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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Hausfrau und Fleischer.

Von Dr. Schmidt-Mülheim in Berlin.

Ueber jeden Zweifel erhaben ist der deutschen Hausfrau sanftes und friedfertiges Gemüth, und sie würde auch mit dem Fleischer in schönster Eintracht leben, verschaffte ihr dieser unverbesserliche Sünder nicht eine ganze Reihe von Unglückstagen dadurch, daß er statt des versprochenen saftigen Ochsenfleisches trockenes und ledernes Kuhfleisch liefert, welches bei Tische, wo Alles behagliche Sammlung und Stärkung erwartet, zur Quelle der allgemeinsten Unzufriedenheit wird. Denn das ist bei dir, verehrte Leserin, ein feststehender Grundsatz – und Henriette Davidis und andere höchst achtbare Kolleginnen von der Feder lehren es ja nicht besser – daß nur alte Kühe zähes Fleisch aufweisen, ergo: der Metzger wird verbrannt. Offenbart sich nicht auch die schwarze Seele dieses Unmenschen zur Genüge durch die höchst überflüssigen Knochenbeilagen, die er ungeachtet deines unveränderlichen Widerspruches in verstocktester Bosheit nicht aufhört wieder und immer wieder zu liefern? Und giebt er dir nicht endlich auch durch die vielen „schlechten Stücke“, welche er gerade dir zukommen läßt, den unwiderleglichsten Beweis, daß er dein angeborener Feind ist?

Und doch ist es in der Mehrzahl der Fälle völlig ungerechtfertigt, beim Vorkommen einer verunglückten Fleischschüssel die Schale des Zornes über den Fleischer und die betagte bessere Hälfte des Ochsengeschlechtes, welche alles Unheil verschuldet haben soll, zu ergießen. Der ganze häusliche Jammer wird meistens nur durch eine ungenügende Waarenkenntniß, die man bei der sonst so trefflichen deutschen Hausfrau hin und wieder wohl noch antrifft, heraufbeschworen; der Metzger und die alte Kuh sind in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle schuldlos wie die neugeborenen Lämmer.

Sollen nun deine Fleischgerichte, verehrte Leserin, sich stets mit den vielgepriesenen Fleischtöpfen Aegyptens messen können, sollen sie namhaft beitragen, jenes Gefühl behaglicher Zufriedenheit hervorzurufen, das dem Familienleben jenen idealen Schimmer verleiht, so beseitige zunächst das Vorurtheil, das dich die schönere Hälfte der Gattung bos für die minder bessere zu halten heißt. Merke dir, daß in Wirklichkeit auch das Rindvieh – und warum sollte wohl gerade dieses eine Ausnahme zu machen sich erdreisten? – die allgemeine Regel anerkennt, die da lautet, daß überall in der Welt die Geschlechtsgenossinnen Eva’s, mögen sie nun auf Erden wandeln oder in den Lüften schweben oder endlich sich in den kristallenen Fluthen baden, die besseren unter den Geschöpfen sind, daß namentlich auch bei allen eßbaren Thieren das Fleisch wirklich guter weiblicher Thiere demjenigen männlicher vorzuziehen ist.

Die chemische Analyse ergiebt, daß das Kuhfleisch den gleichen Nährstoffgehalt besitzt wie das Ochsenfleisch, da aber die Zunge des Kenners weit mehr den Werth des Fleisches bestimmt als die nüchterne Wage des Nahrungsmittelchemikers, so sei betont, daß gutes Kuhfleisch ungleich schmackhafter und feiner als gleiches Ochsenfleisch ist.

Woher stammt denn nun das Vorurtheil gegen die Kühe? Sehr einfach, es werden eben weit mehr schlechte Kühe als schlechte Ochsen zur Schlachtbank geführt. Den Ochsen schlachtet man ziemlich allgemein auf der Höhe seiner Körperentwickelung, nachdem er zuvor Monate hindurch sehr sorgfältig gemästet wurde, die Kuh hingegen nutzt man vielfach bis zum Aeußersten aus und legt auf ihre Mastung nicht die halbe Sorgfalt. Der Ochse würde unter gleichen Verhältnissen noch weit schlechteres Fleisch als seine Gefährtin geben.

In einigen Gegenden, besonders in Süddeutschland, pflegt man wohl das Ochsenfleisch als eine ganz eigenartige Waare zu verkaufen; es giebt besondere Ochsenmetzger, die, von den Vorurtheilen in der menschlichen Gesellschaft Nutzen ziehend, ihr Fleisch zu erhöhten Preisen an den Mann, resp. an die Frau bringen. Daß hierbei zahllose Unredlichkeiten unterlaufen, beweist eine Klage gegen eine größere Anzahl von Ochsenmetzgern, welche im vergangenen Jahre zu Mainz Kuhfleisch für Ochsenfleisch verkauft hatten. Ist erst die Erkenntniß in weitere Kreise gedrungen, daß gutes Kuhfleisch mindestens eben so wohlschmeckend und nahrhaft ist wie gutes Ochsenfleisch, und verwenden die Landwirthe allgemein auf die Mastung der Kühe die gehörige Sorgfalt, dann dürfte der Ochsenmetzger als Specialität bald von der Bildfläche verschwinden.

Einen Kapitalfehler begeht die deutsche Hausfrau nun dadurch, daß sie viel zu hohen Werth auf frisches Fleisch legt. So richtig es sein mag, daß Kaffee und Kuchen möglichst frisch am besten munden, so wenig trifft das für das Fleisch zu. Es ist gewiß, daß durch die Verwendung zu frischen Fleisches am meisten in der Küche gesündigt und sehr viel „eheliches Unglück“ herbeigeführt wird. Das Fleisch erhält seinen hohen Werth für die Tafel keineswegs allein durch seine Abstammung von guten Thieren, sondern ganz wesentlich erst durch einen Reifungsproceß, den es nach dem Abschlachten durchmacht. Das Fleisch darf immer erst längere Zeit nach dem Tode[1] zubereitet werden, früher verzehrt, zeigt es sich widerlich fade, trocken und zähe wie Sohlleder. Man braucht bloß die Theilnehmer am letzten französischen Feldzuge zu fragen, wie unschmackhaft das noch warm und dampfend vertheilte Fleisch der eben geschlachteten Thiere nach der Zubereitung war und wie sehr die Ernährung der Truppen durch diesen Uebelstand litt.

Das Fleisch erhält also erst durch einen Reifungsproceß nach dem Tode seine Weihe für die Küche, es erfährt erst eine Art innerer Zersetzung, durch welche sein Geschmackswerth außerordentlich vermehrt wird. Dieser Reifungsproceß wird eingeleitet durch jenen eigenthümlichen Zustand der Muskeln, welchen man als Todtenstarre bezeichnet. Letztere zeigt sich einige Stunden nach dem Tode und macht sich dadurch bemerkbar, daß die Muskeln sich zusammenziehen und dabei so starr werden, daß die Glieder sich nicht mehr verschieben lassen. Hierbei nimmt der Muskel eine sauere Reaktion an. Man dürfte nicht fehlgehen, wenn man die erwähnte Geschmacksverbesserung des Fleisches wesentlich dem Auftreten freier Säure (Milchsäure) im Muskel zuschreibt und wenn man annimmt, daß durch die anhaltende Einwirkung dieser Säure die Bindesubstanzen des Fleisches außerordentlich an Widerstandsfähigkeit einbüßen. eine Annahme, für deren Berechtigung die allbekannte Thatsache spricht, daß man – wie jede kluge Hausfrau weiß – im Stande ist, das trockene und zähe Fleisch alter Thiere durch Einlegen in Essig noch mürbe und wohlschmeckend zu machen.

Je älter das Fleisch, desto mürber und schmackhafter ist es. Die Küche der Frau Kronprinzessin des Deutschen Reiches ist berühmt wegen ihrer vorzüglichen Fleischgerichte, das wird nicht zum wenigsten dadurch bedingt, daß die hohe Frau es verstanden hat, gewisse Mängel des deutschen Küchenpersonals erfolgreich zu bekämpfen, so duldet sie z. B. in ihrem Hause kein Roastbeef, das nicht durch mindestens vierzehntägiges Hängenlassen des frischen Fleisches die nöthige Küchenreife erlangt hat.

Nun wird die Haltbarkeit des Fleisches durch die Fäulniß außerordentlich beeinträchtigt, und diese macht das Fleisch zu einem völlig ungeeigneten Nahrungsmittel. Es erwächst deßhalb die Aufgabe, das Fleisch möglichst lange aufzubewahren, ohne daß es auch nur eine Spur von Fäulnißerscheinungen zeigt. Hierzu sind kostspielige Kühlapparate, Konservesalze, Salicyl und andere auf yl oder ol endigende moderne Waffen für die Bakterienjagd durchaus nicht erforderlich, es genügt vollkommen: 1. ein schattiger, allerdings möglichst kühler Raum, 2. ein mäßig starker Strom reiner und trockener Luft, einige Fleischerhaken zum Aufhängen des Fleisches. Zum Fenster hinaus mit allen Schüsseln und Töpfen, die ein bejammernswerther Unverstand zum Aufbewahren frischen Fleisches benutzt! Das Fleisch darf nur hängend aufbewahrt werden und zwar so, daß seine ganze Oberfläche der Einwirkung einer mäßig bewegten, reinen, trocknen und kühlen Luft ausgesetzt ist. Bei solcher Aufbewahrung trocknet die ganze Oberfläche des Fleisches gelinde an, und Fäulnißbakterien können jetzt nicht mehr gedeihen, weil eine für die Entwickelung von Bakterien unentbehrliche Bedingung, eine genügende Menge

Feuchtigkeit, fehlt. Da, wo das Fleisch aufliegt, bleibt es feucht,

  1. Auch Suppenfleisch sollte man nicht zu frisch benutzen, wiewohl es richtig ist, daß die Suppe bei der Verwendung gar zu alten Fleisches unangenehm dunkel gefärbt und weniger schmackhaft ist.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 645. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_645.jpg&oldid=- (Version vom 6.10.2023)