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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Von der totalen Sonnenfinsterniß.

Von M. Wilhelm Meyer.

Was ist eigentlich während der am nächsten 19. August zu erwartenden Sonnenfinsterniß so gar Sonderliches zu sehen, da man schon seit langer Zeit im Voraus so viel Aufhebens davon macht?

Diese Frage wird gewiß sehr vielen Lesern auf den Lippen schweben, welche schon, seit den Schuljahren, sich oft durch berußte Gläser solche Himmelserscheinungen angesehen haben. Sie sahen dabei, wie sich über die strahlende Scheibe der Sonne an einer bestimmten Stelle die Himmelsbläue der Umgebung mehr und mehr hinschob, als löse sich die Sonne hier in Luft auf. Man erfuhr bald und begriff es auch leicht, daß um diese Zeit der Mond theilweise vor die Sonne trat, dessen übrige Scheibe, soweit sie noch nicht vor der Sonne stand, deßhalb nicht erkennbar wurde, weil die allgemeine Helligkeit der Luft Alles mit blaustrahlendem Lichte überzog. Aus demselben Grunde sieht man ja auch die Sterne am Tage nicht.

Sonnenaufgang am 19. August vom Kyffhäuser bei Nordhausen aus gesehen.
(Totale Finsterniß.)

Der Mond trat bei diesen Sonnenfinsternissen allerdings niemals ganz und gar vor die Sonne. Es blieb immer eine mehr oder minder große Sichel vom Tagesgestirn strahlend am Himmel stehen. Die Finsterniß war eben nur eine „partielle“, und man mußte sich, wenn man kein ganz ungewöhnlich großes Interesse an Himmelsereignissen zu nehmen pflegte, eingestehen, daß eigentlich nichts sonderlich Merkwürdiges dabei zu sehen war.

Diesmal aber soll die Sonnenfinsterniß eine „totale“ werden. Wird dabei wesentlich mehr zu sehen sein?

Man erfährt, daß dabei die ganze Sonne vom Monde bedeckt wird, und könnte deßhalb, da man ja die Erscheinung selbst noch nicht gesehen hatte, verleitet sein zu glauben, daß eben dann die ganze Sonnenscheibe verschwunden zu sein scheine und ein blauer Himmel ohne Sonne zu uns herableuchte; denn selbst wenn bei partiellen Finsternissen nur noch eine sehr schmale Sichel herabschien, war dennoch der ganze Himmel blau und heiter geblieben, wie zuvor. Nichts hatte sich an dem allgemeinen landschaftlichen Bilde unserer Umgebung verändert.

Die Sonnensichel während des Sonnenaufgangs in Berlin.

Aber man wäre sehr im Irrthum, wollte man den Eindruck einer totalen Sonnenfinsterniß mit dem einer partiellen überhaupt in Vergleichung ziehen. Sobald die Totalität eintritt und die Erde an den betreffenden Stellen in den Mondschatten einhüllt, verwandeln sich ganz plötzlich Himmel und Erde wie von dem Zauberspruche eines bösen Dämons verdammt. Ein Schrecken überkommt Alles, was lebt; der Pulsschlag der Natur scheint zu stocken, und wie im grauen Alterthum, so stürzen auch heute die abergläubischen Völker verzweifelt auf die Kniee und bitten reumüthig um Abwendung des fürchterlichen Zornes, in welchem die Gottheit vom verdunkelten Himmel herab mit Vernichtung alles Lebens und Lichtes droht. Die Erzählungen, welche sich in Bezug auf diesen tiefen Eindruck totaler Sonnenfinsternisse, die dann gewöhnlich mit großen Ereignissen im Staatsleben in Verbindung gebracht wurden, bis auf uns überliefert haben, sind ja zum Theil Jedermann bekannt. Der Anblick des Phänomens muß deßhalb zu den mannigfaltigsten kulturhistorischen Reminiscenzen anregen.

Am Morgen des 19. August werden die Bewohner des nordöstlichen Deutschlands bis selbst nach Mitteldeutschland herab die äußerst seltene Gelegenheit haben, diese tiefgehende Wirkung des über ihnen vorbeiziehenden Mondschattens zu bewundern. Denn obgleich wohl totale Sonnenfinsternisse auf der Erde überhaupt beinahe alle Jahre stattzufinden pflegen, so bewegt sich doch der Mondschatten dabei nur sehr selten über Gebiete, die nicht allzuweit von einem bestimmt ins Auge gefaßten Orte entfernt liegen, und man kommt aus diesem Grunde sehr selten in die Lage, die wunderbaren und ganz unbeschreiblich eigenartigen Erscheinungen zu beobachten, welche eben nur unter dem Mondschatten selbst sichtbar werden; denn zu einer größeren Reise bloß zu dem Zwecke, eine totale Sonnenfinsterniß zu beobachten, werden sich doch wohl nur Astronomen entschließen.

Die Sonnensichel während des Sonnenaufgangs in Köln.

Durch Theile Deutschlands zog der Mondschatten zuletzt am 28. Juli 1851, wobei er auch nur unsere östlichsten Provinzen berührte, und das nächste Mal wird der letztere uns erst wieder am 11. August 1999 besuchen. Da es uns nun diesmal ganz besonders leicht gemacht wird, wäre es geradezu bei Jedermann als eine ganz unverantwortliche Gleichgültigkeit aufzufassen, wenn er die gute Gelegenheit, das eindrucksvollste aller Himmelsschauspiele zu bewundern, unbenutzt an sich vorübergehen lassen wollte. Man braucht dazu ja nur ein offenes Auge und ein empfängliches Herz mitzubringen.

Allerdings früh aufstehen muß man zu dem Zwecke. Der Mondschatten beginnt eben seine lange Reise, welche diesmal, nachdem er Deutschland verlassen hat, durch Rußland, Sibirien, China, Japan und einen großen Theil des Stillen Occans führt, bei uns. Der lange dunkle Kegel, welchen der Mond beständig hinter sich her durch das Universum schleppt, berührt die Erde

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 509. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_509.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2023)