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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Hause, für eigene Rechnung Geschäfte mache. Er stellt nur die Bedingung, daß ich mich seines Hauses als Agenten bediene. Das paßt mir ganz und gar. Aber ich brauche Jemand zur Buchführung und Korrespondenz. Ich möchte mich auch mit einem zuverlässigen Tea-taster (Einkäufer von Thee) in Verbindung setzen. Früher verstanden Sie sich, wie ich mich sehr wohl erinnere, vortrefflich auf diesen Artikel, und wenn Sie Ihre Zunge schonen, wenig rauchen und keinerlei scharfe Sachen trinken wollen, so werden Sie bald in der Lage sein, allen Ansprüchen zu genügen, die ich an Sie für das Theegeschäft stellen würde. Ich habe mich schon lange nach einem Partner umgesehen, und da Sie jetzt frei sind, so frage ich, ob Sie Ihr Glück mit mir versuchen wollen. Wir sind Beide vorsichtige und sachverständige Leute, und ich kann mir nicht denken, daß Sie als mein Socius nicht ebenso viel verdienen sollten wie als Morrisson’s Buchhalter.“

Büchner erbat sich Bedenkzeit. Er wollte mit seiner Frau sprechen. Diese besaß für Geschäftsfragen wenig Verständniß und zog nur in Erwägung, daß, wenn Georg sein eigener Herr würde, er nicht wieder Vorwürfe wie die ihm einmal von Francis Morrisson gemachten zu fürchten habe. Das war eine beruhigende Aussicht. „Ich würde Prati’s Vorschlag annehmen,“ sagte sie – und damit war die Sache abgemacht.

Ein Zimmer in der Büchner’schen Villa wurde als Komptoir eingerichtet; dort verbrachte Büchner fortan den größten Theil seines Tages in ruhiger, wenig anstrengender Beschäftigung, der er vollständig gewachsen war und der er sich mit Interesse für die Sache hingab. Die Einkäufe und Verkäufe sowie die Verschiffung von Thee und Seide besorgte Prati durch Vermittelung von Rawlston & Co. Büchner hatte nur mit der Korrespondenz und Buchführung und mit dem „Kosten“ und der Abschätzung der zu versendenden Thees zu thun. Das Theegeschäft gewann schnell an Umfang und gab Büchner viel zu schaffen.

Eines Tages, während Büchner im Komptoir beschäftigt war, stattete Prati Frau Edith einen kurzen Besuch ab, um sich mit ihr, wie dies bei solchen Gelegenheiten fast immer der Fall war, über Büchner’s Gesundheitszustand zu unterhalten.

„Ich kann Ihnen niemals genug danken, Herr Prati,“ sagte Edith. „Sie haben ihn gerettet. Ein Bruder hätte nicht mehr für ihn thun können. Sie sind sein guter Engel. Sein Gesundheitszustand wird täglich besser, und seine Entmuthigung, die eine vollständige geworden war, beginnt zu schwinden. Gestern machte er Zukunftspläne! Ich dankte Gott im Herzen dafür und ich danke Ihnen, lieber Freund. Wissen Sie, daß er das Rauchen ganz aufgegeben hat, und … und –“ sie stockte etwas – „und das Andere auch. Wenn das nur dauern wollte! Ach, wenn ich meinen alten Georg wieder wie früher vor mir sehen könnte!“

Büchner’s Gesundheit verbesserte sich in der That augenscheinlich – aber doch nur langsam. Auch war er noch immer außerordentlich schweigsam und nachdenklich, und seine Menschenscheu hatte seit seiner Besserung womöglich noch zugenommen. Namentlich schien er vor Morrisson und Frau Onslow Furcht zu haben und vermied es ängstlich, mit ihnen zusammenzutreffen.

Prati, der ohne Büchner’s Wissen über dessen Zustand mit einem Arzte gesprochen hatte und mit diesem in regelmäßiger Verbindung geblieben war, erhielt von ihm gegen Ende des Frühjahrs den Rath, Büchner zum Sommer eine längere Reise machen zu lassen. Es würde seinem Gemüthe wohlthun, sagte der Doktor, andere Menschen und ein hübscheres Land als Shanghai zu sehen. Nagasaki sei zu heiß im Sommer; er solle nach Yokohama oder Hakodate gehen; man könnte dort schon irgend Jemand zu seiner Ueberwachung finden. Doktor Jenkins in Yokohama zum Beispiel würde eine geeignete Persönlichkeit dazu sein. Wenn Prati es wünsche, so wolle er, der Doktor, seinem Kollegen schreiben und ihm alle nöthigen Anleitungen bezüglich Büchner’s Behandlung geben.

„Wäre es gut, wenn seine Frau mit ihm ginge?“ fragte Prati.

„Besser nicht,“ meinte der Doktor. „Sie würde ihn zu sehr verhätscheln und er mit Niemand verkehren wollen als mit ihr. Er muß wieder mit fremden Menschen umzugehen lernen, und dazu ist es am besten, daß er allein in Yokohama ankommt.“

„Aber fürchten Sie nicht, daß er von neuem anfängt zu trinken, wenn er sich nicht mehr so streng beobachtet fühlt wie hier?“

„Es ist möglich, aber ich fürchte es nicht. In dem Falle würde übrigens mein Kollege einschreiten und mit einem Bericht nach Shanghai drohen. Büchner hat den Entschluß gefaßt, sich zu bessern, und die Energie, mit der er ihn nun seit sechs Monaten durchführt, läßt mich hoffen, seine Heilung sei bereits soweit vorgeschritten, daß wir ihn sich selbst überlassen können. Sie behaupten, er trinke jetzt nur noch Thee und Rothwein und Wasser. Sagen Sie ihm, er müsse dabei beharren, und …“ fügte der Doktor lächelnd hinzu – „lassen Sie sich wöchentlich einen Theebericht von ihm geben und verlangen Sie von ihm die Einsendung von Mustern mit Gutachten. Sendet er keine Berichte oder erfahren wir, daß er wieder angefangen hat zu trinken, nun, so lassen wir ihn schleunigst zurückkommen. Aber wir müssen einmal den Versuch machen, ob man ihn sich selbst überlassen kann, und nach meinem Gefühl ist der richtige Zeitpunkt dazu gekommen.“

Es kostete nicht geringe Mühe, Frau Edith zu bewegen, sich auf mehrere Monate von ihrem Mann zu trennen. Schließlich siegte jedoch die vereinigte Onslow’sche und Prati’sche Beredtsamkeit. Kein Opfer war der kleinen Frau zu groß, wenn es dem Wohle ihres Mannes gebracht werden sollte, und nachdem sie einmal überzeugt worden war, es sei zur vollständigen Wiederherstellung Büchner’s nothwendig, daß er Shanghai eine Zeit lang allein verlasse, wurde sie Prati’s Verbündete, um dahin zu wirken, daß Büchner im Monat Mai nach Japan gehe. Den Vorwand zur Reise gaben kaufmännische Unternehmungen, die Büchner in Yokohama gründlich studiren sollte, und von deren Ausführung Prati sich, wie er seinem Socius mit ernstem Gesicht versicherte, großartige Erfolge versprach.

„Lassen Sie nur Niemand merken, was Sie vorhaben,“ sagte er geheimnißvoll. „Sagen Sie, Sie kämen als Leidender, um Ihre Gesundheit herzustellen. Geben Sie sich viel mit Doktor Jenkins ab, der übrigens ein liebenswürdiger Mensch sein soll. Ich werde Ihnen eine Einführung bei ihm verschaffen; unter der Hand ziehen Sie dann genaue Erkundigungen über die Seidenkultur im Innern ein und studiren Sie den Theemarkt. Rawlston & Co. – dies ganz vertraulich – machen in San Francisko und in New-York ein großartiges Geschäft mit Japan-Thees. Schreiben Sie mir regelmäßig und ausführlich, ich werde Ihnen von hier aus weitere Anweisungen geben, je nachdem Sie mir die Lage des Marktes darstellen.“

Büchner nickte bedeutungsvoll. „Ich habe wohl verstanden,“ sagte er, „verlassen Sie sich auf mich.“

„Wie auf mich selbst.“

„Das können Sie.“

„Büchner, noch ein Wort … nehmen Sie es mir nicht übel.“ Der lange Holländer sah seinen Freund fragend und ängstlich an. „Sie müssen da drüben leben wie hier, in jeder Beziehung: nicht rauchen und …“

Er hielt inne. Büchner wurde roth und sah verlegen zu Boden.

„Ich darf mich auf Sie verlassen?“

Eine kurze Pause. Dann sagte Büchner mit leiser Stimme, aber entschlossen: „Mein Wort darauf!“

„Das ist recht,“ versetzte Prati und drückte herzhaft die ihm dargereichte Hand.

Und so kam der lange Holländer in geheimer Sendung nach Japan, im Mai 1862, vier Monate, ehe ich an Bord der „Aurora Belisle“ seine Bekanntschaft machte und ihm freie Ueberfahrt nach Shanghai anbot.




7.

Büchner hatte in Yokohama während der vier Monate, die er dort verweilte, ruhig gelebt, sicherlich hatte er nicht getrunken. Aber heiter und gesellig war er nicht geworden. Er hatte außer mit Doktor Jenkins mit keinem Europäer verkehrt. Der Grund seiner Zurückhaltung in dieser Beziehung war folgender: Jenkins hatte Büchner in den Klub einführen und ihn, da er mehrere

Monate in Japan zu bleiben beabsichtigte, als Mitglied vorschlagen wollen; aber einige der jungen Leute, die seine Geschichte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 503. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_503.jpg&oldid=- (Version vom 3.4.2023)