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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

den Wiesen des Dorfes entgegensenkte, rührte kein Windhauch die Wipfel und Zweige. Man hörte nur das schläfrige Gemurmel der spärlich rinnenden Bächlein, die durch Bergfurchen und Felsenschrunde ihren Weg zum Thale suchten und den Schatten des Tannenwaldes verließen, um beinahe lautlos dem breiten, sacht rauschenden Bach entgegenzueilen, der einem hellblitzenden Silberbande gleich das Dorf in weitem Bogen umspannte, in kleinen Laubgehölzen sich verlor und wieder aufblitzte zwischen Wiesen und zwischen Getreidefeldern, auf denen das Grün der hoch stehenden Halme schon in das fahle Gelb der Reife sich zu wandeln begann.

Auf den Wiesen gaukelten weiße Falter von Blume zu Blume; über den Getreidefeldern standen schwärzliche Schnakensäulen in der vor Hitze zitternden Luft, und auf der Straße sumsten die grauen Bremsen und blaugrünen Fliegen um die heißen, verstaubten Steine.

Sonst nirgends eine Spur von Leben in der weiten Thalflur. Auf den Wiesen keine Mähder, auf den Feldern keine Schnitter, kein brüllendes Rind, kein Roß im Geschirr und nirgends ein Gefährt. Es war ja Sonntag – und dazu diese Sonne, diese drückende, glühende, sengende Sonne! Selbst die Schwalben hatten sich müd und schläfrig unter die vorspringenden Dächer geduckt. In den Grasgärten lagen die Hühner und Enten regungslos im spärlichen Schatten der nach Regen lechzenden Obstbäume. Aus den geschlossenen Ställen ließ sich kein Klirren vernehmen, kein Brüllen und kein Wiehern. Oder brüllten die Rinder, wieherten die Rosse, zerrten sie, gefoltert von der Hitze ihrer dumpfen Mauerkeuchen, an ihren Ketten? – und erlosch ihr Lärmen nur unter den Stimmen der „Sonntagsruhe“, welche die Menschen im Dorfe hielten, unter dem Schreien und Kreischen der Kinder, die auf der Straße ihre tobenden Spiele trieben, unter dem schnatternden Gelächter der Dirnen und Weiber, die sich auf den Hausbänken in der brennenden Sonne so wohl zu fühlen schienen, als säßen sie im kühlsten Schatten? Unter dem johlenden, mißtönigen Gesange, der aus den offenen Fenstern der überfüllten Wirthsstube hallte, und unter dem Lachen, Schelten und Schreien, das sich vom Wirthsgarten her vernehmen ließ und sich vermischte mit dem Poltern der rollenden Kugel und dem Gerappel der fallenden Kegel?

Ein armes Ding, so eine Kellnerin im Dorfe, deren eigentlichster Werktag der Sonntag ist! Da rennt sie hin und her zwischen Haus und Garten, athemlos, mit dunkel gerötheten Backen, das Gewand und die weiße Schürze naß von verschüttetem Biere. Kaum ist sie mit den leeren Trinkgeschirren im Hause verschwunden, so kommt sie schon wieder über die Schwelle gehastet, in jeder Hand fünf steinerne Krüge, von denen der Schaum in dicken Flocken niederrinnt. Keuchend erreicht sie die Kegelbahn; ein Dutzend Hände strecken sich ihr entgegen, im Nu ist sie ihrer Bürde ledig, und ehe sie noch recht weiß, von wem sie ihr Geld zu fordern hat, werden ihr schon wieder von allen Seiten leere Gläser und Krüge in die Finger gedrückt und auf die Arme geschoben. Schelten und keifen muß sie, um zu ihrem Gelde zu kommen, und muß sich mit stoßenden Armen umherbalgen in dem dichten Knäuel der hemdärmeligen, von Trunk und Spiel berauschten Bursche. Schreiend, spottend und streitend schieben und drängen sich die Spieler durch einander, die Kugel poltert, die Kegel rasseln, und auf dem „Laden“ klirren und klappern die Markstücke und die blanken Thaler.

Draußen über der Kugelrinne stehen in langer Reihe die Zuschauer, theils solche, die gern mitthäten und mit Aerger das magere Beutelchen in der Tasche befühlen, theils aber auch solche, welche mißbilligend dieses mehr prahlerische als leichtfertige „Umwerfen“ mit dem sauer verdienten Gelde verfolgen.

Zu diesen letzteren mochte wohl auch der Bursche zählen, der jetzt aus der Schar der Zuschauer sich loslöste, den Wirthsgarten verließ, die Straße überschritt und dem offenen Felde zu strebte.

Es war eine schlanke, elastische Gestalt von jugendlicher Kraft und Frische. Der Bursche hätte nicht die blaue Dragonerhose mit den rothen Streifen tragen müssen, schon die stramme Haltung und der feste Gang hätten verrathen, daß es noch nicht allzu lange her war, seit er den Rock des Königs wieder mit der Lodenjoppe vertauscht hatte.

Er trug diese Joppe lose um die Schultern gehängt, und unter ihr zeigte das faltige Hemd im grellen Sonnenschein ein blendendes Weiß, von welchem sich der hochrothe Zackenbesatz der Hosenträger schimmernd abhob.

Der Wohlstand des Hauses, das der Bursche sein Heim nannte, verrieth sich in der schweren Silberkette, die an der offenen, grünen Weste baumelte, in den großen, theuren Hirschhornknöpfen der Joppe und in den zwei hohen, buschigen, werthvollen Adlerflaumstämmchen, die eine schmucke Zierde des grünen Hutes bildeten. Schief und keck saß dieser Hut über dem glänzend braunen Haar; nur kärglich beschattete er mit seiner schmalen Krempe das gesunde, sonnenverbrannte Gesicht, dem das spitz aufgedrehte Schnurrbärtchen über den schwellenden Lippen einen leichten Zug von Stolz und Trotz verlieh, wogegen freilich der gutmüthige, sorglose Frohsinn Einsprache erhob, der aus den braunen Augen leuchtete und lachte.

Raschen Ganges schritt der Bursche über die Wiesen dahin und lenkte auf schmalem Pfade seitwärts zwischen die hohen Aehrenfelder, verfolgt von sumsenden Fliegen. Manchmal blieb er stehen, blies die Backen auf, lüftete den Hut und brummte grollend vor sich hin. „Saxen! Saxen! Is das a Hitz’! Verschmelzen möcht’ Einer gleich!“ Und wieder schritt er seufzend weiter auf seinem Wege.

Aber es war ja kein Weg, den er machte – es war ein Umweg. Denn jenen Hügel, dem er sich nach halbstündigem Marsche zuwandte, hätte er vom Dorf aus in wenigen Minuten erreichen können, wenn er dem breiten Sandsteige gefolgt wäre, der von der Dorfstraße zu jener Höhe emporführte, über deren Linden ein Kirchlein sein spitzes, braunrothes Thurmdach reckte.

Je näher der Bursche den Büschen kam, die den Fuß des Hügels umsäumten, desto langsamer wurden seine Schritte, desto flinker aber die spähenden Blicke, mit denen er durch die Lücken des Laubwerks die grasige Plattform musterte, auf welcher das Kirchlein sich erhob.

Jetzt spielte ein fröhliches Lächeln um seine Lippen, und während er leise mit der Zunge schnalzte, nickte er mit blinzelnden Lidern vor sich hin. Lautlos stieg er zwischen den Büschen empor. Als er die Plattform erreichte, blieb er stehen und theilte mit den Armen das Laubwerk. Wenige Schritte vor ihm stand eine riesige Linde, deren knorriger Stamm von einer verwitterten Holzbank umzogen war. Ein Strohhut mit einem verblichenen blauen Bande und ein plumper Sonnenschirm lagen auf dieser Bank, und daneben saß das Mädchen, dem die Sachen gehörten. Ein schwarz und blau gewürfeltes, verwaschenes Perkalkleid verhüllte den jugendlichen Körper, dessen schlanker Wuchs und knospende Formen trotz der starren Falten des halb schon verwaschenen Gewandes noch in gefälliger Weise sich verriethen. Unter dem Röckchen lugten die gekreuzten Füße hervor, in schneeweißen Strümpfen und mehrfach gestickten, aber spiegelblank gewichsten Schuhen. Die Hände hielten ein Strickzeug und rührten emsig die Nadeln. Es waren zwei braune Hände, die an Arbeit gewöhnt schienen. Auch auf den Wangen des schmalen, mehr kindlichen als mädchenhaften Gesichtes lag ein leichtes Braun, welches jedoch bei dem tiefen Schwarz der Haare, die in zwei schweren Flechten um die Stirn geschlungen lagen, weniger zur Geltung kam. Die Lippen zeigten ein frisches, feuchtes Roth, und in lichter Bläue glänzten die Augen, die das Mädchen in kurzen Zwischenräumen mit fürsorglichen Blicken zu dem kleinen Korbwagen hob, der nahebei im besten Schatten stand und unter dem grünen Vorhang des aufgeschlagenen Dächleins in geblümten Kissen das bausbackige Gesicht eines schlummernden Kindes gewahren ließ.

Nun wieder einmal hob das Mädchen die Augen; diesmal aber zu den raschelnden Büschen. Ein tiefes Roth überflog seine Wangen, als es den Burschen gewahrte, der mit freundlichem Nicken und Lächeln auf die Linde zugeschritten kam.

„Grüß’ Dich Gott, Sanni!“

„Grüß’ Dich Gott, Karli!“ gab das Mädchen leis entgegen und beugte das glühende Gesicht tief über die zitternden Nadeln.

„Hast Dich auch a Bißl in’ Schatten g’macht?“

„Ja, a Bißl.“

„Hast schon Recht! Heut’ leidt’s ein’ schon in der Kühlen! Da möcht’ ja gleich einer in’ Boden ’neinschliefen, bloß daß er der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_550.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)