Seite:Die Gartenlaube (1887) 409.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Magdalena.
Von Arnold Kasten.
1.

Ein feiner Sprühregen, der Vorbote des nahen Frühlings, übergoß die nächtliche Landschaft, die Thürme und Dächer der Residenz. Die Gasflammen spiegelten sich auf den breiten durchnäßten Asphalttrottoirs der aristokratischen Friedrichsstraße, die an jenem Abend nicht in der gewohnten abgeschlossenen Stille lag. Sonst bewegten sich in den späteren Stunden nur einzelne Fußgänger in diesem an das Parkende der Stadt grenzenden Quartier; hin und wieder auch hörte man kurze Hufschläge und sah eine lautlos rollende Equipage an dem Portal eines der stillen vornehmen Häuser vorfahren. Dann war es eine flüchtige Erscheinung von eleganten Damen- oder stattlichen Männergestalten, die an den Dienern vorüber in die geöffnete Vorhalle entschwanden, und einen Augenblick später lag diese wieder so feierlich exklusiv in dem Licht der von der Decke niederhängenden großen Laterne, daß kein Unberufener auf den Gedanken kommen konnte, hier den Eintritt zu wagen.

Neuerdings aber hatte der seit Langem bestehende Charakter dieser Straße eine Aenderung erfahren. Mitten zwischen den Wohnungen der Geburtsaristokratie erhob sich ein großes neues Gebäude, prachtvoller als die anderen, mit dekorativem Schmucke aller Art überladen, von den barocken Giebelskulpturen und Pfeilerreliefs bis herunter zu den vergoldeten Balkongittern und dem mächtigen karyatidengetragenen Hauptportal, welches mitten in die schweigsame Straße einen Lichtstrom ergoß und seine Arme dem allgemeinen Besuch weit zu öffnen schien. Besonders auffallend war dies heute Abend: das Trottoir klapperte von geschäftigen Schritten, Konditorjungen und eiligst hineinstrebende Ausläufer mit Austernkörben, unbestimmte, aber nicht eben aristokratische Gestalten aller Art verschwanden rasch durch die Seitenthür des taghell beleuchteten Vestibüls mit seinen aus Palmengruppen empor tauchenden Lampenbüscheln, mit den verschwenderisch angebrachten Spiegeln und Teppichen und dem von Pflanzen umrahmten Springbrunnen, zu dessen beiden Seiten die große Treppe emporführte. Diener liefen hin und her, dann und wann drangen befehlende und scheltende Stimmen aus der Küchenregion bis auf die Straße heraus, und der Portier des Ministerhôtels gegenüber schüttelte, im Auf- und Abgehen stehen bleibend, mit geringschätziger Miene das Haupt.

Königin Viktoria im Ornat.
Nach dem Oelgemälde von Guido Schmitt.
Photographie im Verlag von Carl Burow in Heidelberg.

Man war offenbar etwas spät mit den Vorbereitungen zu dem „einfachen Abendessen“ fertig geworden, zu welchem Herr Konsul Felsing, einer der reichsten Großindustriellen der Residenz, am Schlusse der Saison eine stattliche Anzahl von Gästen mittelst großer lithographirter Karten geladen hatte. Aber allmählich verstummte doch die Aufregung, das Rennen hörte auf, und eine anständige Ruhe verbreitete sich im Vestibüle, nur oben mußten die Diener noch geschäftig eilen, um in den Salons die letzten Anordnungen des Haushofmeisters auszuführen, Spieltische zu stellen, Lampen und Blumenvasen in bessere Wirkung zu setzen, überhaupt an das ganze Arrangement die letzte Hand anzulegen. Die Empfangsräume des Felsing’schen Hauses nahmen den ganzen ersten Stock in Anspruch, und man übersah ihre Reihe von dem großen Mittelsalon aus, dessen gelbseidene Möbel, Tapeten und Gardinen bei dem Uebermaß von Vergoldung, welche überall bis hinauf zu dem hohen Stuckplafond mit seinen Guirlanden von Blumen, Früchten und Amoretten angebracht war, einen mehr kostbaren als geschmackvollen Eindruck machten. Der Geist des Tapezierers schien noch in dem Raum zu schweben, der keine Charakter- oder Geschmackseigenthümlichkeit seines Besitzers verrieth. Und eben so frostig wie dieser große Mittelsalon sahen auch die daran stoßenden Räume aus, die in feierlicher Stille der Gäste harrten. In dem länglichen Speisesaale am Ende stand der Haushofmeister in Frack und weißer Kravatte und überschaute prüfend die Tafel, ob nicht irgendwo ein Glas oder eine Karaffe aus der Reihe heraustrete. Aber es war Alles tadellos, die Kouverts mit den hochgefalteten Servietten standen schnurgerade auf dem prachtvollen Damasttuch, im Lichte des großen Gaslüsters blitzten die Silber- und Krystallreflexe des Tafelzeugs, und reizend hoben sich davon die frischen Blumen der Aufsätze ab. Der Schöpfer dieser Herrlichkeiten war gerade im Begriff, sich befriedigt mit leisen Tritten zu entfernen, als die Mittelthür aufging und der Herr des Hauses auf der Schwelle erschien. Eine vornehme Erscheinung war er nicht, der kurz und derb gebaute Fünfziger mit dem dicht gekrausten, an den Schläfen schon ergrauten Haar, auch sah man der Art, wie er sich im Frack bewegte, an, daß er sich nicht besonders behaglich darin fühlte. Heiterkeit und Anmuth des Lebens schienen diesem Manne fern geblieben zu sein; sein scharfgeschnittenes, energisches Gesicht hatte einen kalten und harten Ausdruck, auch sein Lächeln erhellte die düsteren Züge nur flüchtig, und die Augen behielten stets einen scharf beobachtenden Blick, auch wenn er sie nicht, wie in diesem Augenblick, zum Zweck einer raschen Musterung umherschweifen ließ.

Flüchtig nur erwiederte er den respektvollen Gruß des alten Dieners, trat dann an die Tafel und betrachtete aufmerksam, daran hinuntergehend, die Einzelnheiten; voll ruhiger Hoheit folgte ihm der Majordomus, alle die kurzen Fragen: ob die Austern parat, ob der Chablis und die richtigen Gläser besorgt seien, ob

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_409.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)