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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


6.

Das Mittagsessen war heute in ungewohnter Einsilbigkeit verlaufen; der Graf saß, gegen seine sonstige Art, stumm und theilnahmlos da; auch die Gräfin wechselte nur kurze Reden mit Doktor Reiter, und Gabrielens helle Stimme war kaum zu vernehmen. So blieb nur Hans als Träger der Unterhaltung übrig; er fand aber durchaus nicht so viel Aufmerksamkeit, wie die verschiedenen Reiseabenteuer, das Unglück am Bach und die Geschichte von der Blindschleiche, die beinahe eine Kreuzotter war, beanspruchen konnten. So schwieg endlich auch er und Jeder war froh, als das Zeichen zum Aufstehen gegeben wurde. Gabriele warf dem Geliebten noch einen warm flehenden Blick zu, ergriff dann den Arm der Mama und schlüpfte an ihrer Seite aus dem Zimmer.

Der Graf stieg die Treppe hinab und begab sich in den Stall, um nach den Pferden zu sehen, die ziemlich erhitzt heimgekommen waren. Dort suchte ihn Richard einige Minuten später auf. Er hatte sich während des ganzen Essens Vorwürfe darüber gemacht, daß er über seine eigenen Herzensangelegenheiten die Warnung des Freundes fast vergessen hatte. Nun wollte er keinen Augenblick mehr damit zögern, das sorgenvolle Gesicht des sonst so heitern und mittheilsamen Herrn war ihm peinlich aufgefallen; er dachte mit einer Art von Angst an den Besucher von gestern Abend und fragte sich, ob wohl etwas Entscheidendes geschehen sei? In jedem Fall mußte er sofort reden, – ob er die Widerwärtigkeiten des Grafen heute schon durch seine Kündigung vermehren dürfe, darüber war er vorerst unschlüssig. So bald als möglich mußte es freilich geschehen.

Er fand den Grafen neben Ali stehend, den der Reitknecht, seiner Anweisung folgend, sorgsam abrieb.

„Ist es nicht ein wunderbares Thier, Doktor?“ rief er diesem entgegen, während er den schnobernden Kopf des Pferdes freundlich klopfte und streichelte. „Ich wette, Sie haben noch auf keinem seines Gleichen gesessen.“

Das bestätigte der junge Mann bereitwillig und fügte dann hinzu: „Gestatten Sie vielleicht, Herr Graf, daß ich Ihnen jetzt die Mittheilung mache, welche ich schon gestern –“

„Ach ja,“ unterbrach ihn Graf Erich, „Sie wollten mich ja in einer wichtigen Angelegenheit sprechen – ich hatte es wahrhaftig wieder vergessen – nun, sprechen Sie!“

„Es ist eine konfidentielle Mittheilung, Herr Graf,“ sagte Richard mit einem Blicke auf die in der Nähe hantirenden Kutscher und Stallknechte.

„Sie sagen das in einem so feierlichen Ton, lieber Doktor, da bin ich wirklich begierig.“

Damit nahm er den jungen Mann unter den Arm und ging mit ihm hin über den Hof nach dem Parke.

„Nun reden Sie!“

„Herr Graf,“ begann Richard, „es ist mir gestern eine Notiz zugegangen in Beziehung auf einen Geschäftsagenten, einen gewissen Treiber, der in vielfachen Beziehungen zur hiesigen Handelswelt steht.“

„Ganz recht,“ warf der Graf ein, „dieser Treiber besorgt auch für mich zuweilen kleine Geschäfte.“

„Nun, eben vor diesem Treiber,“ fuhr der Doktor fort – „bin ich gebeten worden, Sie zu warnen.“

„Zu warnen? Und warum? Er nimmt in Geldgeschäften etwas hohe Procente – das ist mir bekannt.“

„Es ist nicht das, Herr Graf, was denjenigen bedenklich macht, von dem die Warnung ausgeht. Er glaubt vielmehr gute Gründe zu der Annahme zu haben, daß dieser Treiber es nicht gut mit Ihnen vorhabe, daß er Ihnen irgendwie zu schaden, Sie in eine Falle zu locken beabsichtige.“

Der Graf blieb betroffen stehen. „Wer ist Ihr Gewährsmann?“

„Das darf ich nicht sagen,“ erwiederte Richard, „aber nehmen Sie mein Wort, daß er gut unterrichtet ist und es gut mit Ihnen meint. Auch versichere ich Sie, daß es starke Verdachtsgründe sind, die ihn bewogen, mich zu dieser Mittheilung an Sie aufzufordern.“

„In der That,“ murmelte Graf Erich in plötzlicher Aufregung, „es ist seltsam, sehr seltsam – es könnte wohl sein – – Doktor,“ sagte er hastig, die Hand Richard’s ergreifend, „Sie sind ein Ehrenmann, und ich gebe Ihnen einen Beweis meines Vertrauens, indem ich Ihnen gestehe, daß ich allerdings diesem Manne – gestern – in einer momentanen Verlegenheit – in der Uebereilung – auf sein unausgesetztes Drängen - ein Papier – ein Dokument übergeben habe, das – das ich ihm nicht hätte geben sollen! Nach dem, was Sie wir sagen, muß ich befürchten, daß Ihr Gewährsmann vielleicht Recht, daß der Mann unredliche Absichten mir gegenüber hat. Und wenn dem wirklich so wäre, könnte ein großes Unglück daraus entstehen!“

„Darf ich mir die Frage erlauben –“

„Ach lieber Doktor,“ unterbrach Graf Erich den jungen Mann, und seine sonst so überlegene Miene wurde peinlich unsicher, „die Sache ist sehr komplicirt, schwer zu erklären. Genug, es war unvorsichtig, sehr unvorsichtig von mir, dem Manne den Wechsel auszustellen. Ich wollte, ich hätte es nicht gethan oder ich könnte ihm sein Geld zurückgeben!“

„Aber ließe sich denn das nicht bewerkstelligen? Das Geld haben Sie noch?“

„Die Summe, die er mir gab, ja; durch einen glücklichen Zufall liegt das Geld noch da und der Mehrbetrag des Wechseis ließe sich vielleicht beschaffen – müßte sich beschaffen lassen, bevor –“ Er stockte in peinlichster Verlegenheit.

„Nun, Herr Graf, wenn Sie das Papier wirklich zurück haben wollen, eile ich zu dem Agenten und bringe ihm vorläufig sein Geld zurück. Mit dem Weiteren muß er sich noch gedulden. Ich bringe die Sache in Ordnung, verlassen Sie sich darauf, Herr Graf! Noch im Laufe des Nachmittags bringe ich Ihnen Nachricht.“

„Lieber Doktor, ich danke Ihnen tausendmal! Sie leisten mir einen großen, großen, unbezahlbaren Dienst! Und nun kommen Sie, daß ich Ihnen das Geld übergebe. Ich habe keine Ruhe, bis ich es wieder los bin!“

Die beiden Männer eilten die Treppe hinauf. Im Kabinet des Grafen empfing Richard Reiter die noch unberührte Summe von sechzigtausend Thalern und machte sich sofort auf den Weg zum Agenten, während der Graf in peinlicher Sorge zurückblieb, nach einiger Zeit sich aber doch zu seinem gewohnten Ausritt entschloß, um sich, wie er wähnte, all’ die abscheulichen Gedanken aus dem Kopfe zu schlagen.

*  *  *

Die Nachrichten, welche Richard Reiter an demselben Abend dem von seinem Spazierritt heimgekehrten Grafen überbrachte, waren nicht sehr beruhigender Natur. Er hatte den Agenten nicht getroffen, sondern nur dessen Frau, welche ihm sagte, ihr Mann sei gestern Abend verreist, auf mehrere Monate voraussichtlich, da er überhaupt sein hiesiges Geschäft aufgeben und ein Bankgeschäft in Berlin etabliren wolle. Auf die Frage nach dem Wechsel hatte sie sich erst unwissend gestellt, dann aber, als sie hörte, daß derselbe sofort eingelöst werden sollte, war sie in Klagen darüber ausgebrochen, daß ihr Mann den Wechsel schon an den Konsul Felsing, wahrscheinlich viel zu billig, verkauft habe. Daraufhin war der Doktor sofort zu seinem Freund Emil Felsing geeilt, hatte diesen von der Situation in Kenntniß gesetzt und gebeten, mit seinem Vater Rücksprache zu nehmen und denselben zur Herausgabe des Wechsels zu veranlassen. Er war glücklich, auf diese Art Emil als offenkundigen Verbündeten scheinbar neu gewinnen zu können, und Graf Hochberg billigte den Schritt vollkommen. Aber leider hatte Emil seinen Vater hierzu nicht zu bewegen vermocht, derselbe hatte jedoch sein Ehrenwort gegeben, nichts mit dem versiegelten Papiere zu unternehmen, bis er mit Graf Erich gesprochen habe. Auch hatte er sich bereit erklärt, zum Zwecke einer Besprechung über die Ordnung der Vermögensverhältnisse des Grafen diesen noch im Laufe des folgenden Tages zu besuchen.

Dies Alles berichtete der junge Mann dem Grafen, der schon seit einer Stunde unruhig auf seine Ankunft gewartet hatte. Es war auf den ersten Blick nicht viel Tröstliches, und doch schöpfte die sanguinische Natur des Grafen nach kurzem Besinnen wieder Hoffnung aus dem Versprechen Felsing’s; seine Stirn wurde allgemach heiterer, und er sagte endlich in herzlichem Ton:

„Ich danke Ihnen, mein lieber junger Freund, Sie haben mir einen großen Dienst erwiesen, ich werde ihn nicht vergessen und hoffe, daß der Tag kommen wird, wo ich ihn vergelten kann. Es ist mir eine stäte Genugthuung, Sie in unserem Hause zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 498. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_498.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)