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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Den Wechsel?“ sagte er. „Heute noch? Sie wissen, daß ich neunzigtausend Thaler für denselben bezahlte. Haben Sie diese Summe parat?“

„Nein, nicht ganz; wenigstens nicht gleich heute,“ erwiederte Graf Erich, „aber ich dachte, Sie würden mir den fehlenden Betrag vorstrecken, wenn Sie doch einmal die Freundlichkeit haben wollen, die ganze Angelegenheit in die Hand zu nehmen?“

„Ei, lieber Graf,“ sagte Felsing, „Sie sind etwas zu hastig, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten wollen. Ich will mir die Sache denn doch noch einmal überlegen. Ein Papier, für welches man neunzigtausend Thaler bezahlt hat, giebt man doch nicht so ohne Weiteres aus der Hand.“

Bei dem Grafen machte sich jetzt die lange verhaltene Aufregung Luft.

„Aber ich muß den Wechsel wieder haben!“ rief er mit erhobener Stimme, „Sie müssen mir ihn herausgeben – heute noch!“

„Muß? Müssen?“ erwiederte Felsing kalt. „Was soll das heißen? Warum diese Eile? Diese Heftigkeit?“

„Ich bitte Sie, Herr Konsul,“ keuchte Graf Erich. „Foltern Sie mich nicht länger! Meine Nerven sind aufs Aeußerste angespannt! Ich fühle, daß sie mehr nicht ertragen könnten! Verschonen Sie mich deßhalb mit weiteren Fragen und geben Sie den Wechsel heraus! Ich werde Ihnen den vollen Betrag und mehr, wenn es sein muß, heute noch zustellen. Den Wechsel aber muß ich haben, weil ich nicht eher wieder zur Ruhe komme, bis er vernichtet ist, weil – weil –“

„Weil er gefälscht ist!“ ergänzte mit kalter Ruhe Felsing.

„Herr!“

Der Graf machte eine Bewegung, als ob er auf Felsing losstürzen wollte.

,Nun?“ erwiederte gleichmüthig Felsing.

„Wiederholen Sie das Wort nicht! Ich kann, ich will es nicht hören!“

„Aber weßhalb nicht? Warum genirt Sie denn das Wort so sehr, da die Sache selbst Sie doch nicht genirte?“

„Herr – Herr Konsul,“ knirschte der Graf und seine Hände ballten sich krampfhaft – „hüten Sie sich – gehen Sie nicht zu weit – es hat Alles seine Grenzen – ich bitte Sie – treiben Sie mich nicht zum Aeußersten!“

„Sie sind sonderbar, lieber Graf,“ unterbrach ihn Felsing. „Sie erwarten von mir eine Gefälligkeit, eine nicht gerade kleine Gefälligkeit, wollen einen Wechsel, für welchen ich neunzigtausend Thaler bezahlte, ohne Weiteres heraushaben, und dabei schlagen Sie einen Ton gegen mich an, der zum Mindesten nicht sehr artig und verbindlich ist. Sie sind zu aufgeregt, lieber Graf, und ich rathe Ihnen, mich nicht allzu sehr zu reizen, es könnte sich sonst leicht ereignen, daß auch ich meine Ruhe verlöre und der Wechsel statt in Ihre Hände in die des Staatsanwalts überginge!“

Mit diesen Worten, welche Felsing, ohne eine Miene zu verziehen, ruhig, aber fest sprach, verließ er das Zimmer.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Ein achtzigjähriger deutscher Gelehrter. (Mit Portrait S. 501.) In Stuttgart feierte man am 30. Juni den achtzigsten Geburtstag eines deutschen Philosophen, der sich um die Lehre vom Schönen große Verdienste erworben. Friedrich Theodor Vischer, geboren am 30. Juni 1807, hat mit mehrfachen Unterbrechungen wegen seines politischen Wirkens, einmal auch in Folge zweijähriger Suspension vom Amte, ein akademisches Lehramt in Tübingen und Zürich bekleidet; seit 1866 war er gleichzeitig in Tübingen als Professor der Universität und in Stuttgart als Lehrer am polytechnischen Institut beschäftigt. Seit 1869 beschränkte er sein Wirken auf die letztere Anstalt.

Es giebt viele bochangesehene Gelehrte, um deren Leben und Wirken, um deren Jubelfeste sich zu kümmern ein Volksblatt keinen Anlaß hat. Und in der That, auch Vischer’s Hauptwerk, seine „Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen“ (3 Bände, 1847 bis 1858) geht in einem gelehrten Gewande einher, welches dasselbe für das große Publikum unzugänglich macht. Von einem eisernen Paragraphennetz umgittert, trägt es den schweren Harnisch einer philosophischen Weisheit, die sich keine Mühe giebt, sich dem Verständniß des großen Publikums einzuschmeicheln, aber Andere haben sich diese Mühe gegeben und es muß auch den Lesern unseres Blattes gesagt werden, daß sehr viel von dem, was sie in der Tagespresse lesen, und zwar in dem bessern Theil derselben, bei Besprechung von neuen Dichtungen, Theateraufführungen, von Werken der malerischen und plastischen Kunst, aus dem Quell jenes Vischer’schen Hauptwerkes geschöpft ist. Und wenn man einzelne Abtheilungen desselben, wie die Lehre vom Naturschönen und der Phantasie und vieles, was er über die einzelnen Künste sagt, aus dem Ganzen loslösen könnte, so würde auch einem großen Kreise von Laien ein Urtheil über das Anregende, Geistreiche, Tiefsinnige des hervorragenden Werkes ermöglicht werden.

Doch F. Th. Vischer hat in seinen „Kritischen Gängen“ sich auch einem größeren Publikum als ein Denker von frischer, freier, kampflustiger Haltung gezeigt, er hat in seinem „Faust, der Tragödie dritter Theil“ sowie in seinen wissenschaftlichen Fauststudien sowohl eine satirische Ader wie ein von blinder Vergötterung unabbängiges Urtheil bewährt. Ein kernhafter Humor beseelt seinen Roman „Auch Einer“; er hat die Mode gegeißelt in seiner Schrift „Mode und Cynismus“, kurz, er hat auch in vielen Schriften seinen Gelehrtentalar abgelegt und mit einer in hohen Lebensjahren seltenen unverwüstlichen Frische sich direkt an weitere Kreise gewendet.

Nicht allzugroß ist die Zahl der Achtzigjährigen unter den deutschen Dichtern und Gelehrten gewesen, wenn auch ein Goethe und Grillparzer, ein Raumer und Ranke sich unter ihnen befinden. Die Feier eines so verdienstlichen Wirkens ist vollkommen berechtigt. Auch Vischer hat an seinem Ehrentage viele Huldigungen empfangen. Das Festbankett am Vorabend fand im Koncertsaal der Liederhalle statt. Nach der ersten Ansprache an den Gefeierten hob der Stadtdirektor Oberregierungsrath von Hofer hervor, wie es schon lange der Gedanke und Wunsch Vieler gewesen sei, Friedrich Vischer zu seinem 80. Geburtstag ein Zeichen der Verehrung, die man für ihn hege, darzubringen. So habe sich eine Zahl von Männern der Wissenschaft und Kunst aus Württemberg und dem übrigen Deutschland, aus Oesterreich und der Schweiz vereinigt, um ihm, dem maßgebenden Führer auf dem Gebiete des Schönen zu huldigen, indem sie ihm als eine Stiftung für Haus und Familie seine von Künstlerhand gefertigte Büste überreichten. Bei diesen Worten wurde der Schleier von einem Marmorbilde Friedrich Vischer’s hinweggezogen, welches Professor Donndorf’s Meißel geschaffen hatte, einem vorzüglich getroffenen Bilde. In der Stiftungsurkunde heißt es unter Anderem: „Wie der schwäbische Stamm Sie mit Stolz den Seinigen nennt, so nimmt andererseits das ganze deutsche Volk Sie als einen seiner ausgewähltesten Geister, als einen seiner besten Patrioten für sich in Anspruch. Wir alle verehren in Ihnen den Mann, der nicht bloß die deutsche Wissenschaft auf dem von ihm erwählten Forschungsgebiete mit unvergänglichen Schätzen bereichert, sondern auch nach allen Seiten hin das Reich des Geistes ausgebreitet und die Sache der Wahrheit und Freiheit in Wort und Schrift verfochten hat.“ In seiner bescheidenen Dankrede schilderte Vischer seinen Lebenslauf, zum Theil in humoristischer Weise. Er erwähnte, daß er sich auch in der schaffenden Dichtung versucht babe. Denken und Dichten sei eine schwere Sache, Eines aber theile die Dichtung mit der Wissenschaft, soweit die Wege sonst aus einander gehen: das sei die Geistnatur, die geflügelte Geistnatur des Wortes. Und durch diese sei es ihm zu Theil geworden, daß Deutschland heute ihm seine Grüße sende. „Das Einzelne verschwimmt im Ganzen, das Ich verschwindet im Strom, der Rest ist Schweigen. Alles aber faßt sich in einem Worte zusammen: es heißt: Dank!“

Ein Echo dieser bedeutsamen Worte wird aus dem Reiche der Wissenschaft auch in weitere Kreise hinaustönen, wo man ein tüchtiges Wirken und eine tapfere Gesinnung zu schätzen weiß. †      

Deutsche Kunst- und Kunstgewerbe-Ausstellung in München 1888. Der nächste Sommer wird, wenn der Weltfrieden erhalten bleibt, die schöne Isarstadt zum Mittelpunkt des deutschen Reiseverkehrs machen. Kunst und Kunstgewerbe wollen, wie im Jahre 1876, aber in viel umfassenderer Weise, ihre Leistungen zeigen. Dazu wird als Glanz- und Höhepunkt des Ganzen die verschobene Säkularfeier Ludwig’s I. in Gestalt eines großartigen Künstlerfestes stattfinden, und schon jetzt beginnen die Vorbereitungen. Die Lokalfrage ist aufs Glücklichste gelöst: statt an den zu eng gewordenen Glaspalast, der die Kunstausstellung umschließt, unschöne und den botanischen Garten schädigende Annexe anzubauen hat sich der Kunstgewerbeverein einen neuen, herrlich und frei gelegenen Platz zwischen Mariannen- und Zweibrückenstraße an der Isar ausgesucht, wo in nächster Nähe der Maximiliansbrücke und der frisch strömenden Wasser, in Verbindung mit den waldigen Inseln eine Architekturanlage geschaffen werden soll, die mit Terrassen, Springbrunnen, Säulengängen und Ruheplätzen einen entzückenden Anblick und Aufentbalt gewähren wird. Verschiedene Pferdebahnlinien vermitteln den Verkehr mit der innern Stadt, und in kürzester Frist können die Besucher der Kunstausstellung vom Glaspalast hierher gelangen, um dann im Schatten, mit dem Blick auf Fluß und Gebirge, den Abend zu verbringen. Koncerte, Feuerwerke u. dergl. fehlen selbstverständlich nicht.

Der Glaspalast wird das gewohnte Bild seiner Kunstausstellungen zeigen; der Kunstgewerbeverein in seiner Märchenburg strebt Neues an. Nicht wie 1876 sollen der „Väter Werke“ in Kästen geordnet zur Schau stehen, sondern aus dem Banne der Vergangenheit heraus in volle, lebendige Wirkung treten. Romanische Zimmer mit ausschließlich echtem Geräth und Schmuck werden den Eintretenden empfangen; ihnen schließen sich die gothischen an, die Räume der Renaissance und Zopfzeit etc., bis ihn endlich die Gegenwart mit ihren schönsten und prächtigsten Leistungen umfängt. München birgt so große Schätze von alten Stücken, daß vermuthlich das Bild der Vergangenheit aus seinen Mitteln allein wird hergestellt werden können; an dem der Gegenwart betheiligen sich dann die Kräfte von ganz Deutschland.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 515. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_515.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)