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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

und ich hatte sie sehr, sehr lieb. So lebten wir zufrieden und glücklich.

Da kam wieder ein trauriger Tag, an dem ich mit Magdalena wieder vor einem Sterbebette stand. Diesmal war’s die Mutter. Bevor sie die Besinnung verlor, legte sie unsere Hände zusammen und sagte. sie fühle, daß sie uns bald verlassen müsse, und wenn sie nun todt sei und wir so allein, so sollten wir uns heirathen. Mir war, als hört’ ich einen Engel aus dem Himmel reden, ich sah Magdalenen an, mit Thränen fiel sie mir um den Hals, die Mutter lächelte wie verklärt, und obwohl die Besinnung sie bald verließ, lächelte sie selig fort, bis sie starb, und noch über dem blassen starren Antlitz der Todten schwebte dieses friedliche, verklärte Lächeln.“

Felsing machte eine längere Pause, während welcher es in seinem Gesichte eigenthümlich zuckte.

„Du regst Dich zu sehr auf, lieber Vater!“ sprach ihm Emil herzlich zu. „Erhole Dich! Komm, laß uns ein wenig in den Garten gehen, in den Rebengang!“

„Wozu?“ unterbrach ihn Felsing. „Ich bin ganz ruhig! – Als wir die gute Mutter begraben hatten, beschlossen wir, nicht lange mehr mit der Heirath zu warten. Wir waren ja ganz allein auf der Welt und hatten Niemand mehr zu fragen. Ich war so glücklich damals, daß ich mir oft Vorwürfe machte, weil ich über den Tod der Mutter nicht trauriger sein konnte.

Es war im Frühling, und im Spätsommer schon, in wenigen Monaten sollte Magdalena mein Weib sein. Noch eifriger, noch unermüdlicher als zuvor trieb ich jetzt mein Geschäft. ich hatte einen Messerhandel begonnen, der gut ging, und wollte noch eine bestimmte Summe bei einander haben vor der Hochzeit. Da, als ich eines Abends, auf dem Heimweg begriffen, müde an der Landstraße saß und meine Baarschaft zählte, fuhr ein Wagen mit vier Pferden pfeilschnell an mir vorüber, daß mir der Staub ins Gesicht flog.“

Felsing hielt einen Augenblick inne, dann fuhr er fort:

„In dem Wagen saß neben dem alten Grafen Hochberg-Eckartshausen ein junger schöner Mann in glänzender Officiersuniform. Das war der junge Graf. Er kam auf Urlaub aus der Residenz nach Eckartshausen zu seinem Vater. Die Uniform legte er bald ab, machte sich’s bequem und durchstreifte zu Pferd oder zu Fuß, die Flinte auf dem Rücken, die ganze Herrschaft. Bald war er hier, bald dort, und überall, wo er sich zeigte, steckten die Mädchen und die Weiber die Köpfe zusammen und wunderten sich über den schönen, jungen Herrn Grafen.

So kam er auch nach Ruitenheim und sah Magdalena und sie sah ihn – und sie gefiel ihm und er – er gefiel auch ihr, und sie sahen sich wieder und wieder, und damit es nicht auffalle und damit ich’s nicht so bald merke, bestellten sie sich in den Wald, und wo sie früher als Kind mit mir so gern gesessen unter den hohen Bäumen am Ufer des Waldsees, wo die Erlen ihre Zweige herunterhängen ins Wasser und wo’s so schattig und kühl und einsam ist, da saß sie jetzt mit dem jungen Grafen und hörte seine Schmeichelworte und träumte von Glanz und Pracht und glaubte dem Verführer!“

Emil’s Gesicht war todtenblaß geworden, er horchte in gespanntester Aufmerksamkeit.

„Ich merkte wohl,“ fuhr Felsing fort, der die Aufregung Emil’s gar nicht zu sehen schien, „ich merkte wohl, daß es nicht mehr richtig war mit ihr, denn geheuchelt hat sie nicht. Sie sagte mir auch bald genug, daß sie mich nicht mehr liebe, daß sie sich geirrt hätte, daß sie mich nicht heirathen könnte. Es schicke sich auch nicht mehr, daß sie allein mit mir in dem Häuschen wohne, sie wolle fort. Ich bat und beschwor sie, nur dies nicht zu thun. Ich dachte, sie werde sich doch wieder anders besinnen, wenn sie nur nicht ginge. Von den Zusammenkünften mit dem jungen Grafen wußte ich freilich nichts, so sehr ich auch ihres veränderten Wesens halber auf sie Acht gab. Sie machten’s gar geschickt, und so dacht’ ich mir, es gehöre eben mit zu ihrem seltsamen Wesen und Charakter, daß sie nun plötzlich nicht mehr wollte, und ich hoffte und hoffte, sie werde sich wieder anders besinnen, während sie immer aufgeregter wurde und ihre Augen immer mehr glänzten. Da plötzlich wurden sie matt und trübe und bekamen einen ganz veränderten Ausdruck und weinten viel und sahen mich oft voll Angst und Verzweiflung an, daß auch mir angst und bange wurde. Und als ich nun in sie drang, mir zu sagen, was sie habe, und sie an die Mutter erinnerte, die uns doch in ihrer Todesstunde zusammengegeben, da fiel sie mir schluchzend vor die Füße und gestand, daß – daß der junge Graf sie verführt – und verlassen habe!“

„Arme, arme Mutter!“ sagte Emil voll tiefen Schmerzes.

„Als ich die Worte hörte,“ fuhr Felsing fort, „war mir’s, als nähme mich ein Wirbelwind plötzlich vom Boden weg und schleuderte mich hoch hinauf in die Lüfte. Ich suchte nach einem festen Halt für meine Füße, meine Hände, und fand keinen und fiel zu Boden. Lange mag ich so besinnungslos dagelegen haben; denn als ich erwachte, war es dunkel im Zimmer und ich erinnerte mich nicht mehr, wie und warum ich gefallen, bis ich das Schluchzen der Magdalena hörte, die zu meinen Häupten knieete und deren heiße Thränen mir auf die Stirn tropften. Da faßte mich ein solches Mitleid mit ihrem Schmerz und kam die alte Liebe wieder so stark und mächtig über mich, daß ich mich erhob und sie in meine Arme nahm und sagte: ‚Magdalena, weine nun nicht mehr! Es war nicht gut, was Du gethan; es ist aber geschehen, und wenn er Dich verläßt und der Schande preisgiebt, so will ich Dich wieder zu Ehren bringen und glücklich machen. Magdalena, ich verzeihe Dir Alles, ja, und in acht Tagen machen wir Hochzeit.‘“

„Mein guter, guter Vater!“ rief Emil in tiefer Bewegung, indem er den Konsul umarmte; „Gott möge Dir’s lohnen, was Du an meiner armen Mutter gethan! Du nahmst sie zu Deinem Weibe und gabst ihr die Ehre wieder!“

„Nein, Emil,“ erwiederte Felsing düster, „so kam es nicht.“

„Nicht? Und warum nicht?“ fragte Emil athemlos.

„Als ich ihr den Vorschlag gemacht hatte, weinte sie noch stärker. Ich sei der beste Mensch von der Welt, stammelte sie, und sie habe mich von Herzen lieb und sie wolle mir’s ewig danken, aber heirathen könne sie mich nun nicht mehr. Sie sei jetzt zu schlecht für mich. Das konnt’ ich ihr nicht ausreden, so viel Mühe ich mir auch gab. Nun wurde ich zornig und meinte, sie halte es doch noch heimlich mit dem Grafen. Bald aber sah ich, daß dem nicht so war. Der Graf schickte noch einige Briefe, sie gab aber keine Antwort, auch nicht, als er einmal seinen Herrn Verwalter sandte, um fragen zu lassen, was er für sie thun könnte.“

„Meine arme Mutter! Was mag sie gelitten haben!“

„Wohl war sie zu beklagen damals,“ fuhr Felsing fort, „denn es kämpfte noch so hart in ihr, weil sie den Grafen noch immer liebte. Ich glaube, sie nährte damals noch eine schwache Hoffnung, er werde plötzlich wiederkommen und nach ihr sehen; er könne sie doch nicht so ganz allein ihr Elend tragen lassen; denn von Zeit zu Zeit wurde sie wieder aufgeregt, fast heiter, und ging in den Wald und setzte sich unter die Bäume, von welchen die Blätter fielen im Herbstwind. – Da kam aber eine Nachricht, die alledem ein jähes Ende machte: der junge Graf hatte sich in der Residenz verheirathet! – – Sie verzog keine Miene, als sie es hörte, nur ihre Augen wurden plötzlich so starr und kalt und glanzlos! Nachher ging sie aber so ruhig, als ob nichts geschehen wäre, an die Geschäfte unseres kleinen Hauswesens, und diese besorgte sie nun auch so fort, Tag für Tag, still und gelassen. Jeder Besprechung ihrer Lage wich sie aus. Ich ließ ihr den Willen, ich dachte, es sei das Beste, sie nicht mit Fragen zu beunruhigen, ihr Zeit zu gönnen, sich zu fassen. So ging der Winter hin, ich wanderte jeden Tag hinaus und besorgte mein Geschäft. – Und es war wieder Frühling geworden, da kam ich eines Abends von einem weiten Gange heim und fand das Nest leer.“

„Was war geschehen?“

„Auf dem Tische lag ein Brief von ihr, in dem sie mir schrieb, ich solle sie nicht suchen, sie sei wohl aufgehoben. Sie danke mir für alles Gute, was ich ihr gethan, und es sei ihr so leid, daß sie sich so undankbar gegen mich erwiesen, ich solle ihr nicht zürnen! – Zürnen? – ihr? – O Gott, nein, das that ich nicht! Ich setzte mich hinter den Tisch und stützte den Kopf in beide Hände und weinte bitterlicher als damals, wo mir der Vater und die Mutter gestorben! – Nun war ich ganz allein in dem Häuschen, ganz allein noch übrig, denn wenn es auch nicht in dem Briefe stand, ich wußt’ es doch, daß sie nicht mehr kommen würde. Ich habe in der Nacht nicht geschlafen. Ich suchte durch unaufhörliches Nachdenken herauszubringen, wo sie wohl hingegangen sein könnte, dachte da und dorthin –

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