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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Kompositionen durch Aufnahme in die Sammlung zugänglich gemacht. Bis jetzt erschienen von dieser Sammlung, die nur an Bundesmitglieder abgegeben wird, acht Hefte.

Am 11. September d. J. soll an der Geburtsstätte des Deutschen Sängerbundes, in Koburg, sein 25jähriges Jubiläum durch einen erweiterten Sängertag gefeiert werden. Viele von denen, die vor 25 Jahren mit Jugendfrische und Begeisterung für die Gründung des Bundes eintraten, sind bereits „zu den Todten entboten“; wir aber, die wir noch im Leben stehen, wollen dankbar ihrer gedenken und treue Hüter und Pfleger des deutschen Liedes bleiben, eingedenk des Wahlspruchs:

O grüne fort und blühe lang,
Du edler deutscher Männersang!

Heinrich Pfeil.

Die neue Weltsprache. In der ersten Hälfte des August hat eine Versammlung in München stattgefunden, deren Name und Tendenz für Viele zumeist den Reiz der Neuheit hat: es war der zweite internationale Kongreß der „Volapükisten“, der Anhänger der von Pastor Schleyer erfundenen neuen Weltsprache. Eine „erfundene“ Sprache – das klingt auf den ersten Blick seltsam genug; denn man ist ja gewöhnt, die Sprache als etwas aus dem Volksleben selbst Erwachsenes und mit ihm sich Fortbildendes zu betrachten. Gleichwohl ist schon oft der Versuch aufgetaucht, eine Weltsprache zu erfinden, welche wie früher das Latein als Gelehrtensprache eine Brücke für das Verständniß bei den verschiedenartigsten Nationen bildet. Eine solche Sprache kann natürlich nie die Volkssprache im täglichen Lebensverkehr, bei Reisen, beim Aufenthalt in fremden Ländern ersetzen; aber für den wissenschaftlichen und den Handelsverkehr bietet sie eine Erleichterung, indem die Gelehrten und Kaufleute statt einer großen Zahl von Sprachen nur diese einzige zu erlernen brauchen, um sich auf der ganzen Erde mit ihren Fachgenossen zu verständigen.

Eine solche Sprache, das Volapük, hat der Pfarrer Schleyer zu Lizzelstetten bei Konstanz erfunden, und diese Sprache hat eine sehr große Zahl von Anhängern gewonnen. Auf dem Gebiete der Erfindung ist indeß die Konkurrenz nicht ausgeschlossen und Niemand kann Bürgschaft dafür leisten, daß nicht eine zweite und dritte Weltsprache auftauchen wird, welche vor dem Volapük irgend welche Vorzüge voraus hat, sowohl betreffs der sprachlichen Logik und Konsequenz als auch der leichten Erlernbarkeit, denn dieser letztere Vorzug ist für eine erfundene Sprache unerläßlich. Auch Schleyer hat große Rücksicht darauf genommen und sich aller „mnemotechnischen“, das heißt dem Gedächtniß zu Gute kommenden Hilfsmittel bedient. – Um unseren Lesern davon eine kleine Probe zu geben, erwähnen wir, daß durch die Vorsilbe „lu“ eine Verringerung oder Verschlechterung des Begriffs bezeichnet wird, zum Beispiel:

bük, Buchdruck, lubük, Makulatur,
lit, das Licht, lulit, Dämmerung,
man, Mann, luman, Kerl, Strolch,
kanitön, singen, lukanitön, heulen,
begön, bitten, lubegön, betteln.

Umgekehrt wird mit der Vorsilbe „le“ eine Erhöhung des Begriffs, eine Verstärkung des Ausdrucks bei Haupt-, Zeit- und Eigenschaftswörtern gegeben:

läb, das Glück, leläb, Glückseligkeit,
balib, der Bart, lebalib, der Vollbart,
jek, der Schrecken, lejek, Graus, Schauder,
galön, freuen, legalön, entzücken,
löflek, lieblich, lelöflek, wunderlieblich.

Die reichliche Anwendung dieser und ähnlicher Vor- und Nachsilben kommt dem Gedächtniß außerordentlich zu Hilfe und bedeutet außerdem eine Ersparniß für den aufzunehmenden Wortschatz.

Bei dem Münchener Kongreß waren Abgesandte der Weltsprachvereine aus Deutschland und Oesterreich, der Schweiz, Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, England und Nordamerika eingetroffen, aus den anderen europäischen Landen Briefe und Telegramme.

Der erste Weltsprachverein ist am 11. Mai 1882 in Württemberg begründet worden; gegenwärtig besitzt er 350 Mitglieder; ähnliche Vereine bestehen in den andern deutschen Staaten. Volapük findet auch eifrige Pflege in Asien (besonders Syrien und Palästina), in Afrika (Aegypten und am Kap der guten Hoffnung), in Nordamerika (New-York, San Francisko), auf Martinique und Portoriko.

Es ist begreiflich, daß vielsprachige Staaten, wie Oesterreich und auch Rußland, ein besonderes Interesse an der Pflege der neuen Weltsprache nehmen. Dr. Obhlidal in Wien hat im Laufe des letzten Winters nicht weniger als 2000 Personen in Volapük unterrichtet; an der Universität, den Handelsschulen etc. finden Kurse in dieser Sprache statt. Die Zahl sämmtlicher Anhänger des Volapük wird auf mindestens eine Million geschätzt; 450 Volapükisten sind vom Erfinder zu Lehrern der Weltsprache ernannt. Elf selbständige Zeitungen wirken für „Volapük“, drei in Deutschland, von denen eine ganz, die andern theilweise in Volapük geschrieben sind. Prof. Kerkhoffs in Paris hat ebenfalls ein eigenes Blatt für Volapük gegründet: „Le Volapük“; seine französisch-volapükische Grammatik hat bereits die zehnte Auflage erlebt.

Bei dem Münchener Kongreß wurde eifrig „Volapük“ gesprochen; Toaste, Scherze und Lieder erklangen in der neuen Weltsprache, die sehr wohllautend und kräftig tönt und zwischen Latein und Italienisch die Mitte hält.

Welche Zukunft die neue Erfindung haben wird, ist schwer vorauszusagen, da es sich um etwas Künstliches, nicht Naturwüchsiges handelt und eine erfundene Sprache immerhin einem in der Flasche erzeugten Homunculus gleicht. Jedenfalls wird der praktische Nutzen den Ausschlag geben und es wird darauf ankommen, ob die Regierungen selbst in irgend einer Weise dieser Weltsprache, z. B. für den diplomatischen Verkehr, die officielle Weihe geben und ob die großen Mittelpunkte des Welthandels eine der neuen Allsprache günstige Losung ausgeben.

Die letzten Garben. (Mit Illustration S. 609.) Steigen wir hinauf in ein tirolisches Hochthal, allenfalls ins Alpachthal bei Brixlegg, wo die Sitte heimisch ist, welche unser Bild so lebenswahr darstellt.

Es ist Erntezeit. Monate banger Sorgen sind für den Bauer vorüber, und heute sollen die letzten Garben unter das schützende Dach der Scheune gebracht werden. Kein Wunder also, wenn Freude und Jubel ins einsame Berghaus eingekehrt sind.

Noch ist indessen nicht alle Mühe zu Ende. Auf den holprigen, unwegsamen Gebirgspfaden und den jäh abfallenden Halden eines solchen Hochthales kommt kein Erntewagen, ja nicht einmal ein Karren fort. Deßhalb kann das Getreide hier nur durch Dienstboten oder Tagelöhner vom Felde hereingeschafft werden, und dies ist in der That keine leichte Arbeit. Da sieht man den stämmigen Knecht und die kräftige Dirne, wie sie mit der schweren Last der Garben auf dem Kopfe, die sie draußen zu einem ausgiebigen „Schab“ (Bündel) zusammengeschnürt, im kurzen Trott über Stock und Stein dem Bauernhofe zueilen. – Sie mögen wohl froh sein, daß es die letzten Garben sind, welche sie eben eintragen, von den Berglern die „Braut“ genannt. Dorfkinder ziehen deßhalb mit Schellengeläut und muthwillig lärmendem Jubel den längst erwarteten Trägern voran, während Neugierige aus Thüren und Fenstern dem Spektakel zusehen.

So naht sich der kleine Zug dem heimischen Hause. Da tönt zum freudigen Gruß die Dorfglocke mit hellem Läuten ins Thal hinaus, als wollte auch sie der „Braut“ ein fröhliches Willkommen entgegenrufen.

Dieser uralte Brauch heißt „das Brauteinläuten“. Darauf folgt für die Dienstboten ein kleines Mahl, bei welchem gewöhnlich Honigkrapfen aufgetischt werden, und will der Bauer ein Uebriges thun, spendet er vielleicht dazu noch einige Flaschen Tirolerwein. Die Leute haben den Trunk gewiß redlich verdient!

Ausgrabung Verschütteter. (Mit Illustration S. 601.) Noch unvergessen ist das furchtbare Erdbeben auf der Insel Ischia, die mit ihrer hochragenden Warte, dem Epomeo, am Golf von Neapel Wache hält. Eine Episode aus jenen Schreckenstagen, die in Casamicciola spielt, stellt unser Bild dar. Die Trümmer der zusammengestürzten Häuser werden bei Seite geräumt, um die Verschütteten ans Licht zu fördern. Tiefe Trauer, zugleich mit banger Spannung, ob vielleicht doch noch eines der unter dem Schutt vergrabenen Lieben zu retten sein werde, malt sich auf allen Gesichtern. Der Maler hat jedenfalls eine Scene dargestellt, die sich in neuester Zeit oft genug wiederholt hat; denn von der Insel Ischia schweift unser Auge unwillkürlich nach Nizza und der Riviera. Die Schrecken der so plötzlich in unser Leben eingreifenden unterirdischen Gewalt mahnen uns daran, daß unsere Civilisation ohnmächtig ist gegenüber dem Wirken unberechenbarer, zerstörender Naturkräfte.

Scherz-Räthsel.


Kleiner Briefkasten.
(Anonyme Anfragen werden nicht berücksichtigt.)

B. Z. in St. Petersburg. Wir konstatiren gern, daß die deutschen Petersburger Gärtner ihrem Namen volle Ehre machen. Auf der Internationalen Gartenbau-Ausstellung in Dresden erhielten: W. Freundlich eine große silberne Medaille für die von ihm gezogenen blühenden Rosen und Th. Gerstner gleichfalls eine große silberne Medaille für „Reise- oder Dauerbouquets“. Sonst war Rußland auf der Ausstellung nicht vertreten.

W. in B. Vergleichen Sie gefl. den Artikel „Wie erzeugt die Sonne ihre Wärme?“ im Jahrgang 1882 der „Gartenlaube“ Nr. 51.

A. E. in Dresden. Arbeit ehrt den Menschen, das sollte man nie vergessen.

X y z. in B. Besten Dank, aber leider nicht geeignet.

Ein Abonnent in Feldkirch. Sie müssen zuerst genau lesen, bevor Sie dem Verfasser „Schnitzer“ vorwerfen.


Inhalt: Der Unfried. Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer (Fortsetzung). S. 597. – Im Kampf mit den Wildbächen. Von Heinrich Noé. S. 602. – C. A. Steinheil und der erste Schreibtelegraph. Von Hugo Marggraff. S. 605. Mit Portrait und Abbildungen S. 605 und 606. – Hängende Fäden. Erzählung von A. Godin (Fortsetzung). S. 606. – Blätter und Blüthen: Theodor Storm. Von Victor Blüthgen. S. 610. Mit Portrait S. 597. – Josephine Wessely †. Mit Illustration. S. 611. – Das Silberjubiläum des Deutschen Sängerbundes. Von Heinrich Pfeil. S. 611. – Die neue Weltsprache. S. 612. – Die letzten Garben. S. 612. Mit Illustration S. 609. – Ausgrabung Verschütteter. S. 612. Mit Illustration S. 601. – Scherz-Räthsel. S. 612. – Kleiner Briefkasten. S. 612.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 612. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_612.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)