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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


wieder herausgeben wird. In seiner Aufgeregtheit malte er sich das Parallelstück zu dem Lyoner, den famosen Gamlingen-Proceß, aus. Der alte gute, ehrliche Name seiner Väter für alle Zeit mit dieser Lächerlichkeit gebrandmarkt! Besser entrinnen – so abenteuerlich das klingt – retten, was zu retten ist – den Abschied nehmen – den Namen freiwillig wieder ablegen – auf Karrière, Stellung, Alles verzichten – ein neues Leben von vorne beginnen! Um eines Namens willen!

So stand es, als Mühüller nach abgekürztem Bade-Urlaub von Kasemattenheim Ende September wieder in Berlin eintraf und sich sofort unter kräftigen Betheuerungen erbot, die am verkehrten Ende angefaßte Bildung des Amerikaners auf seine Weise einzurenken.

Freilich, als er den „Attentäter“ selber in Augenschein nahm, kam ihm wohl ein ernster Zweifel, ob die „Raison“ hier noch viel auszurichten vermöchte. Wie er es gefürchtet – sie hatten ihn gründlich verpfuscht mit ihrer verteixelten Bildung! Und Perkisch! Wie war das möglich? Er ist ganz genau der, den sie nehmen mußten, um ihn in unsere Civilisation einzuführen! Bravo!

Ja, Perkisch’ Lektionen schlugen immer besser an. Der Name war dem Jungen zu Kopf gestiegen, und eine kindische Eitelkeit kitzelte ihn, damit zu glitzern und zu strahlen – wie ein Neger, der das höchste Glück in dem Besitz eines abgetragenen Hutes oder eines bunten Taschentuches erblickt. Aber sonderbar – nun, da er doch ganz zahm war und alles that, was Name und Familie von ihm verlangten, schien er es ihnen doch wieder nicht recht zu machen.

Der Proceß! Sie haben Angst vor mir! Sie sind im Unrecht. Sie haben ein schlechtes Gewissen. Ich könnte ja eines Tages kommen und wie der in Lyon sagen: „Gebt mir den Namen her!“ Erst allmählich hatte er sich auf den Punkt versessen. Zu wiederholten Malen hatte er Perkisch näher nach dem Proceß ausgeforscht.

Dieser ward stutzig. „Was will er damit? Er ist doch nicht im Stande … Undenkbar! Er ist nicht raffinirt genug. Was hätte er auch für einen Zweck?“

Dicks hatte seinem Freund Mäpke, dessen Umgang er, dem Verbot Onkel Walther’s zum Trotz, heimlich pflegte, von dem Proceß und der Adoption erzählt. Mäpke zischte auf wie ein Streichhölzchen: „Na, das sag’ ich Dir, Junge, wenn Du Dir darauf hin irgend etwas gefallen läßt! Was ist er denn? Er hat Dir Deinen Namen gestohlen. Ja, sieh’ mich nicht so an! Ist doch so! Sie möchten Dich gerne fort haben! Aber wir bleiben! Immer los auf den Baron! Aergere sie damit, daß sie schwarz werden! Wenn Du willst, kannst Du sie jeden Augenblick aufs Trockene setzen! Los auf den Baron!“ hetzte er, und seine widerspenstigen rothen Haare schienen dabei wirklich zu flammen.

Dicks ward es schwül Er dachte im Ernste nicht an dergleichen. Er will ja Niemandem ein Leid zufügen! Immerhin aber fühlte er sich.

Mühüller konnte das nicht länger mit ansehen. „Ich möchte schon lachen,“ sagte er zu Olga, „aber es lacht Niemand mit!“

Olga war die Einzige, mit der sich überlegen ließ. Wie verständig, wie gescheit, wie prächtig sie ist: eine Perlenschnur hübscher Eigenschaften. Er hatte sich Mühe gegeben dort hinten in Kasemattenheim, sich zu belügen, daß sie keinen tieferen Eindruck auf ihn hinterlassen, daß nur sein „Capua“ schuld an seiner weichen Stimmung gewesen. Eine Neigung, von der ihn die Zeit kuriren würde. Sie in England, er hier, die Trennung würde heilsam sein – wozu soll dergleichen führen? Und nun fand er sie doch wieder vor. Früher der Name, der sie an einander gekettet, nun ein Träger desselben Namens, der das Band zwischen ihnen von Neuem knüpfte.

Also sie überlegten Beide, was geschehen solle und was mit Dicks anzufangen sei. Kleine hübsche Komitésitzungen unter der Linde im Garten, beim Spaziergang oder in einer Fensternische – wo ihre Augen eigensinnig darauf bestanden, ihre gesonderte Verhandlung zu führen, die nichts mit Dicks’ Schicksal gemein hatte.

Es kam allerlei in Frage. Ob man ihn praktische Landwirthschaft studiren, ob man ihn zur See gehen lassen, ihn in einer fremden Armee unterbringen solle. Jedenfalls darf er nicht hier bleiben!

„Geben Sie zu, mein Fräulein, daß es am besten gewesen, er wäre überhaupt drüben geblieben,“ sagte Mühüller.

„Der arme Bursch! Haben Sie seine Hände gesehen?“

„Freilich …“ und sein schelmisch zwinkernder Blick bewunderte Olga’s Händchen, die mit dem Fächer spielten.

Sie erröthete und schlug ihm mit dem Fächer auf seine Finger. Aber Komité! Komité! Es handelt sich um Dicks! – Olga sträubte sich immer noch dagegen, daß man ihn nach Amerika zurückverpflanze.

„Er geht zu Grunde!“ jammerte sie.

„Der!“ – dehnte Mühüller. „Er ist aus einem tüchtigen und tapferen Geschlecht!“

Seine Augen leuchteten – die ganze freudige Bewunderung, die er ihr zollte, sprach aus diesem Leuchten.

„Man dürfte es nicht,“ antwortete sie, zerstreut ausweichend. „Uebrigens wird ihn Niemand dazu vermögen, die Rückreise anzutreten,“ fügte sie geschäftsmäßig zur Verhandlung hinzu.

„Das käme auf einen Versuch an. Alle Wetter, wenn Sie und ich, wir Beide …“

Der Versuch wurde gleich am folgenden Tage gemacht. Mühüller hatte sich, als man eines Abends im Garten saß, von Dicks einen ganzen Sack seiner famosen amerikanischen Geschichten auskramen lassen. Mühüller schmeichelte dem Burschen absichtlich, um sein Vertrauen zu gewinnen.

„Na, ich weiß nicht, Baron, ein fabelhaft interessantes Land – man bekommt wirklich Lust hinüberzuflitzen und sich dort ein Bischen umher zu treiben. Ich denke mir, wer das Leben dort einmal geschmeckt, dem kommt der Pfeffer hier zu Lande fade vor. Sie machen vermuthlich bald wieder hin, he?“

Ganz harmlos kam es heraus, wie man mit einem Fremden über dessen Reisepläne spricht.

Dicks horchte auf.

„Karambal! Ein verteufelt interessantes Land! O ja,“ rief Dicks, seine Füße auf einen Stuhl werfend. „Taxire, werden sich höllisch amüsiren, Herr Mühüller!“

„Werde wohl keinen Urlaub übers Meer erhalten,“ sagte Mühüller. „Geht doch nichts über Ihre Freiheit, Baron! Wer so reisen könnte und sich die Welt ansehen! Jedenfalls hat es Ihnen hier doch gefallen, wie?“

Hat gefallen? – Als wenn sie ihn fort haben wollten! Dicks war so argwöhnisch geworden. Er denkt ja gar nicht daran fortzugehen! Und die Beine von dem Stuhl wieder herabwerfend, stieß er mit einer Qualmwolke seiner Cigarre heraus: „Verdammt gefällt es mir! Gefällt mir ausgezeichnet. Karambal! Amerika kenne ich wie meine Tasche, aber Europa möcht’ ich wohl noch genauer kennen lernen!“

Er rekelte sich so wohlig in dem Gartenstuhl, daß dieser ächzte, und mit seinen schimmernden Zähnen lachte er Alle in der Runde an.




26.0 Auf dem Kehricht.

Der Schatten des Namens legte sich immer schwüler über das junge Glück. Er hatte längst nicht mehr geduldet, daß ein herzfrohes Lachen im Gamlingen’schen Hause erscholl. Die beiden Gatten saßen und gingen und verkehrten neben einander, in jedem harmlosen Wort, in jeder Miene die verhaltene Scheu, das auszusprechen, was sie quälte.

Melitta war es nicht entgangen, welch’ seltsamen Ton Dicks seinem Onkel gegenüber anschlug. Sein Achselzucken, mit dem er die immer kleinlauter sich äußernden Korrekturen seines Lehrmeisters abzuschütteln suchte – ja die stumme Herausforderung seiner Blicke: Du bist’s nicht – ich bin’s!

Es war gut, daß Gamlingen gerade jetzt vollauf zu thun hatte. Er war zu einer wichtigen Mission ausersehen. Es handelte sich darum, eine Eisenbahngruppe auf ihre Leistungsfähigkeit im Kriegsfalle zu rekognosciren und die darauf basirenden mühsamen Arbeiten zu revidiren. Die Vorarbeiten zu dieser Reise näherten sich ihrem Ende, in ein paar Tagen sollte Gamlingen dieselbe antreten.

An einem regenschwülen Abend, Ende September, saß er über seinen Schreibtisch gebeugt, bei dem die Arbeit eines ganzen Jahres abschließenden Bericht. Er wollte das Schriftstück noch in der Nacht zu Ende bringen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_418.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)