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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

zum Frühstück nach Hause komme. Deßhalb ist sie soeben wieder aufgezogen worden, und ich habe darum auch keine Zeit mehr, Deine albernen Witze anzuhören, weil ich jetzt nach Papa und Mama sehen und dann dafür sorgen muß, daß die unvergleichliche Teresa den Braten nicht wieder anbrennen läßt. Ob Du freilich Etwas davon bekommst, das fragt sich nach Deinen heutigen Schlechtigkeiten noch sehr!“

Sie drehte ihm mit flinken Fingern eine Nase und war im nächsten Augenblicke aus der Thür gesprungen.

Emil sah ihr lächelnd nach.

„Du könntest Recht haben, Schwesterchen“ sagte er leise vor sich hin, „etwas Eifersucht ist vielleicht im Spiel. Aber nein – nein, ich gönne sie ihm, er ist der Einzige, der dieses goldene Herz verdient.“

Dann saß er lange sinnend, in Erinnerung verloren.

Wie war das Alles gekommen, Eines aus dem Andern!

Erst hatte er geglaubt, ein großes Opfer zu bringen, wenn er vor des Freundes Liebe zurücktrat und sich über dessen Glück zu freuen suchte. Der Entschluß war ihm wahrlich nicht leicht geworden, denn die blauen Augen hatten ihm doch tief ins Herz gestrahlt. Dennoch hatte er sich keinen Augenblick ein neidisches Gefühl gestattet. Dann aber waren jene stillen Seelenschmerzen untergegangen in der fürchterlichen Katastrophe, die unmittelbar darauf folgte und andere Opfer, andere Qualen wie mit Flammenschein beleuchtete.

Welcher unglückseligen Verkettung von Umständen war übrigens auch jene Katastrophe entsprungen! In dem Augenblicke, als die Gräfin, erschöpft von den Anstrengungen und Erschütterungen des Tages, ihrem Manne frohen Herzens das verhängnißvolle Papier und die sichere Aussicht auf Rettung bringen wollte, gerade in diesem Augenblicke hatte ihr Breda die Nachricht von der unhaltbaren Lage, von der Flucht ihres Erstgeborenen übermitteln müssen! Das war über ihre Kräfte gegangen. Die Verzweiflung hatte sie erfaßt. Mit einer Ohnmacht ringend, war sie in das Zimmer des Grafen gegangen, um diesem nur schnell das Papier zu übergeben, dann, kaum mehr ihrer Sinne mächtig, in das Nebenzimmer geflüchtet, um Zeit zu gewinnen, sich zu sammeln. Da hatten ihre Kräfte sie verlassen – ohnmächtig war sie zusammengebrochen.

Der Graf in unseliger Verblendung, hatte sie todt geglaubt! Außer sich, sinnlos, hatte er zum zweiten Male nach der Waffe gegriffen, die mit ihr und dem Tische, an den sie sich angeklammert, zu Boden gefallen war! Und in diesem Augenblicke mußte der, welchen der Graf für den Anstifter all’ dieses Unheils hielt, mußte Felsing dem Verblendeten, Rasenden entgegentreten!

Den jungen Mann überlief es eiskalt, als er sich den schrecklichen Moment wieder vergegenwärtigte.

Aber durch die Alles abgleichende Macht der Zeit waren auch die Schrecken jener Stunde allmählich verblaßt und aus der Saat des Unglücks war sogar noch Glück erblüht. Richard hatte Gabriele gewonnen.

Mannhaft hatte er in den dunkeln Tagen, welche auf die Katastrophe folgten, der bedrängten Familie zur Seite gestanden, hatte getröstet und mit Rath und That geholfen, wo er konnte. Und seinem offenen, frischen, muthigen Wesen war es gelungen, Alle wieder aufzurichten, mit neuer Lebenshoffnung zu erfüllen, die verwickelten Geschäftsverhältnisse des Grafen zu ordnen, um dann, nachdem er die noch unbesetzte Stelle für das Petersburger Aquarium erhalten und in aller Stille die Geliebte zum Traualtare geführt, die Familie in dieses ruhige Asyl zu flüchten, in dessen Nähe er sich sofort sein Laboratorium zu anstrengender Berufsarbeit errichtet hatte.

Zu der Ordnung der beinahe unheilbar verwickelten Geschäftsverhältnisse hatte übrigens ganz im Geheimen eine Hand mitgewirkt, welche Emil recht wohl als diejenige seines Pflegevaters erkannte, wenn dieser auch unzugänglicher als jemals war und jede forschende Bemerkung oder Frage kurz und schroff abwies. Emil stand hier überhaupt vor einem Räthsel.

Nicht eine Silbe mehr, als er an jenem Unglücksnachmittag im furchtbarsten Zorn herausgestoßen, war dem hartnäckigen Manne zu entreißen: der Sohn Magdalena’s wußte weiter Nichts von ihr, als ihren Namen, nicht, in welchen Beziehungen Felsing zu ihr gestanden, nicht, welcher Art sein Konflikt mit dem Grafen war, noch woher der tödliche Haß gegen denselben stammte. Alle Bitten und Beschwörungen des jungen Mannes prallten an seinem eisigen Schweigen ab. „Laß das,“ sagte höchstens Felsing mit düsterer Miene, „wenn mich Eines im Leben reut, so ist es, daß mir überhaupt ein Wort davon entfuhr. Ich kann nicht weiter davon reden.“ Und wenn Emil dann den bitter gramvollen Zug um seinen Mund sah, die gebeugte Haltung des früher so stramm aufrechten Mannes, wenn er ihn Nacht für Nacht wie einen ruhelosen Geist in seinem Zimmer hin und her gehen hörte, dann zerschmolz rasch der Zorn, den er manchmal über einen so unerhörten Eigensinn empfand. Und er brauchte nur der zahllosen Wohlthaten zu gedenken, die dieser so gefürchtete Mann auf sein Haupt gehäuft hatte, um eine warme, überströmende Empfindung im Herzen zu fühlen. Ja, er warf es sich sogar als Unrecht vor, als schnöden Undank gegen Felsing, daß er den Grafen seinen Vater, nicht hassen konnte, daß ihn dessen Unglück und menschlich liebenswürdiges Wesen zur lebhaftesten Sympathie bewegte, so daß ihn sogar der Drang seines Herzens endlich trieb, hierher zu dem noch immer Leidenden zu eilen, und daß er ihn hier, wo er im Verein mit Richard seine Briefe und Papiere ordnete und in denselben hundertfache Beweise seiner Herzensgüte fand, von Tag zu Tag mehr lieben lernte!

Unter diesen Papieren war ihm besonders eines aufgefallen, welches einen Beweis von früher zwischen seinem Vater und seinem Pflegevater bestandenen Beziehungen zu geben schien, dieselben aber in keiner Weise erhellte.

Es war ein Brief des Pfarrers von Eckartshausen, in welchem dieser dem Grafen mittheilte, daß er in seinem Auftrag, aber ohne Nennung seines Namens, einem gewissen Johann Felsing dreitausend Thaler vorgestreckt habe.

Dem Briefe lag eine Quittung bei, welche mit einer des Schreibens sehr unkundigen Hand, beinahe unleserlich, unterzeichnet war. Und ein zweites Schreiben des Pfarrers fand sich noch, in welchem er mittheilte, daß er das von Felsing zurückgezahlte Geld, welches der Graf nicht mehr zurücknehmen wolle, auf dessen Wunsch für Wohlthätigkeitszwecke verwenden werde und für diese reiche Schenkung seinen Dank ausspreche.

Aus dem Sinnen, in welches Emil versunken war, weckte ihn die Stimme Gabrielens, welche mit den Worten: „Briefe, Emil – Briefe!“ ins Zimmer flog.

„Von wem?“ frug Emil.

„Der eine von Hans an mich, der andere von Deinem Pflegevater an Dich – der Poststempel ist von Genua! Er wäre also ganz in der Nähe?“

„Gieb her und sieh nach, was Hans schreibt!“

Beide öffneten hastig die Briefe.

„Gute Nachrichten,“ sagte Gabriele während des Lesens. „Hans hat die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium leidlich überstanden – es geht ihm sehr gut, es gefällt ihm täglich besser im Hause des Professors - doch was ist das? Er hat Nachrichten von Eugen erhalten – Dein Pflegevater habe Eugen die zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten nöthige Summe zur Verfügung gestellt, alle Schulden seien bezahlt, und er habe gegründete Aussicht, wieder in die Armee eintreten zu können!“

Sie ließ das Blatt sinken und sah Emil in höchstem Erstaunen an.

„Ist denn das möglich?! Mein Gott, dann wäre ja Papas schwerster Kummer gehoben – Eugen wieder Officier – ach, welches Glück, welches Glück!“ Sie wollte in ihrem Jubel zu den Eltern hinüber stürmen, aber Emil sagte, indem er ihren Arm ergriff:

„Warte, so plötzlich geht das nicht; bedenke des Vaters angegriffenen Zustand – und die Hand, von welcher die Hilfe kommt!“

„Du hast Recht,“ erwiederte Gabriele betreten, „daran dachte ich in meiner Glückseligkeit gar nicht ... Es wird ihm furchtbar schwer werden, dem armen Papa, das zu überwinden ...“

„Das wird noch nicht das Schwerste sein,“ sagte Emil mit einem halben Seufzer. „In meinem Briefe steht –“

„Doch nicht, daß Hans im Irrthum ist?“

„Davon kein Wort. Aber – daß mein Pflegevater mich nächstens hier besuchen will.“

Sie sahen sich schweigend ein paar Sekunden in die Augen. „Nun,“ sagte Gabriele endlich kleinlaut und zögernd, „das ist ja sehr schön und wird Dich sehr erfreuen – nein, nein!“ brach sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 559. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_559.jpg&oldid=- (Version vom 27.11.2023)