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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


den Liebesgedichten giebt es einige, die überaus stimmungsvoll sind, darunter die Klage über die Geliebte, die ihn verlassen. Das Gedicht beginnt mit den schönen Strophen:

„Wenn du verrathen mich am Tage
Und wenn du nimmer mein gedacht:
Was kommst du weinend dann, o sage,
Im Traume zu mir jede Nacht?

Was streichst du mit den kleinen Händen
Mir durch das Haar wie dazumal,
Als deiner Augen süßes Blenden
Mein Glück, mein Herz, mein Leben stahl?

Wenn’s wahr, was deine Briefe stammeln,
Daß du mich lassen kannst und mußt,
Warum aufs Haupt mir Kohlen sammeln
Und Dornen auf die wunde Brust?

Laß mich in meinem Gram versinken,
Laß mich in meinem Schmerz vergehn!
Laß ab, ans Ufer mir zu winken,
Wo meiner Hoffnung Gräber stehn!“

Die Perle der Sammlung ist das Sonett „Traurige Weihnachten“, der Erinnerung an die erste anmuthige Gattin geweiht, kein bloßer Gefühlserguß, sondern ein Familien- und Lebensbild von ergreifender Wirkung :

„Am Markt erstand ich eine von den Föhren;
Die schmückt’ ich, wie’s der Mutter sonst gelang,
Mit Lichtern, Aepfeln, allerlei Behang
und baute drum, was jedem soll gehören.

Dann ließ ich laut wie sonst die Klingel hören,
Und fröhlich stürmten sie den Flur entlang,
Doch als die Lust am allerlautsten klang,
Schlich ich hinaus, die Freude nicht zu stören.

Die Arme hab’ ich um die Marmorbüste,
Die ihre schönen Züge trägt, geklammert
Und leise weinend auf den Stein gejammert,

Da fühlt’ ich, daß man meine Kleider küßte.
Sechs Aermchen hielten plötzlich mich umfangen;
Die Kinder waren’s, die mir nachgegangen.“

Als Erzähler nimmt Hopfen eine eigenartige Stellung ein: er gehört keiner der tonangebenden Richtungen an und man kann ihn überhaupt nicht mit anderen Romandichtern in Reih und Glied stellen. Unverkennbar ist sein Talent für originelle Erfindung und Charakterzeichnung: sein Stil ist eben so knorrig derb, wo es darauf ankommt, wie in weichen Linien malend, nirgends verleugnet er die Gabe satirischer Arabeskenmalerei und dichterischen Tiefblick, aber manches spielt bei ihm ins barock Wunderliche und doch schließt seine moderne Denk- und Empfindungsweise jeden Vergleich mit Dichtern der romantischen Schule aus, an welche sonst seine Manier anklingen mag.

Am meisten stilvoll und zwar im Stil der Heyse’schen Novellen gehalten war seine erste Erzählung „Peregretta“ (1864). Der Roman „Verdorben zu Paris“ (2 Bände 1868) enthält sehr geistreiche Studien über den Pariser Chik. Die Heldin des Romans ist eine Elsässer Gouvernante, die an diesem Chik und in Folge mehrerer resolut erzählter Abenteuer in der Weltstadt zu Grunde geht. Dagegen bewegt sich der Roman „Arge Sitten“ (2 Bände 1869) in deutschen kleinbürgerlichen Kreisen, in denen es indeß ebenfalls an pikanten Abenteuern nicht fehlt. „Der graue Freund“ (4 Bände 1874) ist ein Held, dessen Herz zwischen zwei Frauen hin- und herschwankt und zuletzt die Hand der einen erstritt, die inzwischen Wittwe geworden ist. Eine ganze Kolonie von Sonderlingen hat sich in dem Roman „Die Heirath des Herrn von Waldenberg“ (3 Bände 1879) angesiedelt: der alte ausgesungene Tenorist Vater Bolle, der Organist und Komponist Orlando Hunzelsperger, gewesener Gemahl einer Fürstin ohne Fürstenthum, der abgeschabte, fabelhaft genügsame Litterat Fridolin Löwe. Es sind dies seltsame Gestalten, wie sie den Erzählern der romantischen Schule vorschwebten. „Juschu, aus dem Tagebuche eines Schauspielers“ (1875) ist die Geschichte einer Wiener Grisette, mit tragischem Abschlusse: der Schauspieler, der sie niederschreibt, ist nicht der Held derselben. Daß sich ein junger Arzt, ein geistreicher Egoist, der in dem Verhältniß zur Heldin lange Zeit nur einen Aufputz seines Lebens sieht, zuletzt von ihr lossagt, drückt ihr den Revolver in die Hand. Auf das Theaterleben fallen in dieser Erzählung manche interessante Streiflichter. Aus echtem Kernholz geschnitzt sind die Figuren in Hopfen’s „Bayerischen Dorfgeschichten“ (1878), auch der einsiedlerische Praktikant in der Erzählung mit gleichem Titel. Den Reichthum seiner Erfindungskraft bewährt er in zahlreichen Erzählungen, wie in der Sammlung „Kleine Leute“ (1880) und „Erzählungen eines Majors“ (1879). Wir können hier nicht alle Blumen aus dem Blüthenstrauß von Hopfens erzählender Muse einzeln betrachten; wir erinnern unsere Leser nur noch an die Erzählung „Ein wunderlicher Heiliger“, welche unsere Zeitschrift brachte und welche durch den interessanten Charakterkopf des Titelhelden und durch lebendige Schilderungen des Wiener Treibens fesselte, und an die überaus frische, an farbigen Bildern des akademischen Lebens reiche Studentengeschichte „Der letzte Hieb“. Beide Erzählungen sind im Verlage von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig erschienen (1886). Auch als Dramendichter hat sich Hopfen mehrfach versucht, „Aus der Mark“ ist ein historisches Genrestück, das mit großer Frische ausgeführt ist. Dasselbe gilt von „Aschenbrödel in Böhmen“, welches zur Zeit der Laube’schen Direktion in Leipzig mit Erfolg gegeben wurde: ein dramatisches Bild, gezeichnet auf dem Hintergrunde der dortigen nationalen Zerwürfnisse, die in neuester Zeit noch heftiger entbrannt sind. Wie sich seine Bühnenkenntniß in diesen Stücken bewährte, so auch in den „Dramaturgischen Aufsätzen“ in „Streitfragen und Erinnerungen“.

Hans Hopfen ist ein Dichter von scharfem Blick für Welt und Leben, ein feinspüriger Seelenmaler, welcher besonders das Gemüth des Menschen auf seinen geheimen Schleichwegen belauscht. Aehnlich wie Paul Heyse liebt er es, Ausnahmezustände des Seelenlebens zu schildern, aber er liebt nicht die feingeistigen Haarstriche wie dieser Dichter: die derben Grundstriche wiegen vor. Er packt das Leben resolut an mit fester Hand und seine Muse findet sich am dinglichsten und wohlsten, wenn sie absonderliche Charaktere schildern kann, unter deren barocker Hülle ein echt menschliches Herz schlägt. Soviel krankhaftes sie schildern mag, sie selbst hat einen gesunden Herzschlag, ein sinnlich frisches, nicht überreiztes Leben, und ihre eigenartigen Schöpfungen, welche die übliche Schablone verschmähen und nach kerniger Naturwahrheit trachten, verdienen den Vorzug vor den Romanen, deren Helden dem in der Retorte künstlich erzeugten Homunculus gleichen.

Rudolf von Gottschall.


Der Nord-Ostseekanal.
Zur Erinnerung an den 3. Juni 1887.

In festlichem Schmuck prangte die Hafenstadt Kiel am 2. Juni. Flaggen wehten von den Thürmen und ein buntes Fahnenmeer wogte in den Straßen, die am späten Abend im Glanze ungezählter Lichter erstrahlten. Jubelnd drängten sich die Volksmassen nach dem Bahnhof. Es galt ja, den Kaiser zu empfangen! Aber nicht ihm allein galt der Jubel, er galt auch dem Friedenswerke, zu welchem der greise Monarch den Grundstein legen sollte, er galt der Großthat der Kultur, die aus deutschem Boden in Angriff genommen wurde, dem Nord-Ostseekanal, der in seiner Größe mit den weltberühmten Kanälen von Suez und Panama sich messen darf.

Seit Jahrhunderten hat man die Ausführung desselben erstrebt. Fast bis zu dem Zeitpunkt zurück, in welchem sich die beiden nordischen Meere zuerst umfangreicheren Handelsbeziehungen erschlossen, läßt sich der Plan verfolgen, eine Schifffahrtsverbindung zwischen ihnen herzustellen, ja mehr als das: dieselbe ist wiederholt, aber stets in durchaus unzureichender Weise zur Ausführung gekommen. In den Jahren 1391 bis 1398 erbauten die Hansen den noch heute bestehenden Steckenitzkanal; um das Jahr 1525 wurde von den Städten Hamburg und Lübeck vorübergehend ein Kanal von der Trave zur Alster geschaffen. Wenn aber diese beiden Wasserstraßen nur den Charakter von Binnenkanälen trugen und ihrer ganzen Anlage nach der Seeschifffahrt keinen Nutzen bringen konnten, so beweist ein in der Kieler Universitätsbibliothek aufbewahrtes Schriftstück aus dem 16. Jahrhundert, daß auch eine wirkliche Verbindung von Meer zu Meer damals schon unseren unternehmungslustigen Ahnen vorschwebte. In jenem Schriftstück aus der Kanzlei des Herzogs Adolf von Schleswig-Holstein-Gottorp wird sogar bereits die Eiderlinie als die voraussichtlich günstigste Trace für den Kanalbau erwähnt. Seit jener Zeit hat der Gedanke eines Nord-Ostseekanals nie völlig geruht, wenn auch die Ungunst der Verhältnisse seine Ausführung immer wieder zurückdrängte. Von den verschiedensten Seiten kam man stets auf seine Nothwendigkeit und seine Vortheile zurück. Im Jahre 1628 soll Wallenstein den Bau sogar begonnen haben und nur durch die Enthebung von seiner allgewaltigen Stellung an der Vollendung gehindert worden sein, nicht lange darauf beschäftigte sich Cromwell mit dem Plan, Wismar für England zu erwerben und von der Elbe über die Elbe und den Schweriner See einen Kanal nach diesem Ostseehafen zu bauen. Kaum ein Jahrhundert später wurde eine Trace von Ballum nach Apenrade studirt und 1777 wurde endlich unter König Christian VII. von Dänemark mit der Ausführung des jetzigen Eiderkanals begonnen. Es war in der That für seine Zeit ein recht beachtenswerthes Werk, obwohl die beschränkten Geldmittel nicht gestattet hatten, diesen Kanal für Fahrzeuge von größerem Tiefgang zu erbauen, und die schwierige Ansegelung seiner Westmündung


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