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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


nichts. Ich werde doch nicht dumm sein und so etwas ausschlagen. Nichts wird dem Staat geschenkt!“ rief er in übermüthigem Ton.

Sie stutzten doch und starrten ihn fragend an: was für eine Unerklärlichkeit – man schießt mitten im Frieden mit Pistolen und bekommt vom Staat, der doch dergleichen verbieten sollte, eine Badekur als Belohnung bewilligt! Mühüller belustigte es ungeheuer, daß sie in ihrer Harmlosigkeit verharrten und immer noch nichts merkten. Und er hatte Herrn Belzig sowohl wie Gamlingen gebeten, ihm den Spaß nicht zu verderben und die Damen bei der Badekur zu belassen. Plötzlich wurden all ihre Verlobungspläne einfach entzwei geschnitten. Mühüller kam eines Tages feierlich und echauffirt in Helm und Schärpe von einem längeren Ausgang zurück.

„Kasemattenheim! Meine liebe gnädige Frau. Es ist so!“ rief er Melitta entgegen. Und er murmelte von „vier Monat.“

Es war ihm doch nicht gleichgültig. Er wischte sich mit einer großen Unmuthsgeste über den rothen Druckstreif, den ihm der enge Helm über die Stirn gezogen. „Na, wenn es nicht auf Staatskosten wäre …“

Aber der Scherz wollte nicht glücken, es war ihm wirklich nicht gleichgültig. „Ich werde Sie also morgen verlassen, meine liebe Baronin.“

„O, nicht möglich, was ist denn aber …“

Da ärgerte ihn die Naivetät, und er sagte es gerade heraus, daß er zu vier Monat Festungshaft verurtheilt sei und der Kurort Wesel heiße. „Ja, ja, spiele nicht mit Schießgewehr! Uebrigens soll Wesel sehr hübsch sein, die Citadelle liegt unmittelbar am Rhein, ich lerne bei der Gelegenheit doch den famosen Strom kennen.“

Bei Belzigs schienen die Damen wie aus den Wolken zu fallen. Gott, o Gott! Festung – welch’ eine Entsetzlichkeit! Und sie sahen den braven Mühüller schon mit einer Kugel am Bein angekettet, einen Schubkarren den Wall hinaufschieben.

Olga aber saß blaß und verstört auf ihrem Stuhl, und es machte ihr Mühe, ihre Bestürzung zu verbergen. Am andern Morgen trat sie zu Frau Belzig und sagte mit ihrem freundlichen Lächeln, aber ohne Ton in der Stimme: „Liebe Tante (Frau Belzig beanspruchte den Titel), ich habe heute früh nach England geschrieben un…d die Stelle in Norfolk angenommen.“




21.0 Vom Himmel herab.

Auf einem weitgeschwungenen Blechschild, das von kunstvoll geschnörkelten schmiedeeisernen Ständern getragen war, stand die neue Firma „Adolf Eff und Kompagnie, Blechwaaren-Fabrik“, darunter viel kleiner „Specialität für Christbaumschmuckartikel“.

Unter diesem Schild hinweg gelangte man auf einem gepflasterten Fahrweg in den Fabrikhof. Links dehnte sich eine Ziegelmauer, rechts grenzte ein frischgestrichener Staketzaun den Garten ab, der noch verwildert war und in dessen Mitte eine Flora auf einem leicht nach der Seite neigenden Postament ragte. Dann kam das Haus. Ueber der Thür, die sich nach dem Fahrweg öffnete, befand sich ein Schirmdach aus zierlichen Eisenrippen, denen jedoch die Glasplatten fehlten. Man sah es dem Hause an, daß es in der schwülen Luft einer Spekulation über Nacht aus der Erde geschossen war. Es war für einen zweiten Stock projektirt, aber man hatte in der Eile ein leichtes provisorisches Dach über das Erdgeschoß gedeckt. Doch sah das Haus in seinem freundlichen und glänzenden Oelanstrich und mit seinen blanken Fenstern, hinter deren korrekten weißen Gardinen man die Musterhausfrau vermuthen konnte, schmuck und einladend genug aus. An einem der vorderen Fenster zeigte sich ein räthselhaftes Kreuz und Quer von Röhren; hier war auch die Wand, unbekümmert um den neuen Anstrich, unbarmherzig durchbrochen worden. Die Arbeiter betrachteten sich den seltsamen Apparat mit neugierig kritisirenden Blicken. Und im Davongehen ward die Berliner Redensart gehört, daß wohl Jemand einen „Vogel im Kopf haben müsse“ mit seinen Erfindungen.

Allerdings, wenn man bedachte, daß der Principal vor Wochen sogar einen Trupp amerikanischer Arbeiter von ganz besonderer Specialität engagirt hatte, um gewisse Theile seiner „neuesten Idee“ auszuführen –! Diese räthselhafte neueste Idee schlummerte nun in dem Verschlag eines Schuppens, weil sie sich als noch nicht reif genug zur Ausführung erwiesen. Die Amerikaner mußten mit vielen Opfern wieder entlassen werden.

Der Fabrikhof zeigte zwei lange und langweilige Schuppen aus Fachwerk, in der Ecke stieß ein schwarzes, mit Ketten wie ein Mast aufrecht gehaltenes Blechrohr einen weißen wüthenden Dampf aus, als wäre es der Dampfmaschine, die dort das kleine Häuschen mit ihrem Gestampfe erzittern machte, längst zu eng da drinnen und als könnte sie die Zeit nicht abwarten, daß sie in das geräumige Quartier des neuen Maschinenhauses übergeführt würde. Maurer waren mit dem Bau des großen Schornsteins beschäftigt, der zur halben Höhe gediehen war.

Die Vesperglocke gellte gerade durch den Hof. Die Arbeiter kamen aus den Schuppen, ihr Vesperbrot in der Hand, die Maurer kletterten von dem Baugerüst herab.

In dem Hof stand eine elegante Equipage, aus welcher vor einer Stunde etwa ein glänzender Officier und eine feenhaft schöne Dame gestiegen waren. Natürlich fanden sich unter den Arbeitern sofort einige Sachverständige, die, sich hin- und herbückend, die Konstruktion des Gestelles mit wichtigthuenden Mienen prüften und über Beschläge und Bemalung ihr Urtheil abgaben.

Baptist stand breitbeinig dabei. Er paffte an seiner Cigarre und horchte durch den Tabaksqualm auf die Aeußerungen der Arbeiter.

Man betrachtete das Wappen auf dem Schlag. Man stritt über die Bedeutung des Schildzeichens, die beiden gekreuzten stacheligten Morgensterne, dann erhob sich ein Wortwechsel darüber, ob das Krönlein über dem Schild eine Grafen- oder eine Baronskrone bedeutete.

„Mußt Du doch wissen!“ sagte einer von den Maurern, ein langer Mensch mit einem pockennarbigen Gesicht und einem röthlichen steifen Kinnbart, unter der gespannten Haut der einen Backe ein großes, eckiges Stück seines Vesperbrotes verarbeitend – „Mußt Du doch wissen …“

Und er ruckte mit dem Ellenbogen gegen seinen Nebenmann. Das war ein feistes gedrungenes Kerlchen von achtzehn Jahren, mit einem feinen, blonden, wolligen Flaum ums Kinn und sehr hellen wasserblauen Augen. Er trug ein seltsames, hierorts sonst nicht übliches Hütchen aus großkarrirtem bunten Tuche hintenüber, aus dessen Kordel das Auge einer Pfauenfeder schaute, die Hände steckten mit gewaltsam herabgezwängten Schultern in den tiefsitzenden Taschenschlitzen seiner weiten Englisch-Lederhose, und er hielt diese Taschen nach Franzosenart zu den Seiten aufgespreizt. Er antwortete nichts, sondern spuckte aus den eingezogenen Lippen mit schußartiger Geschwindigkeit dicht vor den Wagentritt hin.

„Mußt Du doch wissen …“ wiederholte der Lange, den Bissen nach der andern Seite herumwerfend.

Der junge Bursche hob und senkte nur langsam die Schultern.

„Ein Baron – na, ein schöner Baron …“ erhob sich eine wie verrostet klingende Stimme auf der andern Seite. Es war ein Bulldoggengesicht mit vorstehenden Backenknochen, die von starker Röthe erglühten. Das rechte Auge zeigte als Spur eines Faustschlages eine violettblaue Umrahmung. Und aus dieser Umrahmung blinzelte das Auge ironisch nach dem Burschen. „Na, so ein Baron!“

Der Bursche sagte noch immer nichts. Es war offenbar sein Spitzname; woher hatte er ihn? Es war nichts in seinem Wesen wie in seinem Anzug, was solchen Spitznamen veranlaßt hätte; hatte er ihn aus Amerika mitgebracht, wo er herstammte? Er hatte sich auf dem Dampfboot jenem Trupp amerikanischer Arbeiter angeschlossen und war mit diesen für die „neueste Idee“ engagirt worden. Nun, da diese schlummerte, hatte er bei dem Mauerbau eine Beschäftigung als Handlanger angenommen. Genug, der Spitzname haftete ihm an, warum sollte er sich darüber ärgern?

„Na, wie heißt er denn, der da?“ fragte Einer Baptist, auf den Wagen deutend.

Baptist rollte seine Cigarre zweimal herum, lächelte den Frager an, that einen starken Paff – „de Gamling!“ brachte er hervor.

„Graf, wie?“

Baptist verstand nicht gleich. besann sich – „o non, non!“

„Baron also?“

Baptist nickte. „Baron de Gamling,“ schmunzelte er. Es freute ihn offenbar, den schönen Namen, der so fett gegen den

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