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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

stolz. Sie zeigt solche dem Fremden gern, weil ihre geschickte Hand sie gewebt hat. Auch fehlt es im Hause nicht an schönen Krügen, Oellampen und allerlei Kupfergeschirren.

Montenegrinische Kawassen.

Das Familienleben der bulgarischen Bauern hat eine patriarchalische Innigkeit. Groß ist die Achtung vor den Eltern und überhaupt vor dem Alter. Die landwirthschaftlichen Geräthe sind von primitiver Einfachheit und Unbeholfenheit. Trotzdem ist der Bulgare ein tüchtiger Landwirth. Konstantinopel lebt von dem Gemüse, das die bulgarischen Gärtner ihm liefern. Das Hauptprodukt des Bodens ist Mais (Kukuruz). Außerdem erzeugt das Land Weizen, Roggen, Reis, Tabak, Wein, Bauholz etc. Auf den Almen des Balkan wird Viehzucht betrieben. In den wärmeren Geländen treibt man Seidenbau. Die bulgarischen Grains werden von den italienischen Seidenhändlern geschätzt und erzielen hohe Preise. Von den geschmackvollen Produkten der Hausindustrie habe ich schon gesprochen.

Der mit Büffeln bespannte bulgarische Bauernwagen rasselt nicht; denn es befindet sich kein Eisen an demselben, aber das biegsame Holz ächzt beim Fahren über die schwierigen Wege in allen Tonarten.

Der Bauer steckt leider noch voll allerlei Aberglauben, und die Popen thun wenig, um ihn aufzuklären. Auch die zahllosen Fest- und Fasttage fördern die Kultur nicht. Auf dem Land glaubt man allgemein noch an Vampyre und dergleichen.

Die Städte, namentlich die an der Donau, zeigen meist noch einen türkischen Charakter. Sie steigen amphitheatralisch terrassirt an dem Berg in die Höhe, und über die braunen hölzernen Häuser erheben sich weiße Minarets und schwarzgrüne Cypressen gen Himmel. Der Türke will von seinem Haus eine Aussicht haben. Aber die Einsicht verbaut er; die Fenster, namentlich die des Harems, sind geschlossen mit hölzernem Gitterwerk, das man „Musch-arabi“ nennt. Der obere Stock des Hauses springt meist vor. Die Straßen der Stadt sind eng, naß, schmutzig, verwahrlost; desto schöner ist es im Innern der Häuser. Der Türke liebt schöne Gärten, laubige Bäume und fließendes Wasser. Der Bulgare in der Stadt ist ein geriebener Kaufmann. Er ist dem Griechen, dem Juden und sogar dem Armenier vollkommen gewachsen. Die bulgarischen Juden stammen meistens aus Spanien. Als man sie dort vertrieb, lud man sie nach der Türkei ein, und der Sultan Bajaset sagte: „Wie dumm ist doch mein Bruder in Spanien, so nützliche Menschen zu vertreiben!“

Bulgarischer Gendarm.

Die ärmeren Türken verrichten hier die schwersten Arbeiten. Sie sind „Hamal“ (Lastträger) und „Kaikdschi“ (Kahnführer), beide bewundernswerth in ihren Kraftleistungen. Diese Hamals tragen Lasten, die wir kaum einem starken Pferde aufladen würden, auf dem Rücken, und dabei sieht man sie leicht wie Balletttänzer hinspringen; der Bulgar verschmäht solche Dienste. Die großen Magazine in den Städten sind in den Händen der Bulgaren und der Juden.

Die Residenzstadt Sofia hat einen ganz neuen Stadttheil, der einen westeuropäischen Charakter trägt. Das Kriegsministerium, das Bankgebände und der Palast des Fürsten sind geschmackvolle Renaissancebauten. Die Stadt hat jetzt etwa 25000 Einwohner, darunter 5000 Türken. Sie soll noch 1850 über 50000 Einwohner gezählt haben. Dies ist aber eine türkische Uebertreibung. Tirnowa an der Jantra ist die alte Kapitale des Landes und zeigt heute noch diesen Charakter. Sie ist im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts von Papst Innocenz III. gegründet. Sie hatte später ihren eigenen Patriarchen, im Gegensatz zu dem in Konstantinopel.

Zwei Menschenklassen verdienen noch erwähnt zu werden, weil sie sich in der letzten Zeit sehr bemerklich gemacht haben, nämlich erstens die montenegrinischen Kawassen und zweitens die bulgarischen Gendarmen. Die Ersteren pflegten die Ruhe und Ordnung zu stören und die Letzteren sie wieder herzustellen und aufrecht zu erhalten. Ein Kawaß ist ein bewaffneter Reise- oder Herrschaftsdiener, nebenbei auch eine Art Condottiere. Diese montenegriner Kawassen sind hier ein zucht- und meisterloses, freches und listiges Volk. – Das Gendarmeriekorps hat der Fürst Alexander nach deutschem Muster geschaffen. Es sind stramme Soldaten, die auch im Kriege Rühmliches geleistet. Sie fürchten sich nicht, weder vor den Serben noch vor den Montenegrinern.

Zum Schlusse empfehle ich noch Jedem, der sich über die jüngste Geschichte Bulgariens unterrichten will, zwei Bücher von A. von Huhn. Das eine ist betitelt: „Der Kampf der Bulgaren um ihre Nationaleinheit“, das andere „Aus bulgarischer Sturmzeit“. Jenes behandelt das Jahr 1885, dieses das Jahr 1886. Sie enthalten anschauliche und wahrheitsgetreue Darstellungen der Ereignisse, welche der Verfasser als Korrespondent der „Kölnischen Zeitung“ an Ort und Stelle miterlebt hat.

Bulgarisches Bauerngespann.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 593. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_593.jpg&oldid=- (Version vom 26.6.2023)