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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Zufall? War es das Walten einer höheren Macht, welches sich hier kundgab? War es Sühne alter Schuld, was er erduldete? Hatte die Nemesis ihn ereilt? – Magdalena! Wie durch einen Nebel sah er die schattenhafte Gestalt der Armen wieder, die um ihn den Tod erlitten! Und ihr Kind, das sie ihm sterbend anvertraut – sein Sohn – wo war er? Wie Posaunenschall des jüngsten Gerichts dröhnte ihm jetzt die Frage in den Ohren – und er hatte keine Antwort darauf!

Er überhörte vollständig, daß die in den Vorsaal führende Thür sich nach mehrmaligem Klopfen öffnete und Richard Reiter ins Zimmer trat.

„Entschuldigen Sie, Herr Graf –“

„Ah, Sie, Herr Doktor,“ fuhr der Graf auf, „welch’ ein neues Unheil haben Sie mir mitzutheilen?“

„Kein Unheil! Im Gegentheil, Herr Graf,“ erwiederte Richard, „ich bringe gute Nachrichten. Mein Freund Emil Felsing, welcher von seinem Vater den Verlauf der Unterredung erfuhr, will Alles aufbieten, um eine Verständigung mit Ihnen herbeizuführen. Die Zusicherung, daß das fragliche Papier an Sie ausgeliefert werden solle, hat er bereits erhalten, und mehr noch: auch das Versprechen, daß der Konsul noch einmal bei Ihnen vorkommen und Ihnen die Ordnung Ihrer Geschäftsangelegenheiten anbieten werde.“

Der Graf schüttelte ungläubig den Kopf

„Seien Sie versichert, Herr Graf“ fuhr Richard fort, „daß mein Freund sich glücklich schätzt, Ihnen, den er hoch verehrt, einen Dienst erweisen zu können, und zweifeln Sie nicht, daß es ihm gelingen wird, er ist ein seltener, vortrefflicher Mensch von ganz ungewöhnlichem Charakter.“

Richard hatte Gründe zu diesem Ausspruch, denn die Unterredung der beiden jungen Männer hatte Emil’s liebste Hoffnungen zerstört und doch seine Hilfsbereitschaft nicht vermindert. Richard war nicht im Stande gewesen, ihn, nachdem Gabriele seine Braut geworden, mit falschen Vorsttiegelungen hinzuhalten, seiner geraden Natur war Ehrlichkeit in solchen Dingen Lebensbedürfniß. So hatte er ihm in bescheidenen Worten sein unbegreifliches Glück mitgetheilt und hinzugefügt: „Du verlangst wohl keine Betheuerung von mir, daß Alles in meiner Brust begraben geblieben wäre, wenn ich nur die entfernte Möglichkeit gesehen hätte, daß sie Dich lieben könne. Aber sie hatte bereits die schlechtere Wahl getroffen!“

Und Emil hatte ihm erbleichend die Hand gereicht und nach einigen Momenten des Stillschweigens geantwortet: „Ich gönne Dir Dein Glück, aber der Schlag trifft mich hart und ich werde Zeit brauchen, bis ich darüber hinaus bin. Inzwischen beunruhige Dich nicht über mich, es muß jetzt für ihren Vater gehandelt werden“ – und er hatte ihm das Resultat der Besprechung mit seinem Vater mitgeteilt.

Der Graf reichte dem Doktor, als dieser ihm das Nöthige aus einander gesetzt, dankbar, aber mit trübem Lächeln die Hand, er hatte den Glauben an eine günstige Wendung verloren.

In der Thür begegnete Richard der jungen Gräfin; sie warf dem sich Entfernenden einen glänzenden Blick nach und eilte dann zu ihrem Papa, der so auffallend blaß und niedergeschlagen in seiner Divan-Ecke saß und nicht einmal die gewohnte Cigarre rauchte.

„Bist Du unwohl, lieber Papa?“ begann sie, sich zärtlich an ihn schmiegend. „Was fehlt Dir denn?“

„Unwohl? Nein, mein Kind, ich befinde mich wohl,“ erwiederte der Graf.

„Gottlob! Ich dachte nur, weil Mama erst sagte, sie fahre mit Dir aus, und dann doch allein fuhr –“

„Ich konnte sie leider nicht begleiten“ – unterbrach der Graf seine Tochter – „dringende Geschäfte“. Es trat eine kleine Pause ein.

„Bist Du schlechter Laune, Papa?“ begann Gabriele aufs Neue mit ihrem freundlichsten Lächeln.

„Ich? Nein, mein Kind!“ erwiederte der Graf. „Warum fragst Du?“

„Weil ich gern etwas mit Dir besprechen möchte, was ich lieber verschieben würde, wenn –“

„Nein, nein. sprich nur!“

„Ich weiß nicht, Papa, ob es nicht klüger wäre, es dennoch zu verschieben?“ sagte sie mit einer gewissen Altklugheit.

Der Graf hatte eine leichte Anwandlung von Ungeduld. Aber er bezwang sich und erwiederte freundlich: „Was machst Du für Umstände, Gabriele! Sprich nur! Das muß ja etwas besonders Wichtiges sein?“

„Das ist es auch, lieber Papa! Aber bitte, setze Dich einen Augenblick! Wenn Du immer auf- und abgehst, kannst Du ja nicht recht aufmerken. So, hierher, Papachen!“ Sie zog ihn in einen Lehnstuhl, setzte sich neben ihn auf die Lehne desselben und fuhr in schmeichlerischem Tone fort: „Weißt Du, Papa, es kommt mir in letzter Zeit vor, als ob Mama mit dem Gedanken umgehe, mich – mich – zu verheirathen.“

Der Graf schaute erstaunt auf.

„Ja,“ fuhr Gabriele fort; „sie machte schon ein paar Mal Andeutungen und gestern fragte sie mich direkt, ob mir Graf Rattwitz gefallen würde. Ich habe gleich ‚Nein‘ gesagt, denn er gefällt mir ganz und gar nicht. Darauf meinte sie dann, sie wolle nicht in mich dringen, obwohl es Dein Wunsch wäre, mich bald standesgemäß verheirathet zu sehen.“

„Mein Wunsch?“ erwiederte Graf Erich zerstreut. „Nun ja, es würde mich freuen, gewiß, aber auch ich will keineswegs in Dich dringen, Du bist noch so jung, daß davon noch nicht die Rede zu sein braucht.“

Die Uhr zeigte ein Viertel vor sechs. Der Graf erhob sich, um durchs Fenster zu sehen. Aber die kleine Gräfin ließ sich nicht so leicht abschütteln. Sie folgte ihrem Vater durch das Zimmer. „Nicht? Ah, das ist lieb von Dir, Papachen, das ist lieb!“

Sie sprang bei diesen Worten an ihrem Vater empor und küßte ihn herzhaft. „O, wie froh bin ich, lieber Papa! Ich habe gar keine Lust, schon von Euch zu gehen, und wenn es einmal später sein soll, möchte ich nach meinem Herzen wählen können, nicht wahr, Papa?“

„Gezwungen sollst Du niemals werden,“ erwiederte der Graf ernst.

Gabriele flog ihm wieder an die Brust. „Mein lieber, guter, süßer, einziger Papa! Ich hab’ es ja gewußt. Siehst Du, Papachen, so wie Alice Teezek und Eugenie Wilding und die meisten meiner Freundinnen – so möchte ich mich nicht verheirathen, nein, niemals!“

„Wie so?“ frug der Graf. „Alice Teezek und Eugenie Wilding haben durchaus standesgemäße Partien gemacht.“

„Wohl, Papa!“ entgegnete Gabriele. „Aber das ist es ja eben: so standesgemäß wie sie möchte ich mich gerade nicht verheirathen.“

„Was sagst Du da, Gabriele?“ sagte der Graf erstaunt, „nicht standesgemäß?“

„Nein, lieber Papa, so nicht!“ sagte sein Töchterchen entschieden „Was haben denn Alice und Eugenie von ihren Männern? Den ganzen Tag sind sie in den Kasernen, auf der Reitbahn, auf der Jagd, des Abends im Theater und des Nachts im Klub. Ja, Papa, Eugenie hat es mir gestanden, daß ihr Mann oft erst des Morgens nach Hause kommt, wenn er die ganze Nacht mit Alicens Mann und andern Herren im Klub gespielt und oft die größten Summen verloren hat, so daß er dann den ganzen folgenden Tag Kopfweh hat und verdrießlich ist. Nur in Gesellschaft oder im Theater ist er bei ihr und liebenswürdig gegen sie, sonst gähnt und brummt er. Papa, ich glaube, daß er sie gar nicht liebt.“

Der Graf ging unruhig im Zimmer auf und ab. „Aber,“ sagte er endlich, „was geht denn das Alles uns an? Wie kommst Du nur auf solche Gedanken?“

„O Papa,“ erwiederte mit komischem Ernst die kleine Gräfin; „ich habe mir das Alles sehr reiflich überlegt und bin zu dem Entschlusse gekommen, daß ich niemals einen Mann heirathen werde, den ich nicht liebe, der mich nicht liebt; denn das, lieber Papa, ist doch die Hauptsache!“

Der Graf meinte Schritte zu hören. Er ging zu der nach dem Vorsaal führenden Thür und horchte.

„Aber Du hörst mich ja gar nicht, Papa!“ schmollte Gabriele.

Ein eintretender Diener meldete den Baron Breda.

„Wie ungeschickt! Der langweilige Mensch! Adieu, Papa, ich flüchte mich!“ rief halblaut Gabriele und eilte an dem im nächsten Augenblick eintretenden Baron vorüber zur Thür hinaus.

Auch dem Grafen kam dieser Besuch äußerst ungelegen.

„Entschuldigen Sie mein Eindringen. lieber Graf“ begann Breda. „Ich suchte eigentlich die Frau Gräfin – man sagte mir, sie sei ausgefahren, und ich hoffte von Ihnen zu erfahren, wann sie zurückkehren wird.“

„Meine Frau?“ frug der Graf.

„Ja, ich muß sie nothwendig einen Augenblick sprechen.“ Und auf einen fragenden Blick des Grafen fuhr Breda fort:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_544.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)