Seite:Die Gartenlaube (1887) 621.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Auf mein Wort, das will ich möglich machen. Wenn Eccellenza mir während Ihrer Abwesenheit ein monatliches Almosen von sechs Franken gewähren wollen, so werden Sie sehen, was ich für meine Herrschaft thun kann.“

Da das Stadtviertel unsicher ist, spielt die Eccellenza nicht den Spröden, sondern geht auf Pulpetiello’s Vorschlag ein. Vier Monate lang war der Familienvater abwesend; während dieser Zeit gingen Frau und Tochter Abends mit voller Sicherheit aus, von stummen, geheimnißvollen Trabanten eskortirt. Auch Garten und Hühnerstall wurden verschont, während man sonst in jenem Stadtviertel von Nichts als Raub und Einbruch reden hörte und selbst dem Geistlichen des Sprengels der Garten ausgeplündert wurde.

Eben so bezeichnend ist die Geschichte jenes Uhrmachers, eines braven Schweizers, der allen Camorristen seines Viertels unentgeltlich die Uhren reparirte. Dies hatte seinen besonderen Grund.

Im Jahre 1856, so erzählt Peter, als dieser Schweizer sich eben in Neapel etablirt hatte, kam ein Unbekannter zu ihm in den Laden und stahl ihm eine sehr werthvolle Uhr, die er zu repariren hatte. Der arme Mann rennt auf die Polizei, wo man wenig Notiz von ihm nimmt; er soll warten, heißt es, bis der Inspektor von seinem Sommeraufenthalt in Castellamare zurückkommt. In seiner Noth wendet sich der Schweizer an einen wohlbekannten Camorristen, der sich das Signalement des Diebes geben läßt und zu helfen verspricht. Gegen Mitternacht legen sich Beide in einer Gasse von Alt-Neapel in einem Thorweg auf die Lauer und sehen allerlei nächtliche Vögel vorüberstreichen, denn es ist die Zeit, wo die Spitzbuben zur Ruhe gehen. Der Uhrmacher reißt die Augen auf, so weit er kann, um in der Dunkelheit seinen Dieb ausfindig zu machen; endlich erkennt er ihn an dem herausfordernden Gang und dem kleinen Hütchen, das keck auf dem Ohr sitzt, und zeigt ihn dem Camorristen. Dieser stürzt sich auf den Gauner, packt ihn an der Gurgel und fordert ihm unter wuchtigen Faustschlägen seinen Raub ab.

Nach Luft schnappend zieht der Dieb demüthig die gestohlene Uhr hervor; die Kette kann er jedoch nicht mehr herausgeben; denn die ist schon versetzt.

„Führe uns zum Pfänderverleiher!“ herrscht ihn der Camorrist an, ohne seine Beute fahren zu lassen. Der Dieb gehorcht, und bald stehen sie vor der Thür des Hehlers. Mit dröhnender Stimme ruft der Camorrist den alten Wucherer heraus, faßt ihn am Kragen, führt ihn mit sich in seinen Schlupfwinkel zurück, von wo er bald, die Kette in der Hand, triumphirend wieder herauskommt. Unser Schweizer hatte 15 Franken zu bezahlen und mußte sich außerdem von dem Camorristen umarmen lassen, der ihn bei dieser brüderlichen Umhalsung stark mit Knoblauch parfümirte. Von dieser Zeit an nahm der Schweizer stets die Partei der Camorra, wenn Jemand Uebles von ihr sprach.

Das denkwürdigste Beispiel dieser Art ist übrigens gewiß dem bekannten russischen Schriftsteller Alexander Hertzen widerfahren, als ihm im Februar 1848 das Portefeuille mit seinem Gesammtvermögen, bestehend aus Bankbilletten, Wechsel- und Kreditbriefen in den Straßen von Neapel abhanden gekommen war und ihm, nachdem die Polizei sich völlig ohnmächtig erwiesen hatte, durch ein paar zerlumpte Männer aus der Hefe des Volks wieder zugestellt wurde.

Aus allem bisher Gesagten geht hervor, daß die Camorra, so verderblich und demoralisirend auch ihr Einfluß im Ganzen sein mag, doch in einzelnen Fällen Gutes gewirkt hat und sogar in Zeiten politischer und socialer Auflösung ein Element der Ordnung gewesen ist. Von ihrer eigenen Ehrenhaftigkeit und Berechtigung ist sie jedenfalls aufs Tiefste überzeugt und hält streng auf point d’honneur, wie denn vor Aufnahme eines neuen Mitglieds die moralischen Eigenschaften desselben (il suo

Am Totalisator auf dem Rennplatze zu Charlottenburg.
Originalzeichnung von H. Albrecht.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 621. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_621.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2023)