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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

auch das Kopfhaar bis auf einen einzigen langen Haarschopf, den man in zwei Flechten theilt und unter der Mütze trägt. Wir finden dieselbe Sitte bei den Tataren. Auch der Bulgare ist, wie der Tatare, der Sohn der Steppe, unzertrennlich von seinem Pferde. Auch der Aermste hat ein solches, wenn es auch noch so klein ist.

Bulgarische Bäuerin.

Das Hauptkleidungsstück ist ein weitärmeliges Hemd, verziert mit bunten Stickereien. Im Sommer trägt er weite Leinenbeinkleider, im Winter gleichartige aus weißem Wollstoff, die er unter dem Knie mit rothen Wollbändern oder mit Riemen fest macht, ferner einen rothen Leibgürtel und als Schutz gegen die Kälte entweder eine Jacke oder einen langen Rock aus weißem Tuch, daneben auch einen Schafpelz oder einen Kapuzenmantel. Seine Kopfbedeckung ist eine Lammfellmütze, seine Fußbekleidung selbstgefertigte Bundschuhe, „Opanken“, wie es auf slawisch heißt.

Die Bulgarinnen auf dem Lande, namentlich die Mädchen, sind schön, aber es ist eine schnell vergängliche Schönheit. Ihr reiches langes Haar, das sie zu Zöpfen flechten, ist im Gegensatze zu dem der Männer immer dunkelfarbig, meist von Natur – wird aber auch häufig gefärbt, da die dunkle Haarfarbe der Mädchen dort für schön gilt.

Die Stirnen der Mädchen sind wie die der Männer etwas breit, aber doch schön geformt, die Augenbrauen langgeschweift, die dunklen Augen von sanftem, etwas melancholischem Ausdrucke, der durch die langen feinen Wimpern noch vermehrt wird; Nase und Mund oft von klassischer Schönheit. Ihre Gestalten sind schlank, ihre Formen vollkommen, dazu kommt die bunte und reiche Nationaltracht, die in jedem Kreise ihre kennzeichnenden Eigenthümlichkeiten aufweist. Sie tragen an Sonn- und Festtagen Blumen: Nelken hinter den Ohren und eine Rose über der Stirn. Auch lieben sie es, das Haar mit Münzen und Bändern zu zieren. Mit größter Sorgfalt verfertigen ihre kunstreichen Hände die bunten Seidenstickereien mit denen ihr weißes Hemd wie das der Männer geziert ist; diese Stickereien verrathen Erfindungsgabe und feinen Farbensinn.

Dame aus Rustschuk.


Der Rock besteht aus dickem, farbig gestreiftem oder einfarbigem Wollstoff und wird in enge Falten gebreitet; darüber tragen sie eine Schürze aus ähnlichem Gewebe und beide werden mit einem kunstvoll gearbeiteten Gürtel um den Leib zusammengehalten. Um den Hals und an den Armen tragen die Bulgarinnen gern allerlei Schmuck, wie Korallen, Perlen, Gold- und Silbergeschmeide.

Bemerkt zu werden verdient, daß der Brautwerber außer der Sittsamkeit seiner zukünftigen Frau vorzüglich ihre physische Stärke und Arbeitsamkeit in Betracht zieht, und nicht allein das Heirathsgut, für ein dünnbevölkertes Land, wie Bulgarien, ist diese „Selektion“ Naturgebot, und aus ihr ist eine kräftige, arbeitstüchtige Bevölkerung erwachsen.

Die bulgarische Bauersfrau muß ein sehr thätiges Leben führen, sie muß die treue Gehilfin des nicht minder fleißigen Mannes sein, man sieht sie immer und überall beschäftigt, am Herde, am Webstuhl, im Stalle, auf dem Felde – und bei allen diesen Arbeiten findet sie noch Zeit, ihren Säugling zu stillen, der zuweilen bis in sein drittes Lebensjahr an der Mutterbrust hängt.

Die Kinder genießen eine spartanische Erziehung. Bei jedem Wetter sieht man sie, auch in dem rauhen Gebirge, sich im Freien umhertummeln. Unter diesen Umständen ist die Kindersterblichkeit groß, um so mehr, da die griechischen Aerzte, welche hier zuweilen prakticiren, wie mir scheint, nicht allzuviel verstehen. Auch sind deren wenig, und man behilft sich mit Hausmittelchen, wie sie die „Großmuhme“ verordnet. Dafür pflegen die überlebenden Kinder desto kräftiger zu werden.

Türkische Hamals in Varna.

Die Bauern leben in einem größeren Familienverbande zusammen, an dessen Spitze der Stareschina, der Aelteste, steht. Das Grundeigenthum gehört dieser großen Gesammtfamilie, auch Kommunion genannt. Daneben kann aber auch der Einzelne und die Einzelfamilie Sondereigenthum haben. Es ist die altslawische Gesellschaftsverfassung, gleichsam eine Erinnerung an die primitive Landwirthschaft, welche der Nomadenzeit folgte. Um das aus besserem Materiale erbaute Haus des Familienoberhauptes, des Stareschina, sind die kleineren Häuser der verheiratheten Söhne ringsum aufgebaut, und dieses kleine Gesammt-Familiendorf umschließt ein hoher aus Zweigen geflochtener Zaun. Bei der Ausstattung des Wohnhauses legen die bulgarischen Bauern besonderen Werth auf schönes Hausgeräth; die Prunkstube ist durch den großen Wandschrank und die an den Wänden angebrachten Ruhebetten oder Divans charakterisirt, die mit

schönen Teppichen belegt sind. Auf die Teppiche ist die Hausfrau

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 592. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_592.jpg&oldid=- (Version vom 26.6.2023)