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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Harmlosigkeit an das Zapfenbrett hängte. Während wir dann bei Tische saßen, wußte ich das Gespräch nach langen Umwegen in möglichst unauffälliger Weise auf die Hahnenjagd zu bringen, so daß sich schließlich von selbst die Frage ergab: „Wann fängt für den Auerhahn die Sommerschußzeit an?“

„Am ersten August.“

„Und welchen Tag haben wir heute?“

Der Förster hob verwundert die Augenbrauen: „Den letzten Juli.“

„Na also! Dann hab’ ich ja morgen schon einen Hahn geschossen – und einen Prachtkerl!“ lachte ich jubelnd auf, rannte aus der Stube und brachte triumphirend meine Beute herbei. –

Seitdem ist nun manches Jahr vergangen, und manch ein stattlicher Hahn ist meiner Jagdlust zum Opfer gefallen. Aber jeden hab’ ich mir in waidgerechter Weise zur Frühlingszeit bei grauendem Morgen vom „Falzbaum“ heruntergeholt. Und wenn das tödliche Blei den seltsamen Liebesgesang des mächtigen Vogels so jählings verstummen macht, wenn das Echo des Schusses grollend dahinrollt über die schneebedeckten Tauern, und wenn das schöne Thier in wuchtigem Falle niederrauscht durch die dunklen, schwankenden Zweige: das gewährt dem Jäger eine Freude, die nicht einmal von dem stolzen Gefühle überboten wird, mit dem er den flüchtigen Hirsch im Feuer stürzen sieht.

Was den rechten und echten Hochlandsjäger der Hahnenjagd vor jeder anderen den Vorzug geben läßt, das liegt zum Theile wohl auch in dem Umstande, daß es gerade der Auerhahn ist, der nach den rauhen, schneereichen Wintermonaten mit seinem Falzgesang das neue Jägerjahr eröffnet; noch mehr aber ist die Ursache dieser Vorliebe in den reichen, herrlichen Reizen zu suchen, mit denen die erwachende Natur, mit denen das geheimnißvolle Dämmerleben des erstehenden Tages diese Jagd umgiebt – mit Reizen, die kein Wort ermißt, die nur Jener voll und ganz zu verstehen und zu würdigen weiß, der sie selbst genossen mit offenem Aug’ und offenem Herzen.

Wenn vor den siegreichen Strahlen der Frühlingssonne sich der Schnee in trotzigem Schneckengange aus den Hochlandsthälern zurückzieht in seine kalten Felsenhöhlen, wenn an den Buchen und Lärchen die Rinden springen und die jungen Knospen zu Tage streben, wenn der erste von Süden kehrende Wandervogel, die langgeschnäbelte Schnepfe, auf ihrem Zuge nach dem Norden den Wall der Berge kreuzt, dann erweist sich die belebende Macht des Frühlings auch an dem einsiedlerischen Anerhahn; sie löst ihm die sonst so stumme Zunge, bringt ihm in ihrer Weise die Meinung bei, „daß es nicht gut wäre, wenn der Hahn allein bliebe“, und treibt ihn aus seinem versteckten „Winterstande“ den lichteren Gehegen zu, in denen die grauen Hennen mit vertraulichem Gackern und mit dem glucksenden Paarungsrufe die Heidelbeersträuche und Farrenbeete durchhuschen.

Da zieht dann der Jäger lang vor dem Ergrauen des Morgens aus, um vorerst den Standort des Hahnes zu erforschen, den Hahn zu „verlusen“, der durch seinen Liebesgesang zum Verräther an seinem eigenen Leben wird. Oder es steigt der Jäger bei sinkendem Nachmittag zu Berge, um aus einem Verstecke den „Einfall“ zu belauschen. Gewöhnlich bei Beginn der Dämmerung kommt der Hahn mit schwerem Flügelschlage dem Falzbaum zu gestrichen, auf dem er schlafend die Nacht verbringt, um beim falben Frühschimmer des Morgens sein Falzlied anzustimmen, das er erst beschließt, wenn er sich vor dem vollen Erwachen des Tages zu den Hennen auf die Erde schwingt. Unruhig rückt er nach dem Einfall auf dem Aste hin und her, stellt sich von einer Seite auf die andere und äugt mit gestrecktem Halse nach allen Richtungen, bis ihn die herrschende Stille vertraut und sorglos macht. Ist er bei guter Laune, so fängt er wohl auch zu falzen an; aber es ist zumeist kein rechter Zug in solch einem Abendsang; die „Gesetzlein“ folgen träge auf einander; nach und nach verliert sein Klippen den hellen Ton und geht allmählich in Laute über, die den leise rasselnden Athemzügen eines müden Menschen gleichen, den wider Willen der Schlaf überkommen hat. Inzwischen sitzt der Jäger regungslos in seinem Verstecke; jede Bewegung, jedes Geräusch würde den Hahn „vergrämen“ und zum Abstreichen veranlassen. Erst wenn die Nacht mit ihren schwarzen Schatten über den Bergwald herniedergesunken ist, erhebt sich der stille Lauscher und schleicht sich mit lautlosen Schritten aus der Hörweite des Hahnes, um dann raschen Ganges das Dorf zu suchen. Solch einem Abend folgt ein kurzer Schlaf; denn ein paar Standen nach Mitternacht heißt es schon wieder munter sein.

Das Jägerherz erfüllt mit guten Hoffnungen, tritt man ins Freie; die kühle Nachtluft erfrischt das Gesicht, und aus der wolkenlosen Finsterniß des Himmels lächeln und winken die flimmernden Sterne. Schon mit der Wanderung durch das dunkle schlummernde Dorf beginnt der eigenartig bestrickende Reiz solch eines Waidmannsganges. Eintönig rauscht der Thalbach in seinem steinernen Bette; ein Hund schlägt an, träg und verschlafen; aus einem einzigen, unter Bäumen versteckten Häuschen schimmert ein Licht – ist es schlummerloses Elend oder stillwachendes Glück, dem hier die Lampe leuchtet? Vorüber! Dort winken die Berge, die sich aufwärts thürmen gleich einer schwarzen Mauer. Ein kurzer Anstieg über thaufeuchtes Wiesengehänge, und der Wald ist erreicht. Wie ein sachtes Flüstern geht es durch die nächtigen Zweige. In mäßiger Steigung zieht sich der Weg der Höhe zu, aus dem dichteren Walde über offene Rodungen lenkend und wieder im Hochholz sich verlierend. Die niederen Büsche, die Steinklötze und Wurzelstöcke, welche den Weg begleiten, zeigen in der Dunkelheit absonderlich gestaltete Kontouren und erregen die Phantasie – und zu den Erinnerungen an die Märchenzeit der Jugend, welche unwillkürlich beim Anblick dieser finsteren Gestalten erwachen, gesellt sich der wimmernde Schrei eines Käuzleins, das durch die Tannenwipfel seinem Felsenhorst entgegenstreicht. Jetzt geht ein leises Brechen und Knacken durch das Jungholz; da flüchtet ein Reh waldeinwärts, das der Schritt des Jägers aus dem Schlaf geschreckt. Allmählich wandelt sich die Finsterniß zu grauer Dämmerung; die weißen, abgetretenen Steine des Weges werden sichtbar, und auf kurze Strecken unterscheidet man schon die einzelnen Stämme des Waldes. Der Falzplatz ist nicht mehr allzu ferne; auf einem moosigen Felsblock hält man kurze Rast, um sich „ein Bißl zu verschnaufen“. Jetzt gewinnt auch die Jägersorge die Oberhand über die Freude an dem stillen Leben der Natur. Wird der Morgen Waidmannsglück oder Mißgeschick bescheren? Vorwärts! Vereinzelte schüchterne Vogelstimmen werden bereits im Walde laut, und am östlichen Himmel erwacht schon das erste fahle Licht, das die Sterne erlöschen macht. Drunten im Thal ermuntert sich das Dorf; Hundegekläff, langsamer Hufschlag und Wagengerassel tönen, durch die Ferne gedämpft, zur Höhe. Vorwärts! Schritt für Schritt geht es den letzten Rest des Hanges empor, geräuschlos, unter stetem Lugen und Lauschen. Da plötzlich schießt dem Jäger das Blut zum Herzen – er hat einen Laut vernommen gleich einem hellklingenden Zungenschlage: das Klippen, das „Schnackeln“ des falzenden Hahnes.

Einige Minuten, und die erste Erregung ist niedergezwungen. Achtsam jeden Stein und jeden dürren Ast vermeidend, schleicht man sich näher von Stamm zu Stamm, bis das Falzlied klar und deutlich zu vernehmen ist: das langsam beginnende Klippen, welches schneller und schneller auf einander folgt, um mit dem stark tönenden „Hauptschlag“ in das „Schleifen“ überzuleiten, das sich anhört wie das Wetzen einer Sense. Wie eine Säule steht der Jäger, und es rührt sich kein Härchen an ihm, so lange der Vogel schweigt und so lange das Klippen währt; der Hauptschlag erst erlöst ihn aus seiner Starrheit – nun zwei oder drei rasche, sicher ausgeführte Schritte – und wieder heißt es stille stehen, bevor das Schleifen noch zu Ende ging. Denn während dieses kaum vier oder fünf Sekunden währenden Schleifens ist der Hahn, der sonst mit Ohr und Auge so scharf „vernimmt“ und „äugt“, für Alles taub und blind, was um ihn vorgeht; da verdreht er in verliebtem, schmachtendem Affekte die Augen nach oben, und der Klang und die Anstrengung seines Gesanges verschließen sein Ohr für jedes andere Geräusch, selbst für den krachenden Hall eines fehlgegangenen Schusses.

So folgt „Gesetzlein“ aus „Gesetzlein“, und jedes bringt den Jäger Schritt um Schritt dem Falzbaum näher. Nun wieder ein Sprung – und da geht es wie ein Ruck durch seine Arme, und fester schließen sich die Hände um seine Büchse. Er hat den Hahn erblickt, auf dem wagrecht stehenden Aste einer kahlen Lärche. Scharf heben sich von dem dämmerigen Morgenhimmel die Kontouren des schwarzen Vogels ab – ein Anblick, der selbst den brennendsten Jagdeifer für eine Weile bannt. Sorglos und unverdrossen falzt der Hahn ein Liedlein um das andere, tanzt dazu in leidenschaftlicher Bewegung auf seinem Aste hin und her, wendet und reckt den Kopf aus dem Halse, an dem der Federbart sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_394.jpg&oldid=- (Version vom 16.6.2023)