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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Schieferblöcke seines Bettes in klafterhohen Wellen hinausflog. Von den Berghalden wallten Wasserfälle herab, die vordem Niemand, der jemals in der Gegend reiste, gesehen hatte. Dort, wo ihre schaumigen Wellen, auf der Thalsohle angekommen, sich dem Bahndamme näherten, standen Arbeiter mit langen Stangen, welche Felsblöcke, die ins Rollen gerathen, oder Baumstämme, die herabgeflößt worden waren, auf die Seite zu schieben trachteten, damit sie nicht gegen den Schienenweg angerollt kämen.

Ueber all’ diesem trieb, vom Südwestwind gejagt, ein wildes Heer von zerfetzten Wolken, hinter deren gespensterhaftem Zug die Kirchthürme des Mittelgebirges zeitweilig verschwanden.

Wie oft kam es da vor, daß der Zug plötzlich stille hielt! Die nächste Station lag noch weit ab. In jedem Wagen rasselten die Fenster, die man des Fluthregens wegen geschlossen gehalten hatte, herab, und zu beiden Seiten erschienen die Köpfe der Reisenden.

Es dauerte alsdann immer geraume Zeit, bis man die Ursache des Anhaltens erfuhr. Der Bahnwächter hatte das Zeichen hierzu gegeben. In geringer Entfernung hatte sich, vom andrängenden Wasser unterwaschen, der Bahndamm gesenkt. Bei der Vorsicht, mit der hier allenthalben vorgegangen wird, konnte das niemals unbemerkt bleiben. Wenn man Monate später zu dieser Station kam, sah man die Lokomotive noch dort stehen, über und über mit gelbbraunem Rost bedeckt. Es war damals ihre letzte Fahrt auf ein halbes Jahr und darüber hinaus gewesen. Am 16. September gab es keine Eisenbahn, am 17. keinen Telegraphen mehr. Zugleich waren an zahllosen Stellen nicht nur Wege und Stege, sondern auch die große Reichsstraße vernichtet.

Am schlimmsten waren jene Orte dran, welche an der Mündung eines Seitenbaches in ein größeres Gewässer liegen. Diese Seitenbäche, welche aus steilen, schluchtartigen Thälern hervorbrechen, sind mit einer Wassergewalt ausgestattet, die mit ihrem kurzen Lebenslaufe unheilvoller Weise in gerade umgekehrtem Verhältniß steht. Der Ursprung solcher Bäche, welcher von ihrer Mündung in der Luftlinie oft nur drei Kilometer entfernt liegt, ist gleichwohl tausend Meter und mehr über dieselbe erhaben. Zudem sind viele dieser Wasser eben der genannten Eigenschaft wegen früher zum Hinabschwemmen von Holz benützt worden, welches oben an den steilen Böschungen des betreffenden Grabens geschlagen wurde. Die Betriebsamkeit des Menschen hat demnach ihr Möglichstes gethan, um die verhängnißvolle Wirksamkeit eines solchen Wassers zu steigern, denn es ist augenscheinlich, daß jede Holzabwurfstelle, von welcher die herabrollenden Stämme nicht nur jede Pflanzendecke weggeschürft, sondern in deren Grund hinein sie im Stürzen auch noch tiefe Furchen gerissen haben, unter der Einwirkung von Regengüssen leicht zu einer Rinne wird, in welcher trübes Wasser, Erde und Steine mit großer Schnelligkeit zu Thal fahren.

Nun kommt aber auch noch Folgendes hinzu: die Holzschläger, welche zum Theil schon vor vielen Jahren in solchen Schluchten wirthschafteten, hatten dort an manchen Stellen Klausen gebaut, in welchen der mitunter spärliche Thalbach aufgestaut wurde, um zur Zeit der Trift die Stämme mit künstlich verstärkter Gewalt hinauszuwälzen. Nachdem aber die Arbeit vorüber war, haben sie diese Klausen stehen gelassen. Deren Gefüge lockerte sich alsdann im Laufe der Zeiten; die Balken, aus denen sie aufgebaut waren, wurden mitunter morsch. Solche alte Klausen gaben nun den schlimmen Wassergeistern, welche auf Zerstörung sannen, die furchtbarsten Waffen. Nach geringem Widerstande wurden sie von den herabjagenden Gießbächen gepackt und Alles zusammen, Balken, hinter ihnen aufgehäufter Schotter und Felsblöcke, so weit gegen die Mündung der Schlucht hinausgewälzt, als eben die vorhandene Kraft reichte. Dort bildeten sie nun vorläufig eine Barrikade. Diese blieb so lange stehen, bis die Wasser, die sich mit ihr selbst ein Hinderniß geschaffen hatten und sich einstweilen seeartig ausbreiteten, so viel Kraft gewannen, um sie zu durchbrechen und sie mit sich in das Hauptthal hinauszureißen. Befand sich dort, ihrem Laufe ausgesetzt, eine Ortschaft, so wurde in derselben Alles, was die Wellen nicht sofort mitrissen, entweder unter dem Anprall der herangeflößten Stämme, Baumwurzeln und Felsen zertrümmert oder von ihnen zugedeckt und begraben. Ein Eisenbahndamm verschwand vor einem solchen Ansturm, als ob er den Geschossen der schwersten Festungsartillerie ausgesetzt gewesen wäre. Wo eine Straße war, erkennt man alsdann nur noch an den Wipfeln rothbeeriger Ebereschen, die aus einer Mengung von Wasser, Kalk- und Schieferblöcken, Brennholz, Lehm und Brettern herausragen.

Gleichwohl aber verlangt es die Pflicht der Wahrhaftigkeit, einzugestehen, daß es an vielen Orten auch ohne die verderbliche Thätigkeit der Holzfäller nicht anders gegangen wäre, als es leider in jenem Herbst gegangen ist. Wenn solche Regenmengen so lange Zeit hindurch herunterstürzen, so sehen sich auch solche Grundstücke in Bewegung, welche mit tiefer Dammerde und Graswuchs, ja selbst von einem schönen Waldstand, bedeckt sind. Der Boden saugt sich eben so mit Wasser an, daß er sich von seiner felsigen Unterlage loshebt und zu Thal fährt. Mögen es nun die wandelnden Wälder sein oder die aus den Seitengräben herangewälzten Schlamm- und Steinberge – genug, die Verheerung muß sich dort am wirkungsvollsten gestalten, wo eine derartige Zufuhr rechtwinkelig auf den Hauptfluß des Thales auftrifft.

Der schmucke Ort Welsberg, mit dessen Zerstörung und Wiederaufrichtung wir uns hier besonders beschäftigen, war für die Aufführung eines derartigen Dramas eine vorzüglich geeignete Bühne. Hier vereinigte sich Alles, um das Werk der Vernichtung zu begünstigen. Derjenige, der im Bahnhofe ausstieg, erblickte alsbald, wenn er gegen Norden schaute, in geringer Entfernung den Berg Rudel, von welchem der Gsieser Bach herabkommt. Auf diesem ungemein steilen Berge nahm man ungefähr sechs Rinnen wahr, welche, durch schmale Waldstreifen unterbrochen, sehr tief in das mürbe Gestein eingeschnitten sind und koncentrisch fast lothrecht in die Tiefe züngeln. Man kann nicht sagen, hier liegt, sondern man muß sich ausdrücken, hier hängt alles das Zerstörungsmaterial, welches bei einem Sturm auf Welsberg zur Verwendung kommen muß. So war es damals. Wie man dem für immer abgeholfen hat, werden wir weiter unten sehen.

Dieselbe Bemerkung gilt für den Gsieser Bach. Damals, in den Tagen des Unglücks, gelang es ihm, seine Einmündung in den Hauptfluß des Thales, die Rienz, rechtwinkelig, also gerade im schlimmsten Verhältniß, zu bewerkstelligen. Dadurch wurde dieser letztere Fluß aufgehalten und betheiligte sich nun seinerseits am Werke der Zerstörung, indem er sich zu einem See ausbreitete.

Man würde indessen irren, wenn man das Dasein eines solchen Sees als ein erstmaliges bezeichnete.

Ein See, vermuthlich unter ähnlichen Umständen entstanden, bedeckte schon im vierzehnten Jahrhundert den Grund von Welsberg und wurde erst 1359 von wälschen Baumeistern glücklich abgelassen. Auch dieser Umstand führt uns zur Schlußfolgerung, daß es nicht ausschließlich die moderne Waldverwüstung sein kann, welcher wir derartige Katastrophen zuzuschreiben haben.

Wenn man wissen will, wie eine solche aussieht, so braucht man sich nur eine einzige Scene aus der Geschichte Welsbergs in jenen Tagen zu betrachten.

Es ist Nacht. Allenthalben dröhnender Donner der Wasser. Die Finsterniß ist so groß, daß man die Hand vor Augen nicht erkennt. Der Regen strömt ununterbrochen, wie bei einem sommerlichen Hochgewitter. Welsberg liegt finster da, alle seine Insassen haben sich in die hochgelegene Kirche Maria Rain geflüchtet, wo sie beim Scheine von Laternen schreckliche Stunden verleben. Doch von irgend woher glänzt es hell über die unsichtbaren Wasser. Dafür ist aber dort, von wo die Helle ausgeht, das Elend noch größer als in der vom Felsen aufragenden Kirche. Denn dort in dem Hause, welches ringsum von den brandenden Wassern umgeben ist, haben die Leute an jedes Fenster brennende Kerzen gestellt, damit sie von den Geretteten nicht vergessen würden. Und sie wurden nicht vergessen, denn als der Tag graute, wagten sich die Helfer vom sicheren Berge herab und brachten die Eingeschlossenen, jeden Augenblick mit dem Tode ringend, über die Wasser.

Ich habe schon oben die Thätigkeit des Wildbaches mit einem Artillerie-Angriff verglichen. Denjenigen, welche damals ihre Häuser anschauten, mußte an vielen Stellen die Aehnlichkeit noch deutlicher vor die Augen treten. Statt der Bomben und Sprenggeschosse waren die sogenannten „Bachkugeln“ in die Häuser eingedrungen. Es sind dies Gneißblöcke, welche durch die Thätigkeit der Wasser, vielleicht auch alter Gletscher in der Eiszeit, abgerundet wurden und nunmehr von jedem Hochwasser mobil gemacht werden. Was diese Bachkugeln nicht eingeschlagen hatten, das war von Schotter und Schlamm ausgefüllt worden. Aus dem ersten Stockwerk derjenigen Häuser, welche noch standen, konnte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 603. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_603.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2023)