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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

als eine Stunde brauchte der Zug zu seiner vollen Entwickelung; drei Stunden währte es, bis er den Weg von seinem Ausgangspunkte nach dem Festplatz zurückgelegt hatte. Die Schützen zogen fast sämmtlich mit, ihre Fahnen voran, nach den Landestheilen geordnet. Dazwischen kamen die Vertreter der Behörden und die Ausschüsse, die zahlreichen Vereine der Stadt und die eigentlichen, Handel und Gewerbe der empfangenden Stadt darstellenden Festgruppen, von denen die „Jubiläums-Gruppe“ die glänzendste war. Musik, Reiter und Bannerträger eröffneten sie; dann folgten Ehrengäste, Bundesvorstand, städtische Behörden, Deputationen der früheren Feststädte, und der Jubiläumswagen. Dieser, von Professor Klimsch entworfen, bietet eine allegorische Darstellung der Feststadt Frankfurt. Ein phantastisches Fahrzeug, das sich nach vorne zu einem von einer goldenen Merkursstatue gekrönten Schiffsschnabel zuspitzt und rückwärts sich zu einem Baldachin erhebt, unter dem eine majestätische Frauengestalt, die Frankofurtia, mit dem Banner des Schützenbundes thront. In dem vorderen Theile altarartig ein Aufbau mit kostbarer Manteldecke, auf der die Krönungsinsignien und Reichskleinodien prangen, allegorische Frauen- und Knabengestalten im übrigen Raume. Das Ganze stolz emporgebaut, in prächtigen Farben und reicher Schnitzerei, Gold und Purpur und dazwischen das tiefe Grün des Pflanzenschmucks, sechs Prachtschimmel voran und neben dem Wagen Reichsherolde in reicher Festtracht. Von den übrigen Wagen seien noch jener der Gärtner – ein luftiger Bau, Grün und Blumen und dazwischen reizende Mädchengestalten in duftiger Gewandung; dann das zierliche Segelboot der Rudervereine, die allegorische Darstellung der Bienenzucht – im Bogen des reichdekorirten „Eschenheimer-Thurms“ die „Edelkönigin“ und an den Ecken vier junge Mädchen als „Arbeitsbienen“ und „Drohnen“ – sowie der Wagen vereinigter Innungen, endlich jene der Brauer, der Küfer und der Metzger hervorgehoben. Der letztere imponirte namentlich durch seine Begleituug, denn Meister und Gesellen hatten sich sämmtlich in „Uniform“ geworfen – rothe Mütze, die Meister weißes, die Gesellen rothweißes Hemd, die Meister das Messer am Gürtel, die Gesellen das Beil geschultert. Unter den Schützengruppen selbst boten die bayerischen Aelpler mit Lodenjacke und grünen Strümpfen und die Südtiroler in der malerischen Tracht der Umgebung von Bozen einen prächtigen Anblick.

Und nun marschiren wir mit dem Znge hinaus nach dem Festplatze im Norden der Stadt. Er ist selbst eine kleine Stadt, freilich eine Stadt, die am besten eine allegorische Darstellung des Durstes im Wappen führen sollte. Den Mittelpunkt des Platzes bildet ungefähr die Festhalle; dahinter liegt die Schießhalle, zur Rechten nach vorne zu der Gabentempel, zur Linken der „Juxplatz“ mit allerlei Buden, mit Rutschbahn und Flohcirkus, Geisterbannern und Riesendamen, Kasperltheater und „anatomischen Räthseln“. Was sich sonst noch aufgethan hat von Hütten und Hallen, von stolzen und zierlichen Bauten, ist Gambrinus und Bacchus gewidmet, und beide Götter können zufrieden sein mit dem Tribut, der ihnen gezollt wurde. Eigenartig war namentlich das Treiben in der „Oberbayerischen Gebirgsschenke“, einem schmucken Holzbau mit Butzenscheiben und allerlei, den Trunk verherrlichenden Fresken, in dem hübsche Originalbayerinnen die „Moaßkrüagln“ und „hoaßen Würstln“ umherreichten – so weit es überhaupt möglich war, etwas zu reichen. War doch diese Schenke schon vor Beginn des Festes, zur Zeit, da nur erst die Frankfurter „probten“, stets so überfüllt, daß nur der mit kräftigen Armen Begabte sich in dem Gewühle Bahn zu brechen vermochte, und dann wurden oft an einem einzigen Tage über 20 000 Liter Bier verzapft. Im Uebrigen war für jeden Geschmack gesorgt, alle trinkbaren Dinge der Welt waren vertreten, und auch die neueste Frankfurter Specialität, der Fromm’sche Heidelbeerwein, floß für Schütz und Nichtschütz in einem zierlichen Pavillon. Schreiten wir an diesem vorüber mit einer leichten Wendung nach links, so stehen wir vor der Festhalle, einem imposanten Holzbau, der 140 Meter lang und 37 Meter breit ist und an seinen Tischen 4000 Personen Raum zum Sitzen giebt, während auf dem Podium 700 Sänger und 100 Musiker Platz haben. Unzählige Fahnen und Flaggen in allen möglichen Landesfarben schmücken den Bau; sinnige Verse heißen den Nähertretenden willkommen, und was für ein Blick erschließt sich dem Auge, wenn wir uns nach dem Portal zu drängen und dann in den Riesenraum, der von einer milden, goldigen Helle erfüllt ist, hineinschauen! Diese hohen Strebebogen mit 36 Meter Spannweite sind bei einem ähnlichen Festhallenbau wohl kaum noch in Anwendung gekommen – der Eindruck, den man zunächst empfängt, ist denn auch ein gewaltiger. Und wie in diesem Riesenraume die Menschen verschwinden! Wie man, trotzdem sich Mann an Mann drängt, trotzdem alle Tische dicht besetzt und die Gänge kaum zu passiren sind, doch immer über die kleinen Alltagsverrichtungen, die da Essen und Trinken genannt werden, hinausgeführt wird! So paßt sich dieser Bau dem Charakter des Festes vorzüglich an, er erweckt unwillkürlich eine weihevolle Stimmung, und wenn man an den meisten Punkten von den Festreden auch nur wenig vernimmt – die da beim Bankett sitzen, brauchen nur ihre Augen in die Tiefe und Höhe dieses Raumes zu richten und mit der Erinnerung an den Zweck des Festes, an den die Transparentfenster und die Schützenbanner, das Tannengrün und der Scheibenschmuck überall mahnen, wird auch ihre Brust geschwellt und der Gedanke, der die Festredner beseelt, steht klar und leuchtend vor ihnen.

Das Bankett vereinte die Schützen unmittelbar nach Eintreffen des Festzuges. Oberbürgermeister Dr. Miquel begrüßte die Gäste mit herzlichen Worten. „Möge das Fest“ – sagte er unter Anderem – „das deutsche Nationalgefühl, die brüderliche Gesinnung aller Stämme noch mehr heben, beleben und befestigen, möge es zur Stärkung der Wehrhaftigkeit des deutschen Volkes beitragen und allen Theilnehmern zur vollen Befriedigung gereichen.“ Der Präsident des Deutschen Schützenbundes, Oberlandesgerichtspräsident Sterzing aus Gotha, antwortete; dann folgten weitere Tischreden, die sämmtlich mit Jubel aufgenommen wurden, eben so wie das herzliche Telegramm des Kaisers und jenes des um die Schützensache so viel verdienten Herzogs Ernst von Sachsen-Koburg. Später traf auch, eine Begrüßung der Schützen beantwortend, ein Telegramm des Kaisers von Oesterreich ein. Sofort nach Beendigung des Banketts wurde es dann in der Schießhalle – einem 260 Meter langen Bau – lebendig und bald gab es ein Knallen und Knattern und Dröhnen, das für den Eifer der Gäste genügend zeugte. Das Resultat war denn auch schon an diesem ersten Tage ein sehr erfreuliches, und unter den prämiirten Schützen befanden sich Männer aus allen Gauen. Die Vertheilung der Gaben selbst erfolgte von der Terrasse des Gabentempels aus, einem graziösen Holzbau mit zehn großen Fenstern, hinter welchen die Gaben zu hübschen Gruppen arrangirt waren. Das gab ein reizendes Bild, bei dem namentlich den Damen das Herz im Leibe lachte – so viel funkelndes Silber und Gold findet man ja selten beisammen. Becher und Uhren, Kaffee- und Theeservices, Figurengruppen, Eßlöffel, Messer und Gabeln aus Silber und Anderes mehr. Und daneben eine Fülle anderer Gegenstände, die aus allen Theilen unseres Vaterlandes zusammengekommen waren: Teppiche, Waffen, Damastgedecke, Reisetaschen, Urnen, Albums, Cigarretten, Bilder, Möbelstücke und das Letzte, aber nicht das Schlechteste – funkelnde Goldstücke in hübschen Etuis. Einen prächtigen Preis – ein kunstvoll gearbeitetes Trinkhorn – hatte Kaiser Wilhelm gesandt; ein siebzig Centimeter hoher Pokal mit dem Frankfurter Adler und den Denkmünzen der neun Schützenfeste war die Ehrengabe des Magistrats und der Stadtverordneten der Feststadt. Diese selbst hatte zwei Preise gestiftet, einen Pokal und eine Prunkschüssel nebst Baarsummen im Gesammtwerth von je 2000 Mark.

So fehlte es auch an reichlichem Lohn, an schönen Siegeszeichen nicht, und der Eifer, mit dem man sich schon nach den Aufregungen des ersten Tages Becher erschoß, nahm in der Folge natürlich nur zu. Tag für Tag, von Morgen bis Abend, gab es ein unaufhörliches Knallen und Prasseln, Einzelschüsse und Salven, daß es sich oft wie ein Gefechtschießen anhörte. Und auf all die Arbeit folgten dann die schönen Abende beim schäumenden Krug, während der Festplatz in ein Meer von Licht getaucht war und allerorts Gesang und Musik ertönte. Kopf an Kopf drängten sich da die Besucher des Festplatzes, und die Damenwelt mit ihren hellen Sommerkleidern brachte Farbe und Glanz in das bewegte Bild. Und so ging es bis tief in die Nacht hinein, Tag für Tag, bis wieder geschieden sein mußte.

Es war ein herrliches Fest, das allen Theilnehmern lange in der Erinnerung bleiben wird. Mehr noch als das farbige Gewühle, die festlich geschmückte Stadt und die bunten Bilder des Zuges, das herzliche Zusammenfinden draußen auf dem Festplatz wie in den engeren Kreisen, in welche der Eine und der Andere gerathen war. Manches freundliche Band mag dabei geknüpft, mancher Gegensatz überwunden, manches Vorurtheil gebrochen worden sein. Die Sonne war ihm hold, diesem Feste, und ohne einen Mißklang verlief die ganze Woche – eine herrliche Woche nicht bloß für die Gäste, sondern auch für die Einheimischen, deren ganzes Sinnen und Trachten in diesen Tagen das Fest und der Festplatz war. „Frankofurtia“ fährt zwar der Sage nach mit Vorliebe vierspännig; aber sie setzt sich trotz dieser Eigenart gern unter ihre Gäste und plaudert und trinkt mit ihnen nach Herzens Lust. Sie ist eben unter der rheinischen Sonne herangewachsen, und die läßt die Trauben manchmal noch heller blinken als – das Gold.

Gabentempel



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