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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

dringend um den Vortrag des Liedes. Sie hob die Tafel auf und schritt mit der Marquise in den kleinen Musiksalon, der sich rasch mit der übrigen Gesellschaft füllte. Die Marquise von Travanet setzte sich an das Clavecin der Königin (heute noch in „Petit Trianon“ befindlich!) und unter lautloser Stille, bei gespannter Erwartung ihrer gefühlvollen Zuhörerschaft, sang sie das von ihr gedichtete und komponirte – im Grunde improvisirte Lied vom „Armen Jakob“.

Das kleine Lied mit seiner hübschen Melodie erfreute und rührte die Königin und deren Hofstaat so sehr, daß seine Urheberin es mehrmals wiederholen mußte, und als die Gesellschaft endlich aufbrach, hörte man von allen Seiten, mehr oder minder gefühlvoll die rührende Weise des Refrains:

„Pauvre Jacques, quand j’étais près de toi
Je ne sentais pas ma misère;
Mais à présent que tu vis loin de moi,
Je manque de tout sur la terre!“


(„Armer Jakob, als ich in Deiner Näh’,
Fremd war mir des Kummers Beschwerde.
Nun Du mir ferne und ich Dich nimmer seh’,
Fehlt mir Alles – Alles auf der Erde!“)

Die Damen des Hofes brachten das Lied nach Versailles, von dort wanderte es nach Paris, von wo aus „Pauvre Jacques“</t> sich rasch durch ganz Frankreich verbreitete und eine Lieblingsromanze der damals, vor 1789, mehr empfindsamen als revolutionären Bewohner des schönen Landes wurde.

Am Schluß unserer kleinen Erzählung geben wir das Lied der Marquise von Travanet mit seiner Melodie, die in ihrer eigenartigen Färbung jene Zeit der Empfindsamkeit, in welche die glücklichen Tage Marie Antoinette’s fallen, treffend charaktertsirt.




Der glückliche Jakob und ein deutsches Lied.

Während „Pauvre Jacques“ in Trianon mit Vorliebe gesungen wurde und von Versailles und Paris seine Wanderung durch Frankreich antrat, arbeitete Marie Antoinette eifrigst an der Erfüllung ihres der armen Emmi gegebenen Versprechens. Der bereits zweimal für die Königin thätig gewesene französische Agent in der Schweiz erhielt nun den weiteren Auftrag, den bewußten „armen Jakob“ aus seinem Freiburger Dörfchen ebenfalls und so rasch wie möglich nach Versailles und Trianon zu expediren. Doch Enttäuschung und Schrecken! Der Agent berichtete umgehend Ihrer Majestät der Königin, daß besagter Jakob sich nicht mehr daheim aufhalte, sondern aus seinem Dorfe spurlos verschwunden sei. Doch glaube man, und wohl nicht mit Unrecht, daß selbiger sich heimlich nach Paris gewendet und dazu den Weg eingeschlagen habe, den kurze Zeit vorher zwei Kühe und dann eine junge Hirtin genommen hätten.

Diese unerwartete Nachricht verursachte dem guten Herzen der Königin rechten Kummer, denn wenn sie auch wohl hoffen durfte, daß der ersehnte Jakob eines Tages anlangen könne, so stand dies doch nicht ganz außer Zweifel. Der Weg von Freiburg nach Paris war ein sehr weiter und mußte für einen Fußwanderer lange – lange Zeit in Anspruch nehmen. Und dann, welchen Gefahren konnte ein solcher unterwegs ausgesetzt sein und dies erst recht in dem großen Paris, wo die Spuren, welchen Jakob gefolgt, sich verlieren mußten. Denn wer wußte dort etwas von dem versteckten Winkel der königlichen Meierei in Versailles, wo die arme Emmi sich in ihrem Heim- und Herzensweh verzehrte? Doch Marie Antoinette rechnete ohne die Liebe, von der ein anderes, doch deutsches Volksliedchen singt:

„Die Liebe hat Flügel
Und Zaubergewalt,
Sie fliegt über Hügel
Und Berge und Wald.
Ueber Ströme und See’n,
Ueber Abgrund und Steg,
Ueber Felsen und Höh’n
Findet Liebe den Weg!“ –

Die Königin sollte die Wahrheit dieser Worte erproben.

Wochen vergingen; Marie Antoinette mußte mit dem König und dem ganzen Hofe nach Marly. Als sie wiederum in ihrem Paradiese, dem kleinen Schlößchen von Trianon, zu längerem Aufenthalt einziehen durfte und ihren ersten Morgenspaziergang nach der Meierei machte, um nach ihrer Emmi zu schauen, war sie nicht wenig und auf das Freudigste überrascht, schon aus der Ferne die lange entbehrte Stimme des Mädchens zu hören, die heute noch weit lustiger sang und jodelte als dies in jener ersten glücklichen Zeit ihres Einzugs in Trianon der Fall gewesen war. Doch – neue Ueberraschung! – jetzt setzte auch eine zweite, eine männliche Stimme ein, und nun erklang der Gesang so hell und jubelnd, wie er nur der Brust und dem Herzen zweier Glücklichen zu entströmen vermag. Die Königin beflügelte ihren Schritt, und als sie unerwartet die Milchkammer betrat, da warfen sich in der That zwei wahrhaft Glückliche mit hellem Freudenruf und Thränen der Dankbarkeit ihr zu Füßen. Der arme, doch auch recht kluge Jakob hatte – von seiner Liebe geleitet – ganz allein den Weg nach Trianon und zu seiner Emmi gefunden, und würde die Marquise von Travanet jetzt ein Lied auf das Paar gedichtet und gesungen haben, so hätte es nur „der glückliche Jakob“ heißen können.

Marie Antoinette vermählte das junge Paar, stattete es reichlich aus und wies ihm die größere Meierei als Wohnstätte an. Die Hochzeit wurde in ein ländliches Fest umgewandelt und als solches von der Königin und ihrem intimen Hofstaat gefeiert. Die beiden ehemaligen Rivalen und Bewerber um die Gunst der hübschen jungen Braut, Graf Artois und Graf d’Adhémar,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 641. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_641.jpg&oldid=- (Version vom 26.6.2023)