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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Magdalena.
Von Arnold Kasten.
(Fortsetzung.)
2.

Zwei Tage waren seit dem Balle bei Felsing verflossen; dem beharrlichen Regen folgte nun jene erste Frühlingssonne, die mit blauem Himmel und schwellender Knospenfülle wie eine süße Verheißung in das Menschengemüth hereinleuchtet und alles ausgestandene Winterleid vergessen läßt. Allenthalben in den Gärten rührte sich frisches Leben; auch in dem Garten des Hochberg’schen Palais waren die Arbeiter eifrig beschäftigt, das trockene Laub der Alleen auf Haufen zu rechen, Gebüsche und Rasen in Ordnung zu bringen. Von dem schwarzen Grund der Beete leuchteten die kleinen gelben und weißen Krokus, und die glänzenden, harzigen Kastanienknospen schwollen zusehends unter der plötzlichen Wärme der Sonnenstrahlen. Es war einer jener lieblichen Nachmittage, wo die Jugend sich mit Herumschwärmen im Freien nicht genug thun kann und eben so wenig an nachfolgende Kälte oder gar Schneefall glauben mag, wie an den baldigen Niedergang der Sonne, die doch dem Horizont schon so nahe steht.

Einstweilen glänzten ihre Strahlen noch hell über den breiten Kieswegen und dem Geschwisterpaar Hans und Gabriele, das sich schon geraume Zeit spielend und laufend darin umhertrieb. Der Garten zog sich weit nach rückwärts mit Rasenpartien und Kastatanienalleen, bis ihn ein Gitterthor an der vorüberführenden Chaussee abschloß. Im Sommer, wenn die weißen Marmorvasen aus dunklem Grün leuchteten, der Springbrunnen leise plätscherte und die in großen Kübeln den Rasenplatz umgebenden Orangenbäume ihren Duft weithin ausströmte, war dieser Garten ein herrlicher Aufenthalt. Keines der umliegenden Herrschaftshäuser besaß einen ähnlich großen; überall hatte die neue Zeit den kostbaren Baugrund mehr und mehr beschnitten. Graf Hochberg aber, obgleich er den Sommer niemals in der Stadt zubrachte, hielt Etwas darauf, so lange er anwesend war, seinen Morgengang bis zu demselben kleinen Pavillon ausdehnen zu können, in welchem sein Ururältervater im Jahre 1720 dem Prinzen Eugen den Kaffee serviren ließ. „Es muß ja nicht Alles zu Gelde gemacht werden,“ pflegte er scherzend, mit einem leisen Anflug von Hochmuth zu erwidern, wenn man ihm den Kapitalwerth des Grundstücks vorstellte.

Auf der Freitreppe dieses kleinen, zopfigen Pavillons stand der junge Hauslehrer, Doktor Richard Reiter, und betrachtete durch die blattleeren Kastanienzweige den Rasenplatz und die junge Komtesse, welche sich dort einer ungewohnten, aber offenbar höchst vergnüglichen Thätigkeit hingab. Sie hatte sich Latten und Stangen geholt und war eben im Begriff, mit Hilfe des Gärtners mitten auf dem Rasen Etwas zu errichten, was eine entfernte Aehnlichkeit mit einer zukünftigen Laube besaß. Vier Stangen waren eingerammt, die Querleisten wurden eben befestigt; der Bruder Hans sollte Nägel reichen und versah dieses Geschäft äußerst faul und widerwillig, der Gärtner Friedrich stützte nach Leibeskräften den schwanken Bau, und Gabriele schlug mit Feuereifer Nägel ein. Ihr blaues Jäckchen mit den blanken Metallknöpfen hatte sie einer nebenstehenden Flora über den Arm geworfen, und nun stand sie im halbkurzen Kleid, das die zierlichen Stiefelchen sehen ließ, auf einer Bank, behende den Arm hebend und scharfe Schläge führend. Das Mündchen hatte sie ernsthaft zusammengezogen, die Augen so nahe auf das Ziel gerichtet, daß sie ein klein wenig schielten – ein entzückend kindlicher Ausdruck, wie sich der junge Beobachter im Stillen sagte, lag noch über der bereits jungfräulichen Form dieser schlanken Gestalt ausgegossen.

Er stand völlig verloren in der Wonne einer Betrachtung, die er sich während der Unterrichtsstunden niemals erlaubt haben würde. Es waren deren nicht viele, die Gabriele noch mit dem Bruder theilte, aber während derselben hütete Richard Reiter sorgfältig Blick und Ton, seine Worte klangen ernsthaft und gemessen, oft sogar leise tadelnd, wenn der flüchtige Blondkopf tausend nicht zur Sache gehörige Fragen stellte, in der Naturgeschichte bei Gelegenheit der Eisbären auf einen ganz weißen King Charles zu sprechen kam, den sie sich zum nächsten Geburtstage wünschte, oder im Geschichtsaufsatz über Alexander’s Zug nach Indien den großen König unmittelbar von Arbela nach dem Fünfstromlande springen ließ und die Lücke nur durch die Bemerkung ausfüllte: Alexander müsse doch ein reizender Mensch gewesen sein.

„Ich könnte mich gar nicht für ihn interessiren, wenn ich mir ihn nicht so vorstellte,“ war ihre hartnäckige Antwort auf Doktor Reiter’s Ermahnungen zu größerer Objektivität, und er mußte im Stillen über den Instinkt einer so glücklichen Natur lächeln. „Ein liebenswürdiges Kind,“ dachte er bei solchen Gelegenheiten, und bis heute war es ihm nie eingefallen, darüber nachzudenken, was ihm eigentlich den Aufenthalt hier im Hause so lieb machte und die Geduld mit dem wenig begabten, aber um so ungezogeneren Hans verlieh. Heute aber stand es auf einmal klar vor seiner Seele: das liebliche Geschöpfchen dort mit den lachenden Augen und dem sonnigen Goldhaar gehörte bereits zu seinem Leben, wie das Tageslicht und der Lufthauch, deren sich ja auch Niemand bewußt ist … daß er dies aber heute erst merkte!

Das Lächeln verschwand von den Lippen des jungen Mannes; sein Blick wurde düster, und mit augenblicklichem Entschluß unterdrückte er das heiße Wallen, das ihm vom Herzen zum Kopf steigen wollte. „Dies muß schweigend getödtet werden,“ sprach er leise vor sich hin, „wir wollen nicht die alte abgedroschene Geschichte vom Hofmeister und der jungen Schülerin neu aufführen. Welche Armseligkeit – ein argloses junges Herz kirre machen – nein, tausendmal nein, ich wäre es nicht im Stande. Und wohin sollte es führen … der verdorbene Theologe und absichtslose Zoologe und die reiche schöne Gräfin Hochberg! Ein solcher Unsinn ist selbst für Jemand zu arg, der schon auf eine so respektable Anzahl von dummen Streichen zurücksieht, wie ich. Kopf in die Höhe, Zähne zusammengebissen, verliebter Thor, damit Niemand merke, welche Schwachheit Dich soeben angewandelt hat!“

„Friedrich,“ hörte er jetzt die junge Gräfin zum Gärtner sagen, als die Hand mit dem schweren Hammer ein wenig ruhte; „ich hätte nicht gedacht, daß es mit dem Nägeleinschlagen so famos ginge.“

„Freilich,“ erwiederte der Mann, der sich gerade auf der andern Seite bemühte, einen besonders krumm gerathenen wieder zurecht zu biegen, „die gnädige Komtesse können arbeiten wie Unsereins.“

Hans ließ ein spöttisches Lachen ertönen. Er kam sich mit seinen dreizehn Jahren bereits sehr vornehm und wichtig vor, und die Beschäftigung seiner Schwester in Gesellschaft des Gärtners erschien ihm nichts weniger als standesgemäß. Ueberdies fing die Sache an, ihn zu langweilen.

„Du, Gabi,“ spöttelte er, „es ist doch schade, daß Du nicht als Taglöhnerkind auf die Welt gekommen bist. Dann könntest Du den ganzen Tag graben und scheuern und dergleichen feine Geschäfte thun.“

Gabriele warf ihm einen entrüsteten Blick zu, doch sagte sie möglichst ruhig:

„Du bist ein einfältiger Junge, Hans.“ Dann, sich zum Gärtner wendend, fuhr sie mit dem freundlichsten Ausdruck fort: „Nun, Friedrich, die Stangen hätten wir jetzt, und auch die Querleisten. Aber das Dach!“ fuhr sie kleinlauter fort, „wo nehmen wir das Dach her? Das dauert ja wohl länger?“

„Länger dauert das allerdings,“ bestätigte Friedrich, dem offenbar nicht wohl bei der Sache war, wenn er auch dem allgemeinen Liebling Nichts abzuschlagen vermochte. „Die gehobelten Bretter werden auch recht stark weiß glänzen. Brauchen denn die gnädige Gräfin die Laube so nothwendig?“

„Sehen Sie, Friedrich, das verstehen Sie nicht,“ versetzte Gabriele mit großer Bestimmtheit, „die Laube müssen wir unbedingt haben, weil wir einen Sitz im Freien brauchen, wo uns Herr Doktor Reiter an Blumen und Käfern und solchen Dingen Naturgeschichte lehren kann und wo man auf einen einfachen Holztisch Wassergläser und Behälter mit Thieren setzt. In der

Stube droben mit den polirten Möbeln geht das Alles nicht so gut: das hat er neulich selbst gesagt, als er meinte, in dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_446.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)