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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

und Sanni’s Namen von der Kanzel verkünden hörte, daß ihm schon die Hochzeitsgeigen in den Ohren klangen, und – und – aber was er weiter noch hätte denken und träumen können, das hatte er schon hinübergenommen in den tiefen Schlaf, in welchen er, trotz seiner unbequemen Lage auf der harten Holzbank, mit lächelndem Behagen hineingeduselt war.

Stille Minuten vergingen. In der Stube war nichts zu hören, als die gleichmäßigen Athemzüge des Schlafenden, die leisen Pendelschläge der Wanduhr und das Ticken eines Holzwurmes. Mehr und mehr brannte die Kerze nieder; endlich erlosch sie, und die Gluth des Dochtes verqualmte in einem dünnen Rauchfaden. Da knarrte draußen die Treppe. Es war, als stiege Jemand mit leisen langsamen Schritten über die Stufen nieder. Durch das Schlüsselloch der Thür fiel ein dünner Lichtstreif; nun verschwand er wieder, mit sachtem Knirschen rührte sich die Klinke, und es öffnete sich die Thür, wobei ein dünnes Pfeifen aus ihren Angeln kam.

Karli erwachte. Es war ihm zu Muth, als hätte er eine Ewigkeit geschlafen. Im ersten Augenblick meinte er, daß er den Morgen versäumt habe und daß es der grelle Schein der Sonne sei, was ihm die verschlafenen Augen blendete. Erst als er sich halb emporrichtete, merkte er, daß er noch immer in der Stube saß und daß nicht die Sonne ihn in die Augen stach, sondern die flackernde Helle einer Kerzenflamme.

Nahe vor ihm stand Kuni, in der Hand den Leuchter mit der brennenden Kerze. Ein kurzes, dunkelrothes Röckchen schwankte um ihre Kniee und zeigte die weißbestrumpften Füße, die in leichten Pantoffeln staken. Den hübschen Kopf ein wenig zur Seite geneigt, so stand sie mit einem halb ärgerlichen, halb verlegenen Gesichte, über welches die zuckende Flamme zitternde Lichter warf, während die gelösten rothbraunen Haare, die ihr in langen Wellen um die Schultern rieselten, in metallenem Schimmer glänzten.

„Was – was is denn g’schehen – was willst denn?“ stotterte Karli, dessen Wangen von einer brennenden Röthe überflogen waren.

„Ja merkst es denn net, Du Dapperl, weßwegen als ich da bin?“ lächelte Kuni. „Eing’schlafen bist ja – daherunten in der Stuben – schau, und ’s ganze Licht is Dir ausbrennt!“

„No mein – das macht ja nix!“ stammelte der Bursche, dessen Augen mit scheuen Blicken über die Gestalt der Dirne huschten.

„Natürlich, machen thut’s freilich nix!“ wisperte Kuni, während sie einen hastigen Blick nach der Kammerthür warf, hinter welcher man den Pointner schnarchen hörte. „Aber droben, mein’ ich, hättst dengerst a bessers Schlafen, als wie da herunten auf der harten Bank! Ich hab’ mir’s aber gleich ’denkt, wie ich Dich so lange net kommen hab’ hören. Na, na, wie hast Dich denn nur so versitzen können? Geh, Du bist mir die richtige Schlafkappen!“

Kichernd streckte sie die Hand, mit welcher sie bisher die losen Falten des weißen Linnens dicht am Halse zusammengehalten hatte, und haschte den Burschen scherzend beim Schnurrbart.

Die Röthe auf Karli’s Wangen wurde zu dunkler Gluth, und ein trunkenes Feuer erwachte in seinen Augen. „Kuni – Kuni –“ stieß er mit bebender Stimme hervor, schlug seine Hände mit heftigem Griff um den Arm der Dirne und drückte ihn an seine Brust.

Kuni fühlte seinen heißen Athem; sie spürte das Zittern seiner Hände, und da stammelte sie wie erschrocken: „Aber, Bua, geh, was hast denn, sei doch g’scheit!“ Und während sie mit nicht allzu ernster Anstrengung ihren Arm zu befreien suchte, streckte sie den andern Arm mit dem Lichte weit zur Seite und drückte, als wäre ihr schon bange vor seinen Küssen, den Kopf tief in den Nacken.

Da öffneten sich langsam die Hände des Burschen, der mit erschrocken staunenden Augen an Kuni vorüber auf die weiße Kalkwand starrte. Dort sah er den mächtigen Schattenriß eines Gesichtes – aber diese harten, strengen Züge glichen nicht dem weichen, schmucken Profil der Dirne; sie glichen den steinernen Zügen des stillen ernsten Knechtes – und dem Burschen kam es vor, als wäre die Mauer von Glas und als stünde Götz hinter ihr, mit einem ins Riesenhafte gewachsenen Kopfe, mit finster drohendem Gesicht. Und während er so auf das seltsame Bildniß starrte, klangen in seinem Ohre die Worte, welche Götz vor Stunden im dunklen Hofe draußen zu ihm gesprochen – und vor den Augen stieg ihm Sanni’s Bild empor.

Mit verblüfften Mienen stand Kuni vor dem Burschen, dessen wunderliches Gebahren sie sich nicht zu deuten wußte. Nun drehte sie, der Richtung seiner starren Blicke folgend, den Kopf – und da verschwammen jene warnenden Züge an der Wand in einen formlosen schwarzen Schatten.

Aufathmend wandte Karli sein brennendes Gesicht der Dirne zu, und es zuckte so eigen um seine Lippen, als er ihr mit rauher Stimme zurief: „Geh’ weiter – und laß’ mir mein’ Ruh’! Ich bin schon munter jetzt – und weiß mein’ Liegerstatt allein zu finden!“ Polternd erhob er sich und schritt der Thür zu.

Kuni taumelte, als hätte sie einen Schlag ins Gesicht bekommen. Bis in die Lippen war sie erblaßt, und während ihre Züge sich zur Unkenntlichkeit verzerrten, sprühte ein jäh erwachender Haß aus ihren Augen. Doch eine Sekunde nur – und jede Spur von Erregung war von ihrem Gesichte verschwunden. Und nur ein wenig Verwunderung sprach aus ihrer Stimme, als sie lächelnd sagte: „Was bist denn auf amal so grob? Da hätt’ ja doch ehnder ich an Grund dazu – ja – völlig weh thut mir mein Arm! Du bist mir Einer!“

Karli hörte noch das spitzklingende Kichern, mit welchem sie ihre Worte schloß, und sah noch, wie sie die Haare, die ihr über die Schultern gefallen waren, zurückschüttelte in den Nacken. Dann überschritt er die Schwelle und schlug hinter sich die Thür zu. Es war auch höchste Zeit, daß er aus der Stube kam. Ueber den letzten, lauten Reden, welche die Beiden geführt hatten, und über dem Knallen der Thür mußte der Pointner erwacht sein. Karli hörte die brummende Stimme des Vaters und es war ihm auch, als ginge drinnen die Kammerthür.

Hastig eilte er über die Treppe hinauf, tappte sich durch die Finsterniß in sein Stübchen, warf die Kleider ab und streckte sich auf sein Lager. Wirre Gedanken schossen ihm durch den Kopf und keiner wollte ihm zu rechter Klarheit kommen. Dann wieder lauschte er mit verhaltenem Athem; aber Minute um Minute verstrich, ohne daß er Kuni über die Treppe heraufkommen und ihre Kammer betreten hörte. Aergerlich kehrte er sich endlich gegen die Wand und versuchte zu schlafen.

Was hatte er denn überhaupt an Kuni zu denken? Er hätte sich ohnehin am liebsten die Ohren vom Kopfe reißen mögen vor Unmuth darüber, daß sein Blut einen Augenblick die Oberhand über sein Herz hatte gewinnen können. Nun fiel ihm auch wieder jener seltsame Schatten ein – und als er nicht wußte, was er von der Sache glauben sollte, mußte der „gute Schutzengel“ herhalten, der ihm gewiß all’ das eingegeben hatte, was er dem wunderlichen Bilde gegenüber gedacht und empfunden. Das tröstete und beruhigte ihn und ungestört konnten seine Gedanken an dem Häuschen im Binderholz vorüber in die sonnige Zukunft wandern. Darüber fielen ihm die Augen zu, und Sanni und Liebe füllten seine Träume.




7.


Der Morgen graute durch das kleine Kammerfenster, als Karli durch ein Pochen an der Thür geweckt wurde. „Ja, ja – was is denn?“ stotterte er und rieb sich die verschlafenen Augen.

Da steckte Götz den Kopf zur Thür herein und nickte ihm lächelnd zu: „Ich bin’s! Guten Morgen! Gelt, versaum’ Dich’ net!“ Ohne eine Antwort abzuwarten, zog er die Thür wieder zu, um seiner Arbeit nachzugehen.

Eine halbe Stunde später war Karli zum Ausgang gerüstet. Wenn er meinte, daß ihm die blaue Dragoneruniform nicht übel stehe, so war das keine ungerechtfertigte Eitelkeit. Das lichte Blau mit den hochrothen Anschlägen paßte so gut zu seinem frischen, sonnverbrannten Gesichte mit dem sauber gescheitelten braunen Haar. Der knapp anliegende Waffenrock gab ihm eine stramme Haltung und hob den Wuchs seines jugendlich kräftigen Körpers. An dem Tuche war kein Stäubchen, und alle Knöpfe funkelten, als wären sie eben erst aus der Hand des Vergolders gekommen. Karli warf noch einen letzten zufriedenen Blick in den kleinen Spiegel, setzte achtsam die steife Mütze übers Haar und stapfte spornklingend zur Kammerthür hinaus. Als er an Kuni’s Stübchen vorüberkam, huschte ein leichtes Roth über seine Wangen. Die Thür stand halb offen und zeigte einen Theil des geordneten Lagers. Karli zog verwundert die Brauen in die Höhe – Kuni war doch sonst keine Freundin von allzufrühem Aufstehen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_630.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)