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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

der schärfste Beobachter hätte keine Spur von Aufregung mehr in der Art finden können, mit welcher der Graf auf die Beiden zuging und ihnen freundschaftlich die Hand entgegenstreckte.

„Nun, das ist hübsch, Hochwürden, daß wir Sie auch einmal in der Residenz sehen. Legen Sie den Hut ab, Herr Bürgermeister, und lassen Sie mich wissen, worin ich Ihnen dienen kann. Denn ohne besondere Veranlassung sind Sie sicher nicht da!“

Der bäuerliche Bürgermeister, dem hinter seinen beiden Ackergäulen bedeutend wohler war als auf dem dunkelrothen, schwerbetroddelten Armsessel, auf den er sich kaum zu setzen wagte, hustete einige Male verlegen und betrachtete respektvoll die Bilder an den Wänden und die schweren Metallgeräthe des gräflichen Schreibtisches, der Pfarrer aber, der im Hochberger Schlosse ein häufiger und gern gesehener Gast war, sagte einfach:

„Wir haben es für unsere Pflicht gehalten, Herr Graf, uns um Aufklärung an Sie selbst zu wenden in einer Angelegenheit, welche seit einigen Tagen die Gemüther in Hochberg sehr beunruhigt.“

Der Graf machte eine verbindliche Handbewegung; der gute Pfarrer aber empfand eine kleine Schwierigkeit, nach diesem wohlstudirten Eingang gleich zur Sache zu kommem und beeilte sich deßhalb, unter dem fragenden Blick des Grafen hinzuzufügen:

„Sie wissen, gnädigster Herr, wie die Gemeinde an Ihnen und dem hochverehrten gräflichen Hause hängt; es ist ihr wohlbekannt, wie vielen Dank wir Ihrer Güte schulden, wie alle unsere neuen guten Einrichtungen, das Schulhaus, das Pfründnergebäude –“

„Aber, lieber Herr Pfarrer,“ wehrte Graf Hochberg ab.

„Das Pfründnergebäude,“ fuhr dieser gleichwohl unbeirrt fort, „sowie die Zutheilung von Holz und Streu an die Ortsarmen und unzählige andere Wohlthaten nur Ausflüsse Ihrer Großmuth sind, und jeder einzelne Bewohner von Hochberg fühlt sich dadurch unserem gnädigen Herrn Grafen aufs Tiefste verpflichtet.“

„Aber ich bitte Sie, lieber Herr Pfarrer, wozu dies Alles?“ warf Graf Hochberg freundlich ein.

„Um gleichsam unsere Unbescheidenheit zu entschuldigen, wenn wir uns jetzt erlauben, die Frage an den Herrn Grafen zu richten, derentwegen wir gekommen sind. Wir haben nämlich gehört, daß Eckartshausen verkauft worden ist … und so … so ist in der Gemeinde die Befürchtung entstanden, der Herr Graf könnten sich auch Ihrer Besitzung Hochberg entäußern wollen, was wir allesammt als ein großes Unglück für uns ansehen müßten …“

Beide Männer hingen gespannt an den Zügen des Grafen, die eine gewisse Verlegenheit zeigten. Er antwortete nicht sogleich, und so war der Pfarrer gezwungen, weiter fortzufahren:

„Verzeihen Sie, Herr Graf, daß wir uns überhaupt unterstehen, an diese Dinge zu rühren. Aber neben der Angst vor der Aenderung treibt uns noch der Gedanke, daß … es giebt Verhältnisse … wo man so etwas auch von der finanziellen Seite betrachtet … und für diesen Fall haben der Herr Bürgermeister und ich überlegt, ob man nicht ein Arrangement treffen könnte – mit den Gemeindewaldungen etwa –“

Aber weiter ließ ihn der Graf nicht kommen. Wie von einer Feder geschnellt, fuhr er empor, und er, der noch eben in Gedanken angstvoll alle Möglichkeiten einer Hilfe erschöpft hatte, sagte jetzt in heiterem Tone und mit der gewinnenden Freundlichkeit, die ihm zur zweiten Natur geworden war:

„Nein, meine lieben Freunde, so schlimm steht es doch nicht mit mir. Ich habe Eckartshausen verkauft, weil mir die Verwaltungsgeschäfte zu anstrengend wurden. Von Hochberg aber,“ fuhr er rasch fort, von einem unwiderstehlichen Impulse getrieben, der jede andere Ueberlegung verdrängte, „von Hochberg denke ich mich nicht zu trennen, so lange ich lebe, und ich freue mich sehr, Sie Beide diesen Sommer wieder draußen zu begrüßen. Sagen Sie das unseren guten Hochbergern und haben Sie herzlichen Dank für Ihre treue Anhänglichkeit!“

Die beiden Männer blickten bewundernd auf ihren schönen imposanten Herrn, und ihm selber schien es, während er lebhaft und heiter sprach, als ob seinen Worten eine bestätigende Kraft innewohne: so mußte der Herr von Hochberg sprechen, und mit diesem Herrn konnte es so schlimm nicht stehen.

Als aber der Pfarrer und der Bürgermeister sichtbar erleichtert sich unter vielen Bücklingen entfernt hatten, verflog allgemach die gehobene Stimmung des Grafen und die unerfreuliche Wirklichkeit trat wieder vor ihn hin, noch verschärft durch die Versicherung, durch die er sich so unbesonnen gebunden. Nicht unbesonnen ... er hatte nicht anders reden können diesen einfachen braven Leuten gegenüber, er konnte sich doch wahrhaftig nicht durch ein Anerbieten beschämen lassen, das – nein, nein, dieser Ausweg war unmöglich, es handelte sich jetzt nur darum, einen andern zu finden!

Ein Diener trat ein, auf dem silbernen Plateau ein großes Kouvert tragend.

„Von Felsing!“ Hastig öffnete der Graf und durchflog den Brief, um ihn gleich darauf zornig zu Boden zu werfen. Felsing refüsirte mit ausgezeichneter Höflichkeit und aufrichtigstem Bedauern. eigene Verpflichtungen und die Schwierigkeit, im Augenblick größere Summen flüssig zu machen waren als Gründe angegeben. „Ausflüchte, elende Ausflüchte,“ murmelte der Graf empört vor sich hin. „Als ob die Herren nicht trefflich verstünden, Gelder flüssig zu machen, wenn es gilt, dem Adel seine Güter wegzukaufen! Er will nicht, das ist augenscheinlich.“

Aber da lag ja noch ein zweiter Brief von seinem eigenen Bankier. Der Graf erbrach ihn und las:

„Hochgeborener Herr Graf! Nachdem der Kurs der für Sie gekauften und in Depot gelegten fünfhundert Stück Aktien der Bau- und Bodengesellschaft heute auf dreißig zurückgegangen ist, erlauben wir uns, entsprechend der Geschäftsordnung unseres Hauses, Euer Hochgeboren um gefällige Deckung der zu Ihren Lasten entstandenen Differenz von siebzigtausend Thalern höflichst zu ersuchen.“

Der Graf ließ das Blatt sinken, seine Augen starrten darauf, ohne den Sinn augenblicklich zu fassen. Siebzigtausend Thaler! Es dauerte sekundenlang, bis er seine Gedanken gesammelt hatte, dann aber kam eine heiße Entrüstung über ihn. Was! Als man ihn in den Verwaltungsrath der Bank hineinzog und ihm die Aktien gewissermaßen aus Erkenntlichkeit zum Kurs von hundert überwies, da hatte man ihm goldene Berge versprochen und ihm erst kürzlich noch gesagt, er solle sich wegen des Sinkens nicht beunruhigen, man werde seine Aktien unter allen Umständen halten. Und nun – eine solche Infamie!

Ein plötzlicher Anfall von verzweiflungsvoller Angst faßte den rathlosen Mann; es war ihm zu Muthe wie dem Schwimmer, der, gegen Wind und Wellen ringend, zum ersten Male den deutlichen Gedanken seines Unterganges fühlt. Es litt ihn nicht mehr in dem stillen Zimmer, er griff hastig nach Hut und Stock; er wollte hinaus, gleichviel wohin – und prallte an der Thürschwelle beinahe mit dem Agenten Treiber zusammen, der offenbar sehr nahe der Thür schon seit einiger Zeit gestanden hatte und nicht sofort eine unbefangene Haltung finden konnte.

„Sie hier?“ sagte stirnrunzelnd der Graf, indem er zurücktrat. „Was wollen Sie?“

„Unterthänigster Diener, Excellenz,“ erwiederte der Agent; „ich wollte nur anfragen, ob Sie sich die Sache überlegt haben wegen der sechzigtausend Thaler?“

„Ich habe Ihnen schon gesagt,“ erwiederte der Graf etwas weniger rauh, „daß ich bereit bin, die Provision zu zahlen.“

„Schön, Herr Graf,“ schmunzelte Treiber. „Und Excellenz würden das Wechselchen ausstellen mit der bekannten Unterschrift und dem Stempelchen?“

„Nein,“ erwiederte Jener mit einiger Anstrengung. „Sie wissen wohl, daß ich dies nicht kann, weil es eine Fälschung wäre, ein Betrug. Ich will davon nichts mehr hören!“

„Eine Fälschung!“ wehklagte der Agent – „ein Betrug! Gott, was für ungute Worte! Wen sollten der Herr Graf denn betrügen? Wenn ich das Wechselchen kaufe und dabei weiß, was ich kaufe, betrügen der Herr Graf etwa mich? Und wenn der Herr Graf das Wechselchen wieder einlösen in zwei Monaten, betrügen der Herr Graf etwa die Bau- und Bodengesellschaft? Und wenn kein Mensch etwas erfährt von der ganzen Geschichte, wer will etwas dagegen haben?“

„Aber warum bestehen Sie denn so hartnäckig auf dem Stempel?“ versetzte der Graf ungeduldig.

„Warum ich darauf bestehe? Gott, Herr Graf, es ist so eine Art von Gefühlssache, Excellenz! Gewiß und wahrhaftig, der Herr Graf sind mir gut für eine Million, und die Unterschrift des Herrn Grafen ist mir auch gut! Aber wenn man sechzigtausend Thaler

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_464.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)