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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

der junge Graf und sah finster auf mich herunter. Da hob ich Dich empor und schrie hinauf zu ihm: ,Ihr Kind, Herr Graf, das Ihnen die Magdalena schickt, die Sie verführt und verlassen haben, und die sich ersäuft hat im Waldsee!‘

Da sah ich, wie er blutroth wurde im Gesicht und dann leichenfahl, und wie er dann zurücktrat und das Fenster zuschlug, daß es klirrte. Aber nun stießen mich der Jäger und die Bedienten mit Gewalt aus dem Schloßhof hinaus, und zuletzt kamen noch die Hunde des Grafen hinter mir drein, die mit Gebell an mir emporsprangen, während ich Dich fest an meine Brust drückte, damit sie Dich nicht zerrissen. Schon hatten sie mich auf den Boden geworfen und ihre Zähne zerrten an den Tüchern, in denen Du lagst, da pfiff man ihnen vom Schloßhof und so ließen sie uns los!“

„Vater! Vater!“ rief Emil verzweiflungsvoll aus. „Ich bitte – ich beschwöre Dich! Höre auf! Genug nun des Gräßlichen!“

„Sei ruhig Emil,“ erwiederte Felsing, „ich bin gleich zu Ende. – Als ich mich vom Boden erhob, war es just derselbe Ort, wo ich im vorigen Jahre gesessen und geruht und in Gedanken ausgerechnet hatte, wie lange es noch sei bis zur Hochzeit, als der Unglückswagen gefahren kam. Ich lief so schnell ich konnte weiter. Die Sonne stach heiß herunter, ich war zum Tod ermattet und strengte alle meine Kräfte an, mit Dir nach Hause zu kommen. Der Weg zog sich in den Wald und plötzlich stand ich an dem dunkeln kleinen See, in dem Magdalena ihr Ende gefunden. Es war so still ringsum, mich faßte plötzlich der Gedanke, es ihr nachzuthun und mit Dir ebenfalls hineinzuspringen, um Erlösung aus all der Qual zu finden. Ich starrte auf das grüne Wasser hin, und plötzlich schien mir’s, als sehe ich ihr blasses Gesicht daraus auftauchen mit den langen blonden Haaren. Es dauerte nur einen Augenblick, dann sah ich Nichts mehr. Aber da war mir’s, als riefe mir Einer in die Ohren: ‚Sei kein Feigling, räche sie! Strafe ihren Mörder!‘ Ich warf mich auf die Kniee neben dem Baumstumpf auf den ich Dich gelegt, und streckte die Hände gen Himmel. Kein Gebet ist jemals heißer und inbrünstiger hinaufgestiegen als der Fluch und Racheschwur, den ich damals aus tiefster Seele dem Allmächtigen gleichsam in die Hände gelobte. Als ein verwandelter Mensch stand ich auf – ich hatte jetzt wieder ein Ziel im Leben, und wenn es auch noch so fern stand: daß ich es erreichen würde, eines Tages, das wußte ich sicher!

Mein erster Schritt war, von Ruitenheim wegzuziehen; ich verhandelte mein armseliges Häuschen an einen Bauern, der es zu einem Stalle brauchen konnte, und mit dem geringen Erlöse desselben und einem Kapital, das mir der brave Pfarrer von Eckartshausen verschaffte, zog ich in die Welt und fing ein festes Geschäft an. – Von da an hab’ ich Dich als meinen eigenen Sohn gehalten. Sag’ selber: hab’ ich nicht?“

„Ja, ja,“ rief Emil mit von Thränen erstickter Stimme, indem er seinen Pflegevater umarmte, „Du hast mich überschüttet mit Güte und Liebe, Dir dank’ ich, daß ich lebe – Alles, Alles dank’ ich Dir!“

„Nun denn,“ sagte Felsing, die Hand seines Pflegesohnes ergreifend, „so folge mir!“

Aber Emil wich nicht von der Stelle.

„Kann ich denn?“ rief er aus. „Alles was Du sagtest, ist schlimmer, als ich es für möglich hielt, und dennoch fühle ich auch jetzt wieder nur das Eine: er ist – mein Vater!“

„Er ist der Mörder Deiner Mutter,“ entgegnete Felsing hart. Ein schmerzliches Zucken des jungen Mannes zeigte, wie furchtbar ihn diese Worte berührten. Er brauchte lange, um sich wieder zu fassen und zu sammeln.

„Wo find’ ich Worte,“ begann er endlich, „Dir zu entgegnen? Wo die Kraft, wider die ungeheure Anklage zu kämpfen, die sich aus jedem Deiner Worte gegen ihn erhebt? – Er hat Dich schwer verletzt, Dich hart geschlagen, aber was ist all’ das Unrecht, das er Dir gethan gegen das, welches er meiner armen Mutter zugefügt! Dir raubte er die Braut, ohne Dich zu kennen; ihr raubte er die Ehre und das Leben, ihr, die ihm vertraute!“

„Du sprichst sein Urtheil!“ unterbrach ihn Felsing.

„Nein, Vater, nein!“ fuhr Emil fort, „denn meine arme Mutter hat ihm verziehen und als ein Pfand ihrer Verzeihung vermachte sie mich ihm in ihrer Todesnoth. Dir aber hat sie zum Zeichen ihres höchsten Vertrauens die Vollstreckung ihres letzten Willens übertragen. Wie sicher baute sie doch auf Dein Herz! Und Du – hast Du nun ihren Willen so erfüllt, wie sie’s erhoffte? Als Du mich dem Vater damals brachtest, wolltest Du ihn schonen, so wie sie’s wollte? War jener Weg ins Schloß nicht schon der Anfang Deiner Rache? – Im peinvollen Drange des Augenblicks, von falscher Scham verführt, hat auch er den rechten Weg damals nicht gefunden. Er wies Dich von seiner Schwelle, Dich, den er schwer verwundet, dem er so viel genommen! Er hat es schwer gebüßt! Dein ganzes Lebensglück aber hat nicht er, Dein Rachedurst hat es Dir geraubt; denn wie ein Kranker, der, immer nach der Stelle tastend, die ihn schmerzt, den Schmerz dadurch erneuert und die Heilung hindert, so hast Du in der Wunde, die er Dir schlug, ohn’ Unterlaß gewühlt, daß sie sich niemals schließen konnte. Laß sie endlich, endlich sich schließen und versöhne Dich mit meinem Vater, welcher glücklich wäre, Alles wieder gut machen zu können, was damals wider seinen Willen Dir geschah!“

„Wider seinen Willen? Wer sagt das? Hat er denn das Mindeste gethan, um sein Unrecht gut zu machen? Hat er auch nur einmal nach mir, nach Dir wieder gefragt?“

Emil war stumm an den Tisch getreten und hatte aus den dort liegenden Papieren eines ausgesucht, welches er nun dem Konsul überreichte. „Lies das,“ sagte er.

Es war der Brief des Pfarrers von Eckartshausen mit der Quittung Felsing’s.

Der Konsul flog die Papiere durch und seine Züge bekundeten das lebhafteste Erstaunen. „Das ist die Quittung über das Geld, mit welchem ich meinen jetzigen Wohlstand gründete. Wie kommt –“

„Dieses Geld kam von meinem Vater,“ unterbrach ihn Emil.

Es trat eine lange Stille ein. Felsing starrte unverwandt auf das Papier, auf die Unterschrift, die er damals in seiner größten Noth für den unbekannten Wohlthäter gegeben.

„Vom Grafen!“ murmelte er endlich. „Wenn ich’s gewußt hätte, wahrlich, ich hätt’ es nicht genommen! Nun, ich hab’ es zurückbezahlt, das Geld, mit dem er mich zu bezahlen wähnte! Und glaubst Du wirklich, daß er mit diesem Gelde seine Schuld bezahlt hat: den Verrath an Deiner Mutter und die Vernichtung meines Lebensglücks? Glaubst Du, daß er damit das Recht erkauft habe, mir meinen letzten Trost, Dich, zu rauben und sich weiter seines Lebens zu freuen?!“

In diesem Augenblick hörte man im Nebenzimmer ein Geräusch von Schritten, welche sich der Thür näherten. Dieselbe wurde geöffnet und heraus trat, von der Gräfin und Gabriele geführt und von Richard gefolgt, Graf Erich.

Der vor wenigen Monaten noch so stattliche und jugendlich aussehende Mann war kaum mehr zu erkennen. Tiefe Falten durchfurchten sein mageres Gesicht, welches von langen, schneeweißen Haaren eingerahmt war.

Mühsam nur schleppte er sich mit Hilfe der beiden Frauen fort.

„Warum wollt Ihr mich durchaus auf die Terrasse führen?“ kam es in abgerissenen Lauten von seinen Lippen. „Ich kann das Licht nicht ertragen! Laßt mich im Dunkeln! Ich bitte Euch! Laßt mich!“

Emil hatte seinen Pflegevater rasch in die Ecke gedrängt, aber schon hatte der Graf denselben gesehen und seinen Blick unverwandt auf ihn gerichtet.

Es lag weder Furcht, noch Schreck, noch Haß – nicht einmal Ueberraschung in diesem Blick.

„Sind Sie endlich gekommen, Felsing? Ja, ja, ich dachte mir’s, daß Sie kommen würden – habe Sie lange erwartet. Sie wollen mir meinen Sohn nehmen und ich weiß ja wohl, Sie haben das Recht, ihn zu besitzen, das ich verwirkt habe!“

Mit Felsing, der beim Erscheinen des Grafen denselben mit finstern Blicken gemessen hatte, ging bei diesen Worten eine seltsame Veränderung vor. Alle seine Gesichtsmuskeln waren in Bewegung, er griff mit der Hand nach dem Herzen, sein Mund öffnete sich, als wollte er sprechen, aber kein Laut entrang sich demselben.

„Mein Eugen dahin,“ begann der Graf wieder mit beinahe tonlosem Flüstern – „und nun werd’ ich wohl auch diesen nicht mehr wiedersehen, der mir erschienen war als Pfand der Verzeihung meiner schweren Schuld!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_578.jpg&oldid=- (Version vom 27.11.2023)