schlagen!

Daß man es doch packen, zerreißen, zerschmettern könnte, so ein Wort! – Und ein Gefühl der Reue überkam ihn, daß er das Alles doch nicht so hätte geschehen lassen sollen. Man hätte die Sache einrenken müssen!

„Einen Säbel – gebt mir einen Säbel – einen Säbel!“ schrie Mühüller plötzlich aus dem Schlaf.

Dann wieder still. Die Thür öffnete sich und der Lazarethgehilfe trat ein. Er hatte durch die Wand von dem benachbarten Wärterzimmer aus das Schreien gehört und war herzugeeilt. Ein flinkes Kerlchen mit spitzigem Gesicht und glänzend frisirtem Haar, das auf eine drollige Weise durch die strengen Formen der Subordination, die er den Officieren gegenüber beobachtete, das Selbstbewußtsein seiner wissenschaftlichen Wichtigkeit hindurchblicken ließ. Er beugte sich mit seiner Kennermiene über das Gesicht des Kranken, legte die Hand behutsam auf dessen feuchtglänzende Stirn, nickte verständnißvoll mit dem Kopfe und sagte mit Sicherheit:

„Ich werde noch ein Pulver ordiniren.“

Da fuhr der Kranke abermals heraus: „Muß mir sehr – ausbitten – daß Sie Ihre Hände – von dem – Namen …“ rief er drohend gegen den Lazarethgehilfen, mit völlig geöffneten, hervorquellenden Augen. Dieser zuckte unwillkürlich zu einer militärischen Haltung zusammen.

„Er phantasirt immer noch davon,“ flüsterte Lieutenant Nevitz zu Gamlingen gewandt, „er regt sich immer noch darüber auf.“ Dann zu dem Gehilfen: „Sie dürften neues Eis beschaffen. Auch bitte, für mich noch einige Flaschen Bier.“

„Zu Befehl, Herr Lieutenant!“

„Wieso ‚davon‘? Was hat der Name mit der Mensur zu thun?“ fragte Gamlingen verdutzt.

„Nun, er glaubt sich doch bei Töpfer, und die Geschichte will ihm nicht aus dem Kopf.“

Der Lieutenant konnte eine Miene der Verwunderung nicht unterdrücken: wie kam Jener nur dazu, so zu fragen? Er thut so, als wenn er gar nichts wüßte und ihn die Geschichte nichts anginge!

Gamlingen war aufgestanden, von einer unbestimmten Ahnung getrieben, die ihm das Blut plötzlich aufwallen machte.

„Darf ich Sie einen Augenblick draußen sprechen, Herr Lieutenant? Ich fürchte, wir könnten hier den Kranken beunruhigen.“

„Sehr gern, Herr Hauptmann!“

Sie traten in den Korridor. Und hier fragte Gamlingen seinen Begleiter:

„Ich bin leider nicht völlig au fait über das, was eigentlich vorgefallen. Sie würden mir einen Gefallen thun, wenn Sie mich orientiren wollten!“

Verdutzt blickte ihn Jener an. wie war es möglich, daß Gamlingen nicht wissen sollte!

„Ich dachte, Herr Hauptmann hätten doch davon erfahren …“ wehrte er verlegen lächelnd.

„Mühüller hatte mir das Versprechen abgenommen, daß ich mich nicht darum kümmern sollte.“

„Ein braver Kerl – und es wäre jammerschade, wenn er deßwegen draufginge …“

„Ich möchte wissen, ich muß wissen, um was es sich handelt!“ drängte Gamlingen.

„Wenn es Herr Hauptmann also noch nicht wissen und gern wissen wollen …“

Der Lieutenant stockte abermals. Dann aber faßte er sich und erzählte mit kurzen Worten den Hergang des Streites bei Töpfer.

Es wäre von einem Namen die Rede gewesen – „von Ihrem Namen, Herr Hauptmann – Sie wollten es ja wissen,“ fügte er leiser hinzu. Da sei Mühüller hineingefahren und hätte sich’s mit scharfem Ton verbeten, daß man daran rühre. Ein anderes scharfes Wort folgte dagegen und – nun, wie das so geht! „Sie wissen, man kann zu einer Mensur kommen, man weiß nicht wie!“

Was?! Des Namens wegen hat die blutige Mensur stattgefunden! Was!? Es ist der Name gewesen der Mühüller an den Rand des Todes dahingestreckt!

Wenige Herzschläge lang stierte Gamlingen den Lieutenant an. Dann schüttelte er ihm aufgeregt die Hand.

„Ich danke Ihnen, Herr Kamerad!“

Dann stürmte er davon, das Klirren seiner Sporen hörte man noch weit unten auf der Treppe, so wüthend klang es.

Ja, eine ungeheure Wuth hatte ihn erfaßt. In den Fäusten zuckte es ihm, als wenn der Name – sein Name – etwas Körperliches, Feindliches wäre, und er müßte sich nun darauf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_386.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)