Seite:Die Gartenlaube (1887) 491.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Prati und Frau Onslow unterhielten sich fast täglich über Büchner’s Schicksal, und es wurden bei der Gelegenheit oftmals entfernte Gegenstände berührt. Auf manche dieser Themata kamen die Beiden gelegentlich zurück, und so sprachen sie auch noch verschiedene Male von den beiden Helden der Prati’schen Erzählung, Anselm und Joseph. Aber Prati hatte seine Freundin nicht überzeugen können, daß die Entdeckung des Diebes nichts an Büchner’s Gemüthszustand ändern würde. Diese blieb bei ihrer entgegengesetzten Meinung, und Prati gab es schließlich auf, sie zu der seinigen zu bekehren.

„Wir wollen nicht mehr darüber sprechen,“ sagte er; „ich sehe, wir können uns doch nicht verständigen.“

„Ich möchte nur, daß wir den Dieb hätten,“ bemerkte dazu Frau Onslow; „dann wollte ich Ihnen thatsächlich beweisen, daß ich Recht habe.“

Darauf antwortete Prati nicht und kam auch später nicht wieder auf die Sache zurück.




6.

Die nächsten Monate verliefen für Büchner und Edith ohne bemerkenswerthe Ereignisse. Erst nach Verlauf längerer Zeit, fast eines Jahres, konnten Prati und Frau Onslow sich Rechenschaft davon ablegen, daß die Lage ihrer Freunde langsam, aber stätig, eine immer schlechtere geworden war.

Es ließ sich nicht mehr verbergen, daß Büchner trank. Zwar hatte ihn noch keiner seiner Bekannten trunken gesehen, aber an seinem ganzen Aussehen und Wesen erkannten die zahlreichen Sachverständigen der Kolonie, daß Büchner Gewohnheitstrinker der schlimmsten Art, einsamer Trinker sei. Seine geistigen Fähigkeiten nahmen ab, seine Arbeitskraft verringerte sich. Zu verschiedenen Malen schon hatte er als Buchhalter Irrthümer begangen, die Herrn Morrisson zwar keinen wirklichen Schaden zugefügt, wohl aber ihn in seinem kaufmännischen Stolze verletzt hatten.

„In meinen Büchern dürfen keine Fehler gefunden werden,“ hatte er eines Tages verdrießlich bemerkt. „Es ist früher niemals vorgekommen und es darf auch in Zukunft nicht wieder geschehen. Sie müssen sich mehr in Acht nehmen, Herr Büchner.“

Büchner hatte sich so sehr wie möglich in Acht genommen – aber ohne Erfolg. Die Fehler häuften sich mehr und mehr – und eines Tages, angesichts eines neuen von ihm begangenen Irrthums, stand er zunächst eine Weile rathlos da und dann trat er in Herrn Morrisson’s Arbeitszimmer und erklärte diesem, er sei krank, fühle sich unfähig, den berechtigten Ansprüchen, die man an ihn stelle, zu genügen, und bitte deßhalb um seine Entlassung.

Büchner war nicht mehr beliebt in Shanghai. Herr Morrisson, der seine Angestellten gut bezahlte, aber dafür tüchtige Arbeit verlangte, war froh, einen unzuverlässigen Buchhalter los zu werden, und begnügte sich damit zu sagen, er hoffe, Herr Büchner werde bald wieder hergestellt sein. Dann würde sich auch vielleicht wieder ein Platz für ihn im Hause finden. Einstweilen stehe ihm frei, dasselbe sofort zu verlassen, um sich zu pflegen. Selbstverständlich werde ihm sein Gehalt noch für die nächsten drei Monate ausgezahlt werden.

Am Abend dieses Tages wartete Edith schon lange Zeit vergeblich auf ihren Mann, der zwischen fünf und halb sechs Uhr nach Hause zu kommen pflegte. Es war sieben Uhr geworden, und noch immer hatte er sich nicht blicken lassen. Man befand sich im Monat November. Die Nacht war längst eingebrochen und das Wetter stürmisch. Es regnete und der Himmel war mit finsterem, niedrigem Gewölk dicht bedeckt. Frau Edith wurde unruhig. Sie sandte einen Diener zu Herrn Morrisson und ließ sich erkundigen, ob ihr Mann bald heimkehren werde. Ihr ahnte sofort Schlimmes, als nach Verlauf einer kleinen Stunde Herr Morrisson selbst, den sie seit ihrer Verheirathung nicht wieder gesehen hatte, sich bei ihr anmelden ließ.

(Fortsetzung folgt.)




Spiritisten und Taschenspieler.

Es ist nicht immer so leicht, wie man glaubt, von einer Sache festzustellen: sie ist, oder: sie ist nicht. Wer nur einen Blick in die spiritistische Litteratur wirft, vor Allem in die von gebildeten, ja gelehrten Männern redigirte Zeitschrift „Sphinx“, der muß zu seinem Erstaunen erfahren, daß überall in Deutschland Geister klopfen, schreiben und sichtbar erscheinen, daß es eine höchst gewöhnliche Thatsache ist, an einem Ort gesehen zu werden, während man sich gleichzeitig an einem ganz andern befindet, ja daß auch die Kunst, das menschliche Leben um Jahrhunderte zu verlängern, erlernt werden kann wie jede andere, und daß es in Indien Leute giebt, die es zu bemerkenswerther Dauerhaftigkeit dadurch gebracht haben. Unwillkürlich greift der Laie an seinen Kopf und fragt sich, ob er wache oder träume; aber da steht es gedruckt, der Gegenbeweis ist nicht zu führen, und der gewöhnliche Mensch, der niemals den „kalten Hauch“ oder das „Streicheln der unsichtbaren Hände“ gefühlt, möchte doch gar zu gern dasselbe erleben wie die glaubhaften Leute, die davon erzählen. Aber dazu giebt es für gewöhnlich wenig Aussicht; nur durch die stets reisenden berühmten Medien Eglinton, Slade[WS 1] u. A. ist es möglich, in direkte Berührung mit der Geisterwelt zu kommen; freilich stört dabei einigermaßen der Gedanke, daß jeder dieser Herren schon einmal irgendwo entlarvt wurde, und man sagt sich unwillkürlich: Wenn die ganze Geschichte doch nur ein großer Schwindel wäre! Der Preis von 40 Mark pro Person und Sitzung giebt zu denken, nicht minder der Umstand, daß die Geister so sehr den Aufenthalt im Dunklen, unter dem Tisch und hinter Vorhängen lieben, dagegen nur ungern in Person erscheinen, obwohl sie das können, wie uns die Spiritisten ausdrücklich versichern und ja auch die altehrwürdige Ammen- und Gespensterlitteratur hinlänglich bezeugt.

Im Zweifelfall fragt der Laie einen Sachverständigen, und da es noch keinen Lehrstuhl für Geisterkunde giebt, so wandte ich mich beim diesjährigen Herannahen Eglinton’s nach München an einen sicheren Experten für Alles, was ins Gebiet der „angenehmen Täuschung“ gehört, an Herrn G., einen als durchaus ehrenhaft bekannten Mann, der früher selbst als geschickter Taschenspieler weite Reisen gemacht, dann das leider seitdem eingegangene Münchener Aquarium begründete, dort große elektrische Zauberproduktionen gab und somit als ein mit allen einschlagenden Verhältnissen wohlvertrauter Mann gelten darf.

Herr G. nahm mich sehr zuvorkommend auf und erwiederte auf meine Frage lächelnd: „Ja, diese Herren haben es sehr gut; sie experimentiren vor einem gläubigen Publikum, während wir armen Taschenspieler heute schon mit dem Skepticismus der lieben Schuljugend rechnen müssen, die, wenn sie nur mit der Nase über den Tisch sieht, bereits schreit: ‚Das ist ja der reine Schwindel!‘“

„Also glauben Sie, daß die berühmten ‚Tafelschriften‘ wirklich von dem Medium selbst hergestellt werden?“

„Nicht anders, und ich gestehe Ihnen, daß ich diesen Sachen weniger Interesse entgegenbringe als dem geringsten neuen Taschenspielkunststück, weil sie mir, gerade heraus gesagt, zu einfältig sind und ich immer nur die Menschen anstaune, die sich für ihr schweres Geld solche Dinge vormachen lassen. Sie glauben nicht, wie leicht es ist, ein im Voraus gläubiges, sonst ganz gebildetes Publikum zu täuschen. Ich habe in dieser Beziehung Dinge erlebt, die über jede Vorstellung hinausgehen.“

„Haben Sie denn jemals einer spiritistischen Sitzung beigewohnt?“

„Ja wohl, in Petersburg, als Slade dort war. Ich zahlte meine zwanzig Rubel und wurde, als der große Meister erschien, von ihm nach kurzer Prüfung als ein vorzüglich geeignetes Individuum befunden, eben so mein Begleiter. Wir nahmen im schwach beleuchteten Zimmer an einem nicht von uns gewählten Tische Platz und Slade ergriff unsere Hände. Da er aber an meinen scharf beobachtenden Blicken sofort die Gefahr merkte, ließ er den Andern los und faßte mich an beiden Händen, indem er mich, scheinbar in Konvulsionen sich hin- und herbewegend (die bekannte „Trance“[1] der Spiritisten), über den Tisch mit Gewalt an

  1. Entzückung, Entrückung.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. William Eglinton (1857–1933); Henry Slade (1836–1905)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_491.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2023)