Seite:Die Gartenlaube (1887) 487.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Das junge Ehepaar hätte nun mit den Zinsen der fünfzigtausend Dollars, wenn auch einfach, so doch bequem leben können; denn Edith, die als Mädchen sehr anspruchsvoll gewesen war, schien die bescheidenste Frau werden zu wollen; aber es erhob sich eine neue Schwierigkeit. Das Geld war bei Edith’s Bruder, im Hause Rawlston & Co. niedergelegt, und Büchner weigerte sich, auch nur einen Cent von dem Kapital oder von den Zinsen darauf zu entnehmen. Prati, Herr und Frau Onslow und Edith erklärten das für thöricht und redeten sich müde, um Büchner zur Vernunft zu bringen. Aber es zeigte sich bei dieser Gelegenheit zum ersten Male, daß Büchner außerordentlich eigensinnig sein konnte.

„Unter keiner Bedingung darfst Du einen Heller von dem Gelde nehmen,“ sagte er. „Es ist dies mein ausdrücklicher Wille.“

Und davon war er nicht abzubringen. Ja, er zeigte sich bald so erregt, daß die Vier, die auf ihn einredeten, eingeschüchtert wurden und das Gespräch abbrachen.

„Das fehlte gerade noch!“ murmelte Büchner ergrimmt vor sich hin. „Ich hoffe im Stande zu sein, meine Frau auch ohne das Rawlston’sche Vermögen zu ernähren. Jedenfalls will ich es versuchen und für meine Person lieber Hungers sterben, als das Geld anrühren.“

Edith war einen ganzen Tag über diesen Auftritt unglücklich. Wie konnte Georg nur so heftig sein! Er hatte im Zorn gesprochen, und die Blicke, die er auf sie geworfen, waren feindlich gewesen. Aber die Liebe verzeiht Altes! Ja, Georg hatte ganz Recht. Edle, männliche Gesinnung machte ihm den Gedanken verhaßt, daß es scheinen könne, er lebe auf Kosten seiner Frau. Es war Unrecht gewesen, ihm dies nur einen Augenblick zuzumuthen.

Frau Onslow war zu gut, um sich über diese Sinnesänderung von Edith nicht zu freuen. Sie streichelte der schönen jungen Frau sanft die Wangen und sagte: „Du hast ganz Recht; thue oder verlange nie etwas, was Deines Mannes Stolz verletzen könnte. Er ist in dieser Beziehung krankhaft empfindlich. Das ist aber kein Unglück, und mit der Zeit wird sich das wieder ändern. Du bist jung und kannst es abwarten.“

Der Auftritt schien bald aus Aller Gedächtniß geschwunden zu sein; jedenfalls sprach Niemand mehr davon. Einstweilen lebte Büchner von dem Gelde, das Prati unaufgefordert zu seiner Verfügung stellte.

In dem neuen kleinen Büchner’schen Hause sah es, Dank Frau Onslow’s und Prati’s Bemühungen, wohnlich und hübsch aus. Büchner besaß von Alters her eine gute Einrichtung für zwei Zimmer. Weder er noch Edith waren während der Verlobungszeit in der Stimmung gewesen, die Einkäufe zu machen, welche zur Umwandlung der Junggesellenwirthschaft ist eine häusliche Einrichtung für Mann und Frau nothwendig waren. Man hatte übrigens damals in Shanghai keine große Wahl. Alle Welt besaß dieselben schwarzen, schweren Kanton-Möbel im Salon, dieselben hellbraunen Ringpo-Betten, Tische und Stühle im Schlafzimmer, und dieselben Pinang-Sessel auf der Veranda. Es handelte sich nur darum, ob man das Allerbeste oder weniger Gutes nehmen wollte. Darüber entschied der Geldbeutel allein, und Büchner hatte sich deßhalb damit begnügen können, Prati und Frau Onslow die Summe zu nennen, die er zu deren Verfügung stellen konnte, um Alles anzuschaffen, was noch an Möbeln und Wäsche zur Vervollständigung der Einrichtung gebraucht wurde.

Es war erstaunlich, wie gut Frau Onslow und Prati eine verhältnißmäßig geringfügige Summe angewandt hatten, denn es fehlte in der neuen Einrichtung an nichts Nothwendigem – und alles Vorhandene war vom Besten. Die Möbel für den Salon, die Prati besorgt hatte, waren zu einem Spottpreise erstanden worden. Im gewöhnlichen Handel wären sie das Doppelte und Dreifache des von Prati dafür gezahlten Preises werth gewesen. Dieser hatte Frau Onslow mitgetheilt, als sie sich bei Ankunft der prächtigen Tische, Schränke und Stühle etwas beunruhigt gezeigt, er habe einen Gelegenheitskauf machen können, bei einem ruinirten Möbelhändler. Frau Onslow war darüber höchlich erfreut und machte dabei die philosophische Bemerkung, daß des Einen Unglück oftmals des Anderen Glück sei. Als es schließlich an die Ausschmückung der Wohnung kam, leisteten die hübschen Hochzeitsgeschenke: alte Vasen, Pariser Uhren, japanische und chinesische Kabinette, französische Lampen und silberne Leuchter und Pokale aus Kanton – vortreffliche Dienste, und Frau Onslow und Prati konnten sich rühmen, gute Arbeit gethan zu haben, als sie am Tage vor Büchner’s Rückkehr den letzten Rundgang durch die niedliche Wohnung machten und Alles daselbst in schönster Ordnung fanden.




5.

Die „Costarica“ aus Nagasaki langte rechtzeitig im Hafen von Shanghai an. Prati hatte sich an Bord begeben, um Büchners abzuholen, während Frau Onslow die Heimkehrenden in der neuen Wohnung erwarten wollte. Die Freude des Wiedersehens war jedoch nicht groß. Büchner schien wenig verändert, aber er hatte eben vor seiner Hochzeit schlecht genug ausgesehen, und seine Freunde hatten erwartet, er werde während der Reise sein altes gutes, offenes Gesicht wieder bekommen, das überall, wo es sich gezeigt, Wohlwollen und Vertrauen erweckt hatte. – Nein. Das alte Gesicht war nicht wiedergekommen. Büchner drückte Prati herzlich die Hand, als dieser ihn bewillkommte, aber seine Züge blieben ernst und starr, und sein ganzes Aussehen war das eines Mannes, der eine schwere Krankheit überstanden und sich noch lange nicht von derselben erholt hat. Noch trauriger fühlten sich Büchner’s Freunde durch Edith’s Anblick berührt. Aus dem heiteren frischen Mädchen mit den lachenden Augen und dem lachenden Munde war eine stille Frau geworden, der die Thränen in die Augen traten, als Frau Onslow sie umarmte und sie „meine liebe Tochter“ nannte.

Prati und Frau Onslow sahen sich betroffen an, und die Freude, die sie sich davon versprochen hatten, den Neuvermählten die Einrichtung der Wohnung in allen Einzelheiten zu zeigen, war ihnen gründlich verdorben.

„Was mag vorgegangen sein?“ fragte Prati Frau Onslow.

Die gute Dame zuckte die Achseln; sie stand vor einem Räthsel: zwei junge Leute, die sich aus reiner Liebe geheirathet hatten und die einen kurzen Monat nach der Hochzeit so gemessen und ernst dreinschauten, wie Georg und Edith! – Es war unerklärlich. Sie beschloß, Edith in die Beichte zu nehmen, und that dies auch schon am nächsten Tage, als die junge Frau ihrer alten Freundin einen Besuch abstattete. Aber das diplomatische Verhör brachte keine vollkommene Aufklärung.

„Nun, mein Kind, wie war es in Nagasaki?“

„Es ist das lieblichste Land der Erde. die schöne Bai, die freundliche, helle Stadt, die herrliche Umgegend, die artigen Leute! Ich hätte immer dort bleiben mögen.“

„Und wie hat es Georg gefallen?“

„Ausgezeichnet.“

„Ich finde, er sieht noch immer etwas niedergeschlagen aus.“

„Ach ja, leider …“

„Er war doch freundlich gegen Dich?“

„Freundlich? – Ein Engel ist er an Herzensgüte; der beste Mann der Welt!“

„Es freut mich und beruhigt mich, Dich so sprechen zu hören; denn offen gesagt, ich finde, daß auch Du nicht ganz wohl aussiehst.“

Darauf antwortete Edith nicht.

„Fehlt Dir etwas, mein Kind?“

Nein, mir fehlt gar nichts … nur … nur … es macht mich natürlich traurig, Georg noch immer so still und ernst zu sehen. Aber nicht wahr? Das muß sich doch mit der Zeit ändern, und er wird wieder der Alte werden?“

„Natürlich,“ beruhigte Frau Onslow. „… Also sicher, meine liebe Edith, Du verheimlichst mir nichts? Er ist gut gegen Dich? Du bist glücklich?“

„Er ist der beste Mann der Welt.“

Das war soweit ganz befriedigend – aber Frau Onslow hatte doch das Gefühl, daß ihr irgend etwas verschwiegen wurde. Sie tröstete sich damit, daß dies ihrem Scharfsinn nicht lange verborgen bleiben könnte.

Bald nach seiner Rückkehr in Shanghai hatte Büchner sich um die gut bezahlte Stelle eines ersten Buchhalters in dem Hause des Herrn Francis Morrisson beworben und diese bekommen.

Er war infolge dessen täglich von Morgens neun bis Nachmittags fünf Uhr von seiner jungen Frau getrennt, denn er nahm sein zweites Frühstück in einem kleinen Zimmer ein, das ihm sein

neuer Prinzipal in dem geräumigen Geschästshause zur Verfügung gestellt hatte. Seine Kollegen frühstückten gemeinschaftlich in der

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 487. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_487.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2023)