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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


„O das macht nichts, bei einem jungen Frauchen nimmt man das nicht so genau," sagte von der andern Seite die Amtsräthin.

„Besonders wenn sie so hübsch und liebenswürdig ist," fügte der alte Herr galant bei. Aber mir war es wie ein Dolchstoß. Also haben es Alle gemerkt, und ich war blamirt!

Die Empfindung verließ mich nicht mehr den ganzen übrigen Abend. Mit Hugo sprach ich nicht; er setzte sich auch so fest zu Frau von Kolotschine, oder vielmehr, sie nahm ihn so ausschließlich in Beschlag, wie sie das schon ein paar Mal in Gesellschaft gethan. Brandt, der momentan in Ungnade zu sein scheint, hielt sich, nachdem wir unser Stück gespielt hatten, stets an meiner Seite, Fräulein Frida lächelte wieder. Und nun führte Hugo Frau von Kolotschine zum Flügel; sie spielte, spielte Chopin, und, Marie, besser, viel besser als ich! Ich fühlte ein inneres Brennen, aber wenn auch – ich überwand mich, trat zu ihr und sagte: „Was gäbe ich darum, dies auch so zu können!“

„Wünschen Sie sich das nicht, liebes Kind,“ erwiederte sie herablassend, „es kostet viel Herzblut, Chopin so zu spielen!“ Und mit ihrem bedeutungsvollen Augenaufschlag fixirte sie Hugo.

„Dafür ist aber dann der Zauber auch vollkommen,“ sagte dieser und küßte ihr die Hand zum Dank.

Ich sagte nichts mehr, wandte mich zur Seite, wo die Bowle stand, und schöpfte aus. Sie war gut, aber das machte mir keine Freude mehr; es war mir jetzt Alles einerlei. Die alten Herrschaften unterhielten sich, meine Photographienmappe blieb geschlossen. Ich glaube, sie fühlten sich aber jetzt bei den qualmenden Cigarren Alle recht gemüthlich, denn es wurde halb Eins, bis sie gingen.

Und als nun die Letzten fort waren, wer saß da am Ofen und schluchzte herzbrechend und wollte gar keine Vernunft annehmen? Das war Emmy, die ihren Mann mit Vorwürfen überhäufte, von den Südfrüchten an bis zu der koketten Russin, behauptete, er habe sie vor der ganzen Gesellschaft bloßgestellt und sich selbst kompromittirt, keine seiner Einreden beachtete, bis er es endlich müde wurde und mit einem scharfen: „Kommst Du jetzt?" das Licht ergriff.

„Nein!“

„Dann bleibe nur, ich gehe …“

Und fort war er. Ich lehnte meinen Kopf an die kalten Ofenkacheln und weinte herzbrechend, ungefähr eine halbe Stunde, dann mußte ich mir Mühe dazu geben, und endlich ging es gar nicht mehr. Es wurde auch kalt im Zimmer, ich begann, meinen Trotz zu bereuen, und nahm mir vor, nur noch ein Weilchen zu warten, bis er eingeschlafen wäre, um mich dann leise ins Bett zu stehlen. Mein Kopf sank tief und tiefer, plötzlich schreckte ich von einem Geräusch auf. In der Thür stand Hugo und betrachtete mich mit einem sonderbaren Ausdruck.

Ich flog auf, ihm entgegen, er sagte nur: „Emmy, sollen wir uns heute zum ersten Mal nicht gute Nacht sagen?“

O Marie, er ist doch gut – seelengut! Ich fiel ihm um den Hals. Er tröstete mich auch noch und sagte: es sei ja sehr hübsch gewesen, und Alle hätten sich gut unterhalten. Und ich, wie gern glaubte ich ihm! Nein, er ist wirklich der beste Mann der Welt, und ich bin Deine glückliche Emmy. 

P. S. Weißt Du, was er von Frau von Kolotschine sagte? „Ach geh’, so eine geistreiche Frau wäre mir ja schrecklich unbequem!“ Das hätte sie hören sollen!




Blätter und Blüthen.


Eine Lehrerbildungsanstalt für den deutschen Handfertigkeitsunterricht.

„Bllde das Auge, übe die Hand,
Fest wird der Wille, scharf der Verstand."

Dieser Spruch der Leipziger Schülerwerkstatt charakterisirt scharf genug die Bedeutung des Handfertigkeitsunterrichts, die Frage der Erziehung der männlichen Jugend zur praktischen Arbeit. Das Streben, diese Erziehung zu fördern, hat sich trotz aller Gegnerschaft behauptet und sich mit unglaublicher Raschheit über alle Kulturländer verbreitet. Im Herbste des Vorjahres ward in Stuttgart ein deutscher Verein für Knabenhandarbeit begründet, der sich bald über das ganze Reich wie über die deutschen Länder Oesterreichs erstreckt hat und heute eine große Anzahl von Mitgliedern in allen Gauen unseres Vaterlandes zählt. Zugleich ward in Stuttgart beschlossen, eine Anstalt zu begründen, die solche Lehrer, welche sich für die wichtige Erziehungsfrage interessiren, zeitweise vereinigen und durch tüchtige Werkmeister zur Ertheilung des Arbeitsunterrichts befähigen soll: die unter die Leitung Dr. W. Götze’s gestellte Lehrerbildungsanstalt des deutschen Vereins für Knabenhandarbeit.

Am 1. Juli ist sie in Leipzig ins Leben getreten, das sächsische Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrlchts hat dieser Lehrerbildungsanstalt durch die Gewährung der Mittel zu einer Bibliothek der gesammten Handfertigkeitslitteratur und zur Anschaffung sämmtlicher Werke und Vorlagen eine willkommene Aussteuer gewährt; eine Bitte an die deutschen Schülerwerkstätten, Arbeitsschulen und Knabenhorte um Ueberlassung von Arbeitsmodellen verspricht nach den bereits eingegangenen Gaben einen guten Erfolg, so daß die künftigen Besucher des Handfertigkeitsseminars einen Ueberblick über die verschiedenen Formen des Arbeitsunterrichts durch eigene Anschauungen erhalten werden, während sie in der Leipziger Schülerwerkstatt die Praxis desselben durch Lehrproben geübter Lehrer kennen lernen sollen. Hervorragende Vertreter der Idee haben freundlich zugesagt, den im Seminar vereinigten Lehrern Vorträge über die verschiedenen Seiten des Arbeitsunterrichts zu halten; so der würdige Veteran der ganzen Bewegung auf diesem Gebiete, Professor Karl Biedermann, der schon im Jahre 1852 sein unübertreffliches Buch „Erziehung zur Arbeit“ schrieb, Medicinalrath Dr. Birch-Hirschfeld, der für die praktische Arbeit der Knaben aus hygienischen Gründen von Anfang an in glänzender Weise eingetreten ist, ferner der Künstler Fedor Flinzer, Emil von Schenckendorff, einer der begeistertsten Kämpfer für die Knabenhandarbeit. Das Wichtigste jedoch wird die angestrengte, mühevolle, aber auch erfolgreiche Arbeit der Lehrer selbst sein, zu der sie von tüchtigen Fachmännern Anleitung empfangen werden. Man darf einer Anstalt, die mit solchen Mitteln und Kräften so bedeutsame Ziele verfolgt, gewiß eine glückliche Entwickelung wünschen. Jedenfalls erhält jetzt erst die Bewegung für den Arbeitsunterricht in Deutschland festen Grund und Boden.

Das Gutzkow-Denkmal in Dresden. Dem Allgemeinen deutschen Schriftstellerverband gebührt das Verdienst, einem so namhaften Dichter, wie Karl Gutzkow es ist, ein Denkmal gegründet zu haben, und daß diese Anregung aus den Kreisen der Schriftsteller selbst hervorging, ist um so ehrenvoller für den gefeierten Dichter, dessen Verdienste um die Litteratur in andern Kreisen oft genug unterschätzt worden sind. Bei der Gutzkow-Feier am 13. December 1880 wurde der Grund zum Fonds für das Denkmal gelegt, auch die für diese Feier von dem Bildhauer Andresen in Dresden geschaffene überlebensgroße Büste wurde zur Ausführung bestimmt; die Dresdener Stadtverwaltung übernahm die Kosten der Aufstellung dieser Büste vor dem Kreuzgymnasium neben dem Standbilde Theodor Körners. Mit Recht haben namhafte Kunstgelehrte darauf aufmerksam gemacht, daß für Männer, die sich durch geistige Leistungen auf dem Gebiete der Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet, die Büste eine geeignetere Form plastischer Verherrlichung ist als das Standbild, das sich mehr für Männer der That eignet, für große. Herrscher und Feldherren.

Man darf sich daher vollkommen mit der Gutzkow-Büste als einem plastischen Erinnerungszeichen seitens der Stadt, in der er so lange Jahre gelebt (von 1846 bis 1861), einverstanden erklären. Am 11. Juni wurde diese Büste enthüllt in Gegenwart der Vertreter der städtischen Behörden und des deutschen Schriftstellerverbandes, die Festrede hielt Professor Adolf Stern, der von seiner Beredtsamkeit oft genug schöne Proben abgelegt hat und die geistige Bedeutung eines Autors scharf zu charakterisiren versteht. Oberbürgermeister Stübel dankte im Namen der Stadt für das schöne, sie ehrende Geschenk, und Rudolf Doehn, von dem die erste Anregung zu dem Denkmale ausging, legte mit kurzer Ansprache einen Lorbeerkranz auf die Stufen desselben nieder.

Die Büste ist in Bronze ausgeführt und erhebt sich auf einem Porphyrpostament, zu welchem zwei graublaue Granitstufen emporführen. Man sieht dem Angesicht des Dichters den Ernst seines Strebens und die schweren Kämpfe an, die er zeitlebens durchgekämpft gegenüber den unausgesetzten Angriffen einer erbitterten Gegnerschaft. Niemals hat ihm die Gunst der Mode mit ihren wohlfeilen Erfolgen gelächelt, Auszeichnungen sind ihm versagt worden, die der Mittelmäßigkeit bereitwillig gespendet wurden; das Bänkelsängerthum, der leere Singsang hat bequeme Triumphe gefeiert, während er sich für ausgezeichnete Werke mühsam die Anerkennung erkämpfen mußte. Ein Mann von geistiger Bedeutung wie Wenige stand er zurück hinter den geistig Kleinen, denen zufällig ein glücklicher Wurf gelungen, die Summe seines Wirkens wurde nicht gewürdigt; man mäkelte am Einzelnen mit mißgünstigem Behagen. War es zu verwundern, daß sein reizbares Naturell aufs Aeußerste erregt wurde, daß sein Geist, sein Gemüth sich verdunkelten, daß er einem unheimlichen Verfolgungswahn verfiel und, auch von der Krankheit geheilt, immer ein müder verstimmter Dichter blieb bis zu seinem geheimnißvoll tragischen Lebensende?

Die Gutzkow-Büste in Dresden ist eine kleine Abschlagszahlung für Alles, was das deutsche Volk dem Dichter des „Uriel Acosta" und der „Ritter vom Geiste" verdankt. In Dresden hat er drei Jahre lang an der Bühne als Dramaturg im Interesse der modernen Dichtung gewirkt, hier hat er später seine großen Romane geschrieben, bedeutungs- und stimmungsvolle Kulturgemälde, deren Werth um so mehr hervortritt, wenn man sie mit den Werken der Nachfolger vergleicht, welche dieselben Bahnen wandeln. Doch Berlin ist des Dichters Geburtsort, auch geistig ist hier seine Heimath, von den Männern der Berliner Universität gingen die nachhaltigsten Anregungen für sein ganzes Streben aus, seine ganze Art zu denken und zu empfinden ist dem Berliner Naturell verwandt. Im Boden der preußischen Hauptstadt wurzeln seine „Ritter vom Geiste". Wir zweifeln daher nicht, daß die jetzige deutsche Reichshauptstadt dem Beispiele Dresdens folgen und einem Schriftsteller ein würdiges Denkmal errichten wird, der, an den Ufern der Spree geboren, Werke geschaffen hat, die dem Genius des deutschen Volks zu dauernder Ehre gereichen. †      

Der Latona-Brunnen auf Herrenwörth. (Mit Illustration auf S. 453.) Zu lykischem Bauernvolke kam einst, so erzählt die griechische Sage, die Göttin Latona und bat um einen Trunk Wasser für ihre Kinder Apollo und Artemis. Die Bauern verweigerten den Dürstenden diesen Trunk; zur Strafe dafür wurden sie von der Göttin in Frösche verwandelt. Diese Sage versinnlicht der Latona-Brunnen im Garten des Königsschlosses zu Herrenwörth, welches im Jahrg. 1886, S. 560 u. 586 der „Gartenlaube" ausführlich geschildert wurde. Inmitten des Brunnens sieht man die weißen Marmorgestalten der Göttin und ihrer Kinder, um sie her sitzen die verwunschenen Lykier und Lykierinnen, zum Theil schon völlig als Reptilien, zum Theil auch erst in der Verwandlung begriffen. Vortrefflich ist es dem Künstler gelungen, in einigen dieser Gestalten den burlesk-schauerlichen Uebergang vom Menschen zum Frosche darzustellen. All’ diese Gestalten aber schleudern Wassergarben um sich her und über ihre vergoldeten Leiber. Im hellen Sonnenscheine macht der Brunnen mit seinem Marmorbau, seiner Masse goldener Gestalten und seinen sprühenden Wassern einen überaus reichen Eindruck. Leider werden, obgleich das Schloß auch in diesem Jahre wieder dem Publikum zugänglich ist, die schönen Wasserwerke nicht in Thätigkeit gesetzt, da sie umfassender Ausbesserungen bedürfen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_467.jpg&oldid=- (Version vom 15.5.2023)